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  • Energiepreise als Aufschwungbremse?
    Editorial / Kommentar / Blickpunkt;
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 2 in Ausgabe 13 - 30.11.2005

    In Norddeutschland macht ein Konzern zwei Aluminiumwerke dicht mit der Begründung, der Strompreis sei zu hoch. Die Industrie fürchtet inzwischen wegen der Energiepreise um den Standort Deutschland.
    Die Manager der Energieriesen ihrerseits sehen sich als "Prügelknaben". Die Gerichte zwingen sie zur Offenlegung ihrer Kalkulationen bei Gas. Privatleute behalten einen Teil ihrer Verbrauchsrechnungen ein. Energie ist begehrt. Die Reserven sind endlich, die Nachfrage wächst gewaltig: Die Preise steigen. So funktioniert der Markt.
    Im internationalen Vergleich ist Deutschland beim Strom ein Hochpreisland. Das NRW-Landesamt für Statistik hat ermittelt, dass im Oktober die Preise für Haushaltsenergien im Vergleich zum Vorjahr um 14,2 Prozent gestiegen sind - bei einer allgemeinen Teuerungsrate von 2,3 Prozent.
    Wenn Anfang des Jahres den Haushalten von den Stadtwerken die Jahresstromrechnung ins Haus flattert, dann wird sich mancher ärgern und wundern. Der Wirtschaftsministerin des Landes liegen derzeit schon wieder neue Anträge auf Strompreiserhöhungen vor. Sie hat versprochen, sie nicht einfach nur "durchzuwinken".
    Konkurrenz
    Wie kann die Preisspirale auf ihrem Weg nach oben verlangsamt werden? Hier kommt der nordrhein-westfälische Weg ins Spiel. Weil Konkurrenz das Geschäft belebt, werden zwei hochmoderne Kraftwerke auf Gasbasis gebaut. Der alte Kraftwerkspark wird nicht nur im Braunkohlegebiet mit Milliardenaufwand modernisiert und im Wirkungsgrad gesteigert. In NRW wird fortschrittliche Kraftwerkstechnologie erforscht, erprobt, gebaut und exportiert.
    Es wird in erneuerbare Energien investiert. So ist zwischen Rhein und Weser die Windkraft ausgebaut worden. Die Bürger haben sich oft genug über die rotierenden Mühlen in der Landschaft beklagt. Die neue Regierungskoalition zeigt sich entschlossen, Wildwuchs entgegenzutreten. Der Strom aus erneuerbaren Energien trägt derzeit nur zu einem geringen Anteil zur Stromerzeugung bei. Aber diese geringe Menge reicht schon, die Fieberkurve der Strompreise zu dämpfen. Wenn der Wetterbericht für Deutschland starke Luftbewegungen voraussagt (und damit die Windräder in Schwung bringt), fallen prompt die Preise an der Leipziger Strombörse. Alles nur ein laues Lüftchen? Man wird sehen.
    JK

    ID: LIN01216

  • Voller Energie in die Zukunft.
    Neben die Kohle treten andere Energieträger in die Stromerzeugung.
    Titelthema / Schwerpunkt;
    Plenarbericht
    S. 9 in Ausgabe 13 - 30.11.2005

    Nordrhein-Westfalen ist Energieland Nr. 1 in Deutschland. Hier sind zwei der größten deutschen Energiekonzerne angesiedelt; hier wird der meiste Strom produziert. Das Land setzt hoch entwickelte Energietechniken ein und verfügt über moderne Kraftwerke. Damit das so bleibt, muss weiterhin geforscht und investiert werden.
    Das gilt nicht nur für große Unternehmen, denn aufgrund der steigenden Strompreise wird der Kraftwerksbau zunehmend auch für kleinere Anbieter rentabel. Ein Konsortium von rund 20 Stadtwerken und die Energie- und Wasserversorgung Mittleres Ruhrgebiet GmbH (EWMR) will bis 2011 ein neues Steinkohlekraftwerk bauen; Beginn ist 2007. Der Standort steht noch nicht fest. Durch den Neubau des Kraftwerks will das Konsortium mit den großen Energiekonzernen konkurrieren und den Kunden stabile Preise sichern.
    Im Gegenzug hat der Energiekonzern RWE den Bau eines neuen Steinkohlekraftwerkes in Hamm-Uentrop angekündigt. Investitionshöhe: 1,3 Milliarden Euro.Mit diesen beiden Projekten erhöhen sich die Gesamtinvestitionen in Ausbau und Erneuerung des nordrhein-westfälischen Kraftwerksparks auf mehr als 7,3 Milliarden Euro bis zum Jahr 2012.
    Die nordrhein-westfälischen Konzerne RWE und EON mit ihren Hauptsitzen in Essen und Düsseldorf gehören zu den vier größten Energiekonzernen auf dem deutschen Markt. Der Strom- und Gasanbieter EON machte dabei mit einem Umsatz von gut 49 Milliarden Euro und rund 70.000 Mitarbeitern im Jahr 2004 einen Gewinn nach Steuern von 4,3 Milliarden Euro. Mit seiner Konzerntochter Ruhrgas deckte er über 60 Prozent des deutschen Erdgasbedarfs ab.

    Fernwärme

    STEAG, das fünftgrößte Energieunternehmen und zweitgrößter Steinkohleverstromer in Deutschland, hat wie der Mutterkonzern RAG seinen Sitz in Essen und betreibt sechs Kraftwerke in NRW: Voerde, Duisburg-Walsum, Herne, Lünen, Bergkamen und Köln-Godorf. Im Heizkraftwerk Herne wird aus Steinkohle nicht nur Strom, sondern auch Fernwärme erzeugt. Jährlich werden zwei Millionen Tonnen Steinkohle eingesetzt, die 52 Milliarden Kilowattstunden Strom und 800 Millionen Kilowattstunden Fernwärme erzeugen. Bei der RAG sind von den insgesamt fast 104.000 Beschäftigten rund 52 Prozent in den Bereichen Energie und Bergbau tätig. Die Deutsche Steinkohle AG als RAG-Tochter im Bereich des nationalen Bergbaus tätig, zählt acht Bergwerke und eine Kokerei in NRW.

    Export

    Deutsche Bergbautechnik liefert weltweit einen Beitrag zur sicheren Steinkohlegewinnung. Allein im Bereich des untertägigen Bergbaus halten die deutschen Bergbauzulieferer einen Weltmarktanteil von 30 Prozent. Insgesamt hat die deutsche Bergbauzulieferindustrie etwa 16 Prozent Weltmarktanteil.Hinter diesen Erfolgen stehen insbesondere mittelständische Unternehmen, von denen rund 80 Prozent in Nordrhein-Westfalen ansässig sind. Die etwa 120 deutschen Bergbaumaschinenhersteller sichern damit direkt 16.000 Arbeitsplätze in Deutschland, obwohl der Inlandsmarkt seit Jahren schrumpft. Über 1,3 Milliarden Euro, das sind mehr als zwei Drittel des Gesamtumsatzes, kommen aus dem Export.
    Effiziente und umweltschonende Kraftwerkstechnik hat Zukunft. Unter der Federführung des Verbandes der Kraftwerksbetreiber, VGB PowerTec Essen, wird in einem europaweiten Verbund von Betreibern und Entwicklern eine Komponententestanlage in Gelsenkirchen-Scholven realisiert. Durch dieses Projekt sollen die Energieausbeute verbessert, die CO2-Emissionen vermindert und gleichzeitig die Spitzenposition Nordrhein- Westfalens auf dem Weltmarkt für Kraftwerkstechnologie gestärkt werden.
    Kohlevorkommen gehören ebenso zu den heimischen Energieträgern wie Grubengas, Wasser- und Windkraft, Biomasse und Sonnenenergie. Kernenergie spielt bei der nordrhein- westfälischen Stromproduktion keine Rolle. Atomkraftwerke gibt es in NRW nach der Stilllegung des AKW in Würgassen nicht mehr. Bei regenerativen Energiequellen gehört NRW zur internationalen Spitze: In rund 2.600 Firmen arbeiteten 2004 etwa 15.000 Beschäftigte an der Entwicklung und dem Einsatz von Photovoltaik,Windenergie-Anlagen oder Brennstoffzellen und erzielten dabei einen Umsatz von 3,5 Milliarden Euro. Bei jährlichen Zuwachsraten der erneuerbaren Energien von bis zu 20 Prozent in Europa, kann und will NRW diese Techniken auch exportieren.
    In NRW drehen sich aktuell mehr als 2.300 Windenergieanlagen. Der Weltmarktanteil der nordrhein-westfälischen Windenergiebranche beträgt rund 50 Prozent, die Exportquote liegt bei 60 Prozent. Auch bei der Entwicklung von Brennstoffzellen nimmt NRW eine Spitzenposition ein. Die jährliche Stromproduktion aller in NRW tätigen Grubengasunternehmen wird ab 2005 rund eine Milliarde Kilowattstunden betragen. Damit können 250.000 Haushalte versorgt werden. Ein möglicher Interessent im Bereich des Grubengasanlagebaus wäre China.
    Aber auch im Energieland NRW kann die Energienutzung noch verbessert werden, zum Beispiel im Bereich Erdwärme. Wärmepumpenheizungen, die bis zu 75 Prozent der benötigten Energie aus der Umwelt beziehen und deshalb die Heizkosten um mehr als die Hälfte senken, könnten verstärkt genutzt werden. In der Schweiz werden rund 40 Prozent aller Neubauten mit Wärmepumpen ausgestattet, in NRW sind es nur zwei Prozent. Dabei ließen sich weit über 70 Prozent der Landesfläche für die Gewinnung von Erdwärme nutzen.
    WL

    Zusatzinformationen:
    Preisaufsicht
    Die Erhöhung von Tarifpreisen für kleinere Kunden muss von der Strompreisaufsicht im Wirtschaftsministerium genehmigt werden. Durch einen Kostenvergleich wird dabei ermittelt, ob die geltend gemachten Kosten überdurchschnittlich hoch sind. Ein solcher Fall muss durch besondere Umstände gerechtfertigt sein. Die Gaspreise werden von den Kartellbehörden kontrolliert. Anhebungen der Gaspreise brauchen aber im Gegensatz zu den Strompreisen keine vorherige Genehmigung.

    Stromerzeugung
    In Deutschland betrug die Brutto-Stromerzeugung im vergangenen Jahr 606,5 Milliarden Kilowattstunden. In NRW wurden davon 180,3 Milliarden Kilowattstunden Strom produziert. Der größte nordrheinwestfälische Energieträger ist mit 44 Prozent die Braunkohle, dahinter die Steinkohle mit 38 Prozent. Erneuerbare Energien machen rund drei Prozent der Stromerzeugung aus.

    ID: LIN01225

  • Dr. Droste, Wilhelm (CDU); Leuchtenberg, Uwe (SPD); Priggen, Reiner (Grüne); Brockes, Dietmar (FDP)
    Auf die richtige Mischung kommt es an.
    Interviews mit den energiepolitischen Sprechern der Fraktionen.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 10-11 in Ausgabe 13 - 30.11.2005

    Gestiegene Strom-, Gas- und Ölpreise machen den Verbraucherinnen und Verbrauchern nicht nur in NRW zu schaffen. Viele werden dieses Jahr deutlich tiefer ins Portmonee greifen müssen als bisher. Kann die Politik hier regulierend eingreifen? Und was für Konsequenzen sind aus den steigenden Rohstoffpreisen zu ziehen? Muss das "Energieland NRW" umdenken? "Landtag intern" sprach darüber mit Dr. Wilhelm Droste (CDU), Uwe Leuchtenberg (SPD), Reiner Priggen (GRÜNE) und Dietmar Brockes (FDP).

    An der Gesamtstromerzeugung in Deutschland sind nordrhein-westfälische Kraftwerke zu mehr als einem Viertel beteiligt. Bleibt NRW Energiestandort Nr. 1 in Deutschland?

    Dr. Droste: Die Bedeutung des Produktionsfaktors Energie ist in den letzten Monaten erst durch die steigenden Energiepreise verstärkt in das öffentliche Interesse gerückt. Hier wurde deutlich, wie viele Arbeitsplätze davon direkt betroffen sind. Eine sichere, kostengünstige und unweltgerechte Versorgung ist die elementare Voraussetzung einer modernen und leistungsfähigen Volkswirtschaft. Wir haben daher in den Berliner Koalitionsverhandlungen ein neues Energiekonzept eingefordert. Dieses muss nicht nur eine wirtschaftliche, umweltverträgliche und sichere Energieversorgung gewährleisten, sondern auch eine Richtschnur ohne ideologische Scheuklappen für die Energiepolitik der nächsten Jahrzehnte sein.
    Leuchtenberg: Wir werden zumindest alles dafür tun, damit das so bleibt. Dafür müssen wir jedoch neue Schwerpunkte setzen. Der Energiestandort NRW definiert sich ja nicht nur über Kohleförderung und Stromerzeugung. Insbesondere die Forschung und Entwicklung von neuen Technologien muss in diesem Bereich weiter ausgebaut werden. Stichwort Geothermie oder Windenergie. Das sind nur zwei Beispiele aus der umfangreichen Palette der regenerativen Energien. Hier muss NRW eine Vorreiterrolle einnehmen. Dahinter verbirgt sich ein großes Potential für den Wirtschaftsstandort NRW und das wiederum bedeutet Arbeitsplätze.
    Priggen: Ich gehe davon aus, dass das so bleibt. Momentan werden hierzulande eine Reihe neuer Gas- und Steinkohlekraftwerke gebaut. Die Kraftwerkstandorte der STEAG AG werden derzeit wie Schätze gehandelt. Das heißt, es gibt ein großes Interesse von Investoren, die gerne an STEAG-Standorten bauen wollen. Erfreulicherweise konnten neben den bekannten Großkonzernen endlich auch einmal neue Erzeuger wie in Hürth und Hamm Fuß fassen.Wir werden also nicht nur den Altbestand halten, sondern es wird zusätzlich neue Kraftwerke geben. Insofern gehe ich davon aus, dass NRW zumindest bei der konventionelle Energieerzeugung die Nr. 1 bleiben wird.
    Brockes: FDP und CDU werden die Position Nordrhein-Westfalens als Energiestandort Nr. 1 in Deutschland weiter ausbauen. Dazu werden wir der Energiewirtschaft, der Industrie und den Verbrauchern verlässliche energiepolitische Rahmenbedingungen geben. Wir setzen auf einen breiten Energiemix aus Braun- und Steinkohle, Kernenergie, Erdgas und erneuerbaren Energien. Die Vielfalt muss erhalten und unter Berücksichtigung von Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit zu einem ausgewogenen und mit Blick auf Arbeitsplätze verantwortbaren Mix zusammengeführt werden. Der Energiemix der Zukunft muss sich im Wettbewerb der Energieträger herausbilden. Mit der einseitigen, ideologisch motivierten Bevorzugung einzelner Energieträger wie bei Rot-Grün wollen wir Schluss machen.

    Die Energiepreise explodieren. Wie wird der Bedarf an neuen effizienten Kraftwerken gestillt und gehen damit auch die Preise für die Verbraucher herunter?

    Dr. Droste: Bei der Fortschreibung des nationalen Allokationsplans 2 werden wir uns dafür einsetzen, dass Anreize zum Bau effizienter Kraftwerke erhalten bleiben. Der gestiegene Ölpreis, durch den sich auch die Preise von anderen Energieträgern wie Erdgas verteuern, resultiert aus einer rapide ansteigenden Nachfrage bei gleichzeitiger Verknappung der Ressourcen.Hier müssen durch Effizienzsteigerung neue Wege gefunden werden. Das kann der wirtschaftliche Einsatz von Energieeffizienztechnologien oder auch eine Optimierung des Einkaufs sein. Gleichzeitig setzen wir auf mehr Wettbewerb. In Bezug auf Kontrolle, Preisfestlegung der Netzentgelte und Entflechtung der Netze werden die Regulierungsbehörden das Energiewirtschaftsrecht konsequent anwenden. Auch dies wird zur Entlastung beitragen.
    Leuchtenberg: Durch die Senkung der Netznutzungsgebühren, durch Preiskontrolle und gegebenenfalls sogar durch Eingriffe der Landeskartellbehörde wird aus meiner Sicht der Energiepreis pro Kilowattstunde kurzfristig zunächst leicht sinken. Jedoch wohl nicht in dem Maße, wie es sich der Verbraucher wünschen würde. Auf längere Sicht ist hingegen davon auszugehen, dass sich die Energiepreise auf hohem Niveau einpendeln. Umso wichtiger wird es sein, die oftmals im Verborgenen schlummernden Einsparpotenziale in den privaten Haushalten stärker zu nutzen. So lässt sich der Anteil der Energiekosten an den Gesamtausgaben eines Haushalts durch eine vernünftige Wärmedämmung und durch intelligentes Heizverhalten deutlich senken. In Zukunft sollte es primär um die Frage gehen, wie sich der Energieverbrauch senken lässt, statt darum, wie sich die Energiepreise senken lassen. Energie bleibt ein knappes und damit teures Gut.
    Priggen: Solange die Politik zulässt, dass die großen Energieversorger ihren Raubzug durch die Portmonees der Endverbraucher fortführen, wird nichts billiger werden. Basierend auf ihrer Monopolstellung fahren die großen Energieversorger völlig überzogene Gewinne ein. Wir brauchen endlich eine wirksame Strompreisaufsicht. Die Politik muss für Wettbewerb auf dem Strom- und Gasmarkt sorgen. Den haben wir in NRW bislang nicht. Der SPD mangelte es in der Vergangenheit am Willen, weil dieser unselige Filz von Gewerkschaften und RWE Teil ihrer Politik war. Und dass die neue Landesregierung den Mut hat und die Situation ändert, halte ich für fraglich. Im Zweifelsfall wird Frau Thoben eher über Windräder lamentieren, als RWE oder EON einer wirksamen Preisaufsicht zu unterziehen.
    Brockes: NRW ist nicht nur bei der Stromerzeugung an der Spitze, sondern zugleich bei der Entwicklung von modernster Energietechnologie weltweit führend. Effiziente Energieumwandlung in modernen Kraftwerken mit hohen Wirkungsgraden ist das zentrale Thema des Energiewirtschaftsstandortes NRW. Zur Modernisierung des Kraftwerksparks haben die Energieunternehmen des Landes Investitionen von über sieben Milliarden Euro bis zum Jahr 2012 angekündigt. Tausende von Arbeitsplätzen werden dadurch dauerhaft gesichert oder entstehen neu und führen zugleich zu einer erheblichen Minderung der CO2-Emissionen. Mit effizienteren Kraftwerken und mehr Wettbewerb im Strommarkt ist natürlich auch die Erwartung verbunden, dass die Energiepreise sinken werden. Neben den Energieunternehmen ist hier insbesondere die neue Bundesregierung gefordert, da der Staatsanteil an der Stromrechnung unter Rot-Grün auf 40 Prozent verdoppelt wurde.

    Braun- und Steinkohle sind die wesentlichen Primärenergieträger in Deutschland. Das gilt auch für NRW.Wird das so bleiben?

    Dr. Droste: Ziel in der Energiepolitik, insbesondere in der Stromerzeugung, muss weiterhin ein Energiemix sein. Durch die Endlichkeit fossiler Energieträger macht es keinen Sinn, sich auf einen Bereich zu fokussieren.Wir wollen den subventionierten Bergbau auslaufen lassen. Nach Abwägung der energiewirtschaftlichen Ziele, der finanziellen Situation der Haushalte, aber auch der Belange der Betroffenen ist dies unausweichlich. Die frei werdenden Mittel müssen gezielt in den Strukturwandel und in zukunftsfähige Wirtschaftszweige investiert werden. Umstrukturierungen sollen dazu führen, dass die heimische Steinkohle schrittweise durch Importkohle ersetzt wird. Die Entscheidung für einen Subventionsabbau bei der Steinkohle ist jedoch keine Entscheidung gegen die Bergbau- oder Kraftwerkstechnik. Wir werden daher die Anstrengungen der Bergbauunternehmen, auf Auslandsmärkten verstärkt aufzutreten, auch weiterhin unterstützen.
    Leuchtenberg: Zweifellos wird NRW bei den regenerativen Energien deutlich zulegen müssen. Nichtsdestotrotz werden Braun- und Steinkohle über Jahrzehnte die Primärenergien bleiben.Wir haben im Land eine ganze Reihe von modernen und optimierten Stein- aber auch Braunkohlekraftwerken, die erst kürzlich in Betrieb gegangen sind oder noch gehen werden. Bei der Förderung der heimischen Steinkohle werden wir jedoch in den nächsten Jahren leider Rückschritte machen. Meine Sorge ist, dass sich die von der neuen Landesregierung geforderte Absenkung der Fördermengen nicht sozialverträglich realisieren lässt. Das hätten wir Sozialdemokraten gerne anders gesehen.
    Priggen: Steinkohle wird weiterhin eine Rolle spielen, aber zunehmend Import-Steinkohle. An die Clement`schen Mythen von der notwendigen Förderung der Steinkohle in NRW glaubt heute kein Mensch mehr. Man muss sich immer wieder vor Augen führen, dass das Land jährlich knapp 700 Millionen Euro für die Steinkohle ausgibt. Die Wirtschaftsministerin Thoben gibt für knapp 35.000 Bergleute die Hälfte ihres Etats aus. Mit der anderen Hälfte muss sie die Förderung von einer Million Arbeitslosen gewährleisten. Das kann nicht funktionieren. Was die Braunkohle betrifft: Hier reichen die genehmigten Tagebaue noch circa 40 Jahre. Die Perspektive der Braunkohle ist aber auch allein schon aus Klimaschutzgründen begrenzt. Schließlich stehen die vier dreckigsten Kraftwerke Europas in NRW rund um die Tagebaue. Wenn wir eine zukunftsorientierte Perspektive haben wollen, wird sich das Land künftig sehr viel stärker auf den Ausbau erneuerbarer Energien konzentrieren müssen.
    Brockes: Braun- und Steinkohle bildet das Rückgrat der Energieversorgung in Deutschland. 85 Prozent der Stromerzeugung und 43 Prozent des Primärenergieverbrauchs in NRW entfallen auf diese beiden Energieträger. Die heimische Braunkohle ist aufgrund der günstigen Abbaubedingungen international wettbewerbsfähig und ermöglicht eine subventionsfreie und kostengünstige Stromerzeugung. Die deutsche Steinkohle hingegen ist wegen der ungünstigen geologischen Bedingungen nicht wettbewerbsfähig. Nur aufgrund gewaltiger Subventionszahlungen wird sie zur Verstromung eingesetzt. Importkohle ist dagegen langfristig weltweit verfügbar und zu rund einem Drittel des Preises erhältlich. Wir müssen also die heimische Steinkohle durch günstigere Importkohle ersetzen.

    Die Interviews führten Stephanie Hajdamowicz und Axel Bäumer.

    ID: LIN01228

  • Vorfahrt für Infrastruktur.
    Editorial / Kommentar / Blickpunkt;
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 2 in Ausgabe 12 - 09.11.2005

    Mobilität ist eines der Schlagwörter Nr. 1.Vom Arbeitnehmer wird erwartet, dass er überall auf der Welt arbeitet. Während man früher oft nur ein Rad brauchte, um zur Arbeit zu kommen, summieren sich heute die Wege zum Arbeitsplatz schon mal auf 100 Kilometer pro Strecke. Wie hinkommen, fragen sich die Betroffenen? Mit dem eigenen Auto. Klar, geht schnell. Aber: Kostet immer mehr Geld durch hohe Benzinkosten - und Nerven wegen der vielen Staus.
    Besonders montags stockt der Verkehr. Und wer die Schleichwege zum Arbeitsplatz nicht kennt, braucht Geduld und Zeit. Die Straßen im Land sind voll. Zwei bis drei Autos pro Familie sind längst keine Seltenheit mehr und es werden mehr. Anfang 2005 waren fast 11,5 Millionen Kraftfahrzeuge im bevölkerungsreichsten Bundesland registriert. Auch die Straßenkilometer sind gewaltig. Über 2.000 Autobahnkilometer, mehr als 5.000 Bundesstraßenkilometer und dazu noch mal mehr als 12.500 Landstraßen- und fast 10.000 Kreisstraßenkilometer führen durch NRW.
    Verkehr
    Die Alternative zur Straße ist die Schiene. Pendler kennen die Vorzüge, aber auch die Nachteile. Flugs ist man morgens im Büro, wenn man die Bahn nutzt, übervolle Züge in Kauf nimmt und für Verspätungen mit ausreichendem Lesematerial versorgt ist. Den geduldigsten Nahverkehrsnutzer platzt aber schon mal der Kragen, wenn der Heimweg zur Warteschleife wird. Die Bahn verspricht, alles wird besser. Geld zurück bei großen Verspätungen.
    Noch ein Vorteil: Alle, die ab Frankfurt Airport mit dem Flieger starten, kennen die Vorzüge des schnellen ICE, der für die Strecke Köln - Frankfurt nur einen Teil der Autofahrzeit braucht. Gerade in Sachen Flugverkehr hat sich in den letzten Jahren in NRW viel getan. Billigflieger wachsen wie Pilze aus dem Boden und bieten dem mobilen Bürger zu günstigen Preisen den Duft der großen weiten Welt.
    Doch kann sich NRW dies alles weiter leisten? Die Infrastruktur der Straßen muss schneller wieder fit gemacht werden. Diskutiert werden privatwirtschaftliche Beteiligungen. Im Busverkehr des ländlichen Raums haben sich private Unternehmen längst einen guten Ruf erfahren. Und in der Luft belebt die Konkurrenz das Geschäft. Doch noch fließt das Geld aus den Mehrwert-, Öko-, Mineral- und Kfz-Steuern nur zu einem Bruchteil zurück in die Verkehrsinfrastrukturen. Das, fordern Politiker, muss jetzt auf den Prüfstand.
    SH

    ID: LIN01177

  • Das Land möchte mobil bleiben.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 11 in Ausgabe 12 - 09.11.2005

    Nordrhein-Westfalen ist mobil und möchte es bleiben - täglich bewegen sich Millionen Menschen mit den verschiedenen Verkehrsmitteln. Der Gütertransport innerhalb des Landes und durch das Land nimmt stetig zu. Die Verkehrsinfrastruktur des Landes ist oft zum Zerreißen gespannt. Optimierung und Vernetzung sind angesagt. Ob vieles noch neu gebaut werden kann, ist die Frage. Ausbau scheint aussichtsreicher. Aber bei der Mobilität geht es angesichts der Umwelt auch um Verlagerung und Vermeidung. Das ist und bleibt eine Sisyphusarbeit, die den Landtag immer wieder beschäftigt.

    Autoverkehr

    Jeder Zweite in NRW fährt ein Auto. Zählt man Motorräder, LKW und alle anderen Fahrzeuge zusammen, steht rund zwei Dritteln der rund 18 Millionen Nordrhein-Westfalen ein eigener motorisierter Untersatz zur Verfügung. Tendenz steigend. Schon im Jahr 2000 besaß über die Hälfte aller Haushalte ein Auto, über ein Viertel sogar zwei oder mehr. Über 70 Prozent der Pendler fuhren mit dem Auto zur Arbeit, nur 13 Prozent nutzten öffentliche Verkehrsmittel.
    Fast 30.000 Kilometer Straße durchziehen außerhalb von Ortschaften NRW: 2.175 km Autobahn, 5.053 km Bundesstraßen, 12.672 km Landesstraßen und 9.807 km Kreisstraßen. Die Länge der Autobahnen stieg hauptsächlich zwischen den Jahren 1970 und 1990 an.
    Dabei fuhren auf nordrhein-westfälischen Autobahnen im Jahr 2000 gut 58 Millionen Kraftfahrzeuge am Tag; 2004 waren bereits fast 59 Millionen täglich unterwegs.
    Vor allem die Autobahnen rund um Köln entwickeln sich dabei zu einem wahren Knotenpunkt: So fuhren 2004 zum Beispiel 169.880 Kraftfahrzeuge pro Tag über die dreispurige A3. Der am stärksten befahrene zweispurige Abschnitt lag mit 112.370 Kraftfahrzeugen am Tag auf der A57.
    Straßen kosten Geld. Dem Land NRW stehen in diesem Jahr für den Straßen- und Brückenbau 616 Millionen Euro zur Verfügung. Darin enthalten sind Landes- und Bundesmittel (Stand: Entwurf zum Doppelhaushalt 2004/2005).

    Flugverkehr

    In NRW gibt es drei große Verkehrsflughäfen: Düsseldorf, Köln/Bonn und Münster-Osnabrück. Dazu gibt es mehrere Regionalflughäfen zum Beispiel in Dortmund, Paderborn-Lippstadt, Mönchengladbach oder Weeze. Von allen Airports fliegen zahlreiche Fluggesellschaften ab, darunter auch so genannte Low-Cost-Carrier.
    Die meisten Flieger starten und landen in Düsseldorf. 2004 gab es dort 200.584 Flugbewegungen; 97.125 waren es im ersten Halbjahr 2005. Der Regionalflughafen Paderborn/Lippstadt vermeldete für das Jahr 2000 die Rekordzahl von 65.836 Starts und Landungen, doch für 2005 fällt diese Zahl mit 24.744 Flugbewegungen im ersten Halbjahr deutlich geringer aus.
    Fast 25 Millionen Fluggäste kamen 2004 in die drei großen nordrhein-westfälischen Flughäfen: Düsseldorf liegt mit 15,25 Millionen Passagieren im Jahr 2004 hinter Frankfurt und München auf Platz drei der bundesweiten Passagierzahlen; der Flughafen Köln/Bonn belegt den siebten, Münster-Osnabrück den 14. Platz. Direkt auf Platz 15 folgt der Flugplatz Dortmund mit 1,2 Millionen Passagieren. 797.900 Menschen strömten 2004 zum Airport Weeze.
    Ein Blick auf die Mitarbeiter: Der Flughafen Köln/Bonn hatte im Juni 2005 mit fast 12.000 Beschäftigten neun Prozent mehr als im Jahr 2003. Bei vielen Flughäfen stagniert die Zahl jedoch.
    Für die Luftfahrt stehen in NRW im Jahr 2005 25 Millionen Euro Landes- und Bundesmittel zur Verfügung (Stand: Entwurf zum Doppelhaushalt 2004/2005).

    ÖPNV

    Wer in NRW mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, sitzt entweder in einem Nahverkehrszug der Deutschen Bahn AG oder hat sein Ticket bei einem der neun Verkehrsverbünde gekauft. Der größte von ihnen ist der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr, der sich von Mönchengladbach bis Dortmund erstreckt. Außerdem gibt es noch die Verkehrsverbünde Niederrhein, Münsterland, Paderborn/Höxter, Ruhr-Lippe, Rhein-Sieg und Westfalen-Süd, Ostwestfalen-Lippe und Aachen.
    Die Züge und Busse des VRR legten zum Beispiel in den letzten Jahren konstant über 280 Millionen Kilometer im Jahr zurück. Die Zahl der Fahrgäste stieg dabei von 1016 Millionen im Jahr 2003 auf 1057 Millionen 2004.
    Insgesamt fuhren im Jahr 2000 1.851 Millionen Menschen mit Bussen und Bahnen durchs Land, den Eisenbahnverkehr der Deutschen Bahn nicht mitgezählt. Bis 2004 stieg diese Zahl auf 2.380 Millionen.
    Die Deutsche Bahn beförderte 2004 in NRW 273,5 Millionen Fahrgästen. Dazu verfügte sie 2004 über 4.680 km Schiene, über 150 km weniger als 2001. Dabei stieg die Anzahl der Mitarbeiter in NRW um fast 1000 auf über 33.000 Personen an.
    Für die Förderung der Eisenbahnen und des Öffentlichen Personennahverkehrs konnte das Land NRW für 2005 1,51 Milliarden Euro einplanen (Stand: Entwurf zum Doppelhaushalt 2004/2005). Darin sind 1,1 Milliarden Euro Regionalisierungsmittel des Bundes enthalten.
    WL

    ID: LIN01189

  • Sahnen, Heinz (CDU); Wißen, Bodo (SPD); Keymis, Oliver (Grüne); Rasche, Christof (FDP)
    Klares Nein zur Pkw-Maut.
    Interviews mit den verkehrspolitischen Sprechern der Fraktionen.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 12-13 in Ausgabe 12 - 09.11.2005

    Im Vergleich zu anderen Bundesländern nimmt NRW eine Sonderstellung ein: Es ist Transitland Nr. 1. Nicht zuletzt durch die im vergangenen Jahr vollzogene Erweiterung der Europäischen Union um zehn neue Mitgliedsländer steht NRW vor großen verkehrlichen Herausforderungen. Verkehrsprognosen sprechen beispielsweise von einer Verdoppelung des Lkw-Verkehrs auf den nordrhein-westfälischen Autobahnen bis 2015; und das vor dem Hintergrund, dass der Verkehr heute bereits vielerorts an seine Kapazitätsgrenzen stößt. Über mögliche Auswege aus dem drohenden Verkehrsinfarkt sprach "Landtag intern" mit Heinz Sahnen (CDU), Bodo Wißen (SPD), Oliver Keymis (Grüne) und Christof Rasche (FDP).

    Immer mehr Verkehr auf den Straßen. Was bringt eine mögliche Autobahnprivatisierung für NRW?

    Sahnen: Eine Privatisierung von Autobahnen würde für den Autobahnnutzer eine weitere Kostenbelastung bedeuten. Wir alle haben über unsere Mineralölsteuer die Autobahnen bereits einmal finanziert. Ein privater Investor würde natürlich versuchen, seine Ausgaben über eine Autobahnmaut wieder zu erwirtschaften. Die Autofahrer würden die Autobahn also ein zweites Mal bezahlen und das kann nicht Sinn der Sache sein. Um dem vermehrten Verkehrsaufkommen begegnen zu können, müssen noch einige Lücken im Autobahnnetz geschlossen sowie Erweiterungen vorgenommen werden. Grundlage all dieser Maßnahmen muss allerdings das bestehende Autobahnnetz sein. Möglichkeiten für den Bau neuer Autobahnstrecken sehe ich nicht. Darüber hinaus muss das Land natürlich auch für attraktive alternative Verkehrsangebote sorgen.
    Wißen: Eine Privatisierung der Autobahnen ist aus meiner Sicht der falsche Weg, auch wenn Finanzpolitiker darin die Möglichkeit sehen, einmalig viel Geld in die leeren Kassen zu spülen. Als Verkehrspolitiker sage ich jedoch:Wir müssen dazu kommen, dass der Verkehr den Verkehr finanziert. Das bedeutet, dass nicht etwa das Kfz-Steueraufkommen oder das Aufkommen aus der Lkw-Maut dazu ‘missbraucht’ werden, allgemeine Haushaltsdefizite auszugleichen oder für andere Zwecke verwendet zu werden. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die aus dem Verkehr erzielten Mittel auch zielgerichtet für die Verkehrsinfrastruktur verwendet werden. Daher kann ich auch der Losung der Koalitionsfraktionen - insbesondere der FDP - "Privat vor Staat" in diesem Punkt nicht folgen. Es ist sehr wichtig, dass der Staat bei der Verkehrspolitik Herr des Verfahrens ist und bleibt.
    Keymis: Die Autobahnen sind bereits durch Steuermittel finanziert. Jetzt kann man nicht über eine Pkw-Maut die Bevölkerung erneut zur Kasse bitten. Die verbrauchsabhängige Besteuerung ist aus meiner Sicht gerechter: Ausschlaggebend sind Motorgröße und Verbrauch, was sich in der Kfz-, Mineralöl- und Ökosteuer niederschlägt. Die Höhe der Kosten kann jeder Autofahrer durch sein Verhalten beeinflussen. Bei einer Pkw-Maut hingegen würden die Menschen pauschal belastet, sobald sie eine Autobahn befahren. Damit würden wir sowohl eine soziale wie auch ökologische Schieflage erzeugen. Anders sieht das bei der Lkw-Maut aus: Im Vergleich zum Pkw hat ein Lkw einen zigtausend Mal höheren Anteil am Verschleiß der Fahrbahndecken. Es war längst fällig, die immensen Instandhaltungskosten über die Maut aufzufangen und vor allem die Anreize für mehr Gütertransport auf der Schiene zu erhöhen.
    Rasche: Ich halte eine Privatisierung der Autobahnen für eine denkbar schlechte Lösung, mit der die Pkw-Fahrer doppelt zur Kasse gebeten würden.Wir haben eine sehr hohe Belastung der Autobahnen in NRW. Verkehrsprognosen gehen davon aus, dass die Güterverkehre auf der Straße bis 2015 bis zu 100 Prozent und die Personenverkehre bis zu 40 Prozent steigen werden. Aus diesem Grund müssen wir Lückenschlüsse auf den Autobahnen 1, 30, 33, 46 und 445 sowie den Ausbau von Ortsumgehungen, unter anderem der B55 in Erwitte, dringend vorantreiben. Funktionierende Verkehrsverbindungen sind ein wichtiger Standortfaktor. Zur Frage der Finanzierung: Allein über den Straßenverkehr bringen Mehrwert-, Öko-, Mineralöl- und Kfz-Steuern dem Staat zusammen weit über 50 Milliarden Euro ein. Davon fließen aber weniger als zehn Prozent wieder in die Verkehrsinfrastrukturen. Wir haben also kein Einnahmeproblem, sondern müssen neue Prioritäten bei der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung setzen.

    Für drei Euro nach Berlin! Immer mehr Menschen nutzen den Flieger. Was bedeutet dies für das Luftverkehrskonzept des Landes?

    Sahnen: Solange die Kapazitätsgrenzen der NRW-Flughäfen nicht überschritten werden und die Verkehrssicherheit gewahrt bleibt, ist gegen eine Angebotsausweitung der so genannten ‘Billigfluggesellschaften’ nichts einzuwenden, zumal die Bürgerinnen und Bürger ja davon profitieren. Es gibt eine Studie der Industrie und Handelskammer Köln, die besagt, dass durch das wachsende Angebot an preisgünstigen Flugverbindungen die Geschäftsbeziehungen zwischen in NRW ansässigen Firmen und Firmen im In- und Ausland ausgeweitet und intensiviert worden seien. Das dezentrale NRW-Flugverkehrskonzept ist also sicherlich ein wichtiger Beitrag, um aktive Wirtschaftsförderung zu betreiben.
    Wißen: Die rot-grüne Landesregierung hat bereits in der vergangenen Legislatur mit dem "Luftverkehrskonzept 2010" eine dezentrale Lösung vorgelegt. Dieses Konzept hat für uns nach wie vor Gültigkeit. Nach meinen Informationen will auch die neue Landesregierung daran festhalten. Wir haben in NRW eine dezentrale Siedlungs- und Standortstruktur wie in keinem anderen Bundesland. Und das derzeitige Flugverkehrskonzept trägt dieser Struktur Rechnung. Konkret bedeutet das, dass selbstverständlich auch die kleinen NRW-Flughäfen wichtige verkehrspolitische Funktionen erfüllen. In Anbetracht der zunehmenden Flugbewegungen werden wir künftig sogar noch stärker auf sie angewiesen sein, da auch die internationalen Flughäfen wie Düsseldorf oder Köln/Bonn an Kapazitätsgrenzen stoßen werden.
    Keymis: Das "NRW-Luftverkehrskonzept 2010" sieht eine dezentrale Struktur der Flughäfen vor. Diese ist jedoch im Begriff, sich teilweise selbst zu ‘kannibalisieren’. Bei den Ticketpreisen der Billigflieger wird die Grenze dessen, was ökonomisch und nicht zuletzt ökologisch noch vertretbar ist, oft überschritten. Ermöglicht werden diese Dumpingpreise dadurch, dass beispielsweise die Stadtwerke Dortmund ihren Flughafen jährlich mit 30 Millionen Euro subventionieren; Mittel, die dort über die Strom- und Gaspreise wieder erwirtschaftet werden müssen. Das kann nicht der Weg sein! Wir müssen in NRW künftig auf ein konzentriertes Luftverkehrskonzept mit ökonomisch vertretbaren Flughäfen setzen. Dabei muss aber immer der Schutz der Flughafenanlieger vor noch mehr Lärm und Dreck berücksichtigt werden.
    Rasche: Durch diese Low-Cost-Carrier haben sich die Flugverbindungen wesentlich ausgeweitet. Davon profitiert auch unser Land. Im Gegensatz zu einer zentralen Struktur wie in Bayern besteht in NRW eine dezentrale Luftverkehrsinfrastruktur. Wir haben in NRW mit Düsseldorf, Köln/Bonn und Münster/Osnabrück drei internationale Flughäfen, mit Dortmund, Weeze und Paderborn/Lippstadt drei regionale Flughäfen und darüber hinaus eine ganze Reihe von Schwerpunktlandeplätzen. Bei Ausbaumaßnahmen und Kapazitätsausweitungen brauchen wir deshalb für jeden einzelnen Standort eine vernünftige Abwägung zwischen dem, was aus verkehrspolitischer Sicht notwendig ist und dem, was den Anwohnern zumutbar ist.

    Busse und Bahnen werden teurer. Wie schafft es NRW, das der ÖPNV für die Menschen im Land attraktiv bleibt?

    Sahnen: In der Tat muss man einige Gegebenheiten auf den Prüfstand stellen. Beispielsweise stellt der Bund den Ländern Regionalisierungsmittel für den ÖPNV zur Verfügung. In NRW haben wir jedoch die Besonderheit, dass diese Mittel an den schienengebundenen Personennahverkehr gebunden sind. Diese Zweckbindung soll im Jahre 2007 aufgehoben werden. Dies würde ermöglichen, dass diese Gelder beispielsweise auch für die Ausweitung des Busnetzes verwendet werden können. Zudem muss die Organisationsstruktur des ÖPNV transparenter und verwaltungsfreundlicher gestaltet werden. Derzeit haben wir in NRW neun Verkehrsverbünde, eine Agentur für Nahverkehr und 54 Aufgabenträger. Durch eine Verschlankung der Struktur ließen sich erhebliche Einsparungen realisieren.
    Wißen: Meines Erachtens ist der ÖPNV besser als sein Ruf. Im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln sind Busse und Bahnen zuverlässig und in Relation zu den gestiegenen Kosten beim Individualverkehr hält sich die Kostensteigerung bei den Fahrpreisen noch in Grenzen. Zweifellos ist die Attraktivität des ÖPNV aber noch verbesserungswürdig. Das hat die alte Landesregierung bereits erkannt und gehandelt, indem sie klare Qualitätsstandards durchgesetzt hat, wie zum Beispiel das 3-S-Konzept "Sicherheit, Sauberkeit und Service". Ansätze für eine Qualitäts- und Attraktivitätssteigerung beim ÖPNV sind also durchaus da.
    Keymis: Der ÖPNV hat seit 1995 sehr an Attraktivität gewonnen. Wir haben auf der Schiene einen Angebotszuwachs von über 30 Prozent! Heute werden in NRW mit meist modernen Zügen rund 100 Millionen Zugkilometer in einem dichten Zeittakt gefahren. Zudem haben wir insgesamt ein gut vernetztes Bussystem. Manches muss noch besser werden: Service, Pünktlichkeit und Sauberkeit. In Zukunft brauchen wir auf der Schiene mehr Wettbewerb. Wie erfolgreich solche Konzepte sein können, zeigt das Beispiel "Regio Bahn" von Kaarst nach Mettmann.
    Rasche: Wir müssen den ÖPNV sowohl auf der Straße wie auf der Schiene weiter fördern. Dies muss jedoch zielorientiert erfolgen. Die Diskussion über die Reaktivierung von Schienenstrecken ist aus meiner Sicht nicht mehr aktuell, da die Kosten-Nutzen-Rechnung nicht aufgeht. Wir müssen uns also vorrangig darauf konzentrieren, das vorhandene Angebot zu optimieren. Das heißt, wir brauchen einen verlässlicheren Fahrplan sowie einen Ausbau von Knotenpunkten. Darüber hinaus brauchen wir mehr Transparenz bei der Mittelverteilung sowie schlankere Strukturen.

    Die Interviews führten Stephanie Hajdamowicz und Axel Bäumer.

    ID: LIN01190

  • Gesundheit schafft Arbeit.
    Editorial / Kommentar / Blickpunkt;
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 2 in Ausgabe 11 - 26.10.2005

    Die Menschen haben Angst. Angst vor einer schweren Erkrankung und davor, im Alter zum Pflegefall zu werden. Das sind die Ergebnisse einer jüngsten Studie, die im September veröffentlicht wurde. Das Thema Gesundheit beschäftigt fast jeden. Schlagzeilen machen zurzeit Beitragserhöhungen von Krankenkassen, Gesundheitsreformen und explodierende Medikamentenkosten.
    In Nordrhein-Westfalen wird auf Prävention gesetzt. Jeder Einzelne ist gefordert, die Gesundheit in die eigenen Hände zu nehmen. Als erstes Bundesland bringt NRW ein flächendeckendes Vorsorgeprogramm für 50- bis 69-jährige Frauen gegen Brustkrebs auf den Weg. Das neue Krebsregister wird wichtige Daten liefern, die zur Verbesserung der Früherkennung, Versorgung und Forschung nötig sind.
    Und seit einigen Wochen läuft der bundesweit erste Feldversuch mit der Gesundheitskarte.Das Pilotprojekt soll zeigen, wie sich die elektronische Gesundheitskarte bei Patienten und Ärzten bewährt. 2007 sollen dann alle Versicherten in Deutschland über die Gesundheitskarte verfügen: zunächst mit elektronischem Rezept, später mit Nofallinformationen und Angaben über Medikamentenunverträglichkeiten und chronischen Erkrankungen.
    Prävention
    Nach wie vor garantiert das Gesundheitssystem allen Bürgerinnen und Bürgern eine hochwertige Gesundheitsversorgung. Bislang konzentriert sich diese Versorgung überwiegend auf die Bereiche Behandlung, Rehabilitation und Pflege. Dieses System soll durch den Ausbau der Prävention erweitert werden. Besonders bei den Kindern und Jugendlichen soll in NRW verstärkt auf Prävention gesetzt werden. Beispielsweise zur Förderung des Nichtrauchens.
    Die Gesundheitswirtschaft mit mehr als einer Millionen Beschäftigten ist Jobmotor Nummer 1 in Nordrhein-Westfalen. Die Fitnessbranche boomt. An jeder Ecke im Land werden neue Studios eröffnet. Experten rechnen damit, dass allein im Fitnessbereich in den kommenden zehn Jahren mehr als 30.000 zusätzliche Arbeitsplätzen entstehen. Eine Entwicklung, die gut für Nordrhein-Westfalens Wirtschaft ist.
    Doch auch kleine Schritte helfen. Jeder Einzelne kann selbst etwas dazu beitragen, um sich gesund und ausgewogen zu ernähren und Sportangebote nutzen. Eigenverantwortung ist gefragt. Das trägt auch dazu bei, dass die Ängste vor schweren Erkrankungen vielleicht ein Stück zurückgehen.
    SH

    ID: LIN01135

  • Chip mit Röntgenbild.
    Elektronische Gesundheitskarte ersetzt künftig Versichertenausweis.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 7 in Ausgabe 11 - 26.10.2005

    Gesundheitsland Nordrhein-Westfalen: Als erstes Bundesland bringt NRW in diesen Tagen ein flächendeckendes Vorsorgeprogramm für 50- bis 69-jährige Frauen gegen Brustkrebs auf den Weg. Schon jetzt verfügt das Land für alle Frauen über ein dichtes Netz von Brustkrebszentren. Einmalig in Europa ist das umfassende Krebsregister, zu dem der Landtag die gesetzlichen Grundlagen gelegt hat. Und für Anfang 2006 ist der erste offizielle Feldversuch mit der neuen elektronischen Gesundheitskarte geplant.
    Die neue elektronische Gesundheitskarte wird auch in NRW getestet. Offizielles Testgebiet ist die "Modellregion Bochum-Essen". Hier soll ab Anfang nächsten Jahres die neue Karte zunächst an 10.000 Versicherte ausgegeben werden. So sollen die Technik und die Alltagstauglichkeit des Systems getestet werden, bevor die Karte schrittweise die bisherigen Versichertenausweise ersetzt. Das Projekt ist Teil der Landesinitiative "eHealth.nrw". Unabhängig von diesem offiziellen Testverfahren hat Ende September die Knappschaft in Bottrop einen Feldversuch begonnen: Im Rahmen des integrierten Versorgungsnetzes "ProspeGKT" wird eine eigene Gesundheitskarte erprobt.
    Zur Grundausstattung der offiziellen Gesundheitskarte gehören Daten wie Patientenname, Alter, Versicherungsstatus, Krankenkasse und Geburtsdatum. Eben all das, was man auch von der bisherigen Krankenkassenkarte kennt. Neu ist ein Foto und dass die Versichertendaten nicht nur wie bisher auf der Karte gespeichert sind, sondern auch in einem Online-Verfahren beim Arztbesuch abgeglichen werden können. Und wichtig für Reisende und mobile Menschen: Auf der Rückseite der Chipkarte findet man künftig die Europäische Krankenversichertenkarte (EHIC). Sie ersetzt den Auslandskrankenschein.
    Ebenfalls verpflichtend - wenn auch nicht sofort - wird das elektronische Rezept, das das Papierrezept ablösen soll. Mit einem Lese- und Schreibgerät erfasst der behandelnde Arzt die auf der Karte gespeicherten Versichertendaten und speichert die verordneten Arzneimittel als elektronisches Rezept. Die Unterschrift des Arztes erfolgt elektronisch durch seinen Heilberufsausweis (HBA). In der Apotheke wird die Karte dann gelesen, die Unterschrift auf Gültigkeit geprüft und das elektronische Rezept gelöscht, sobald der Patient seine Medikamente entgegennimmt. Patientinnen und Patienten können aber auch weiterhin gängige Versandverfahren nutzen.
    Nach und nach können Versicherte dann auf freiwilliger Basis weitere Gesundheitsdaten auf der Karte speichern und zum Teil via PIN schützen: Klinische Basisdaten für die Versorgung im Notfall und für die individuelle Arzneimittelsicherheitsprüfung, die Dokumentation verordneter Arzneimittel, die Übermittlung von Arztbriefen oder die elektronische Verwaltung von Patientenquittungen.
    Fernziel ist die elektronische Patientenakte. Sie vereint neben den eigentlichen Personendaten Arztes erfolgt elektronisch durch seinen Heilberufsausweis (HBA). In der Apotheke wird die Karte dann gelesen, die Unterschrift auf Gültigkeit geprüft und das elektronische Rezept gelöscht, sobald der Patient seine Medikamente entgegennimmt. Patientinnen und Patienten können aber auch weiterhin gängige Versandverfahren nutzen.
    Nach und nach können Versicherte dann auf freiwilliger Basis weitere Gesundheitsdaten auf der Karte speichern und zum Teil via PIN schützen: Klinische Basisdaten für die Versorgung im Notfall und für die individuelle Arzneimittelsicherheitsprüfung, die Dokumentation verordneter Arzneimittel, die Übermittlung von Arztbriefen oder die elektronische Verwaltung von Patientenquittungen. Fernziel ist die elektronische Patientenakte. Sie vereint neben den eigentlichen Personendaten eine Fülle unterschiedlicher medizinischer Daten. Hierbei sind Daten wie die individuelle Krankengeschichte, wichtige Laborbefunde, Operationsberichte sowie Röntgenbilder und digitale Daten anderer Untersuchungen auf Servern gespeichert. Die elektronische Gesundheitskarte beinhaltet den Schlüssel, damit diese Daten aufgefunden und genutzt werden können.
    Doch bis es soweit ist, werden sicherlich noch einige Jahre vergehen. Schließlich müssen im Endstadium in NRW allein 83.000 Ärzte, 13.000 Zahnärzte, mehr als 440 Krankenhäuser und über 4.700 Apotheken an das System angeschlossen werden.

    Bildunterschrift:
    Vernetzungsmöglichkeiten durch die elektronische Gesundheitskarte

    ID: LIN01142

  • Henke, Rudolf (CDU); Bischoff, Rainer (SPD); Steffens, Barbara (Grüne); Dr. Romberg, Stefan (FDP)
    "Kein Grund zur Panik!"
    Interviews mit den gesundheitspolitischen Sprecherinnen und Sprechern der Fraktionen.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 8-9 in Ausgabe 11 - 26.10.2005

    Die gesundheitspolitischen Herausforderungen, denen sich das Land Nordrhein-Westfalen in den nächsten Jahren stellen muss, sind vielfältig. Gleichzeitig wächst in der Bevölkerung die Sorge um die eigene Gesundheit und eine adäquate Versorgung im Krankheitsfall. Exemplarisch hat "Landtag intern" drei aktuelle gesundheitspolitische NRW-Themen aufgegriffen und sprach darüber mit Rudolf Henke (CDU), Rainer Bischoff (SPD), Barbara Steffens (Grüne) und Dr.Stefan Romberg (FDP).

    NRW ist Vorreiter in Sachen elektronischer Gesundheitskarte. Was sind die Vor- und Nachteile?

    Henke: Ich sehe die geplante Einführung der elektronischen Gesundheitskarte als eine große Entwicklungschance. NRW hat sich dieser Thematik gestellt und Anstrengungen unternommen. Eine enge Vernetzung der Daten bietet große Möglichkeiten einer besser abgestimmten Versorgung der Patienten. Mit einem schnellen und sicheren Informationsfluss und der Möglichkeit eines raschen Einblicks in eine elektronische Patientenakte erhöhen sich die Chancen für eine optimale Versorgung, insbesondere auch in Notfällen. Das Ziel besteht darin, die Möglichkeiten moderner EDV in den Dienst kranker Menschen zu stellen. Selbstverständlich muss dabei sichergestellt werden dass die Datenhoheit bei den Patienten verbleibt und ein Datenmissbrauch mit allen Mitteln verhindert wird. Wir verfolgen diese Ziele in Zusammenarbeit mit allen Akteuren des Gesundheitswesens, um Technologien und Innovationen zu fördern und den "Gesundheits- und Technologiestandort NRW" auszubauen und attraktiv zu gestalten.
    Bischoff: Die Kosten bei der Gesundheitsvorsorge steigen stetig. Eine Ursache hierfür ist, dass viele Patienten bei Beschwerden gleich mehrere Ärzte konsultieren. Daran ist auch prinzipiell nichts auszusetzen. Problematisch wird es dann, wenn es aufgrund mangelnder Information oder gar aus Vorsatz zu unnötigen Doppeluntersuchungen kommt, die den Ärzten Geld einbringen, aber die Krankenkassen belasten. Durch einen verbesserten Informationsfluss kann dies verhindert werden. Daher wird auf der Karte künftig festgehalten, welcher Arzt welche Untersuchungen bei welchem Patienten vorgenommen hat. Nachteile entstehen bei diesem System nur dann, wenn Patientendaten nicht im ausreichenden Maße vertraulich behandelt werden. Ich halte jedoch die vorgesehenen Sicherheitsmaßnahmen für ausreichend und bin daher ein Befürworter der Karte.
    Steffens: Wenn die Karte datenschutzrechtlich abgesichert ist, hat sie sowohl für die Patienten als auch für die Ärzteschaft nur Vorteile. Entscheidend ist, dass die Patientinnen und Patienten selber bestimmen können müssen, wer Zugriff auf die Daten hat. Im Vordergrund stehen eindeutig die Synergieeffekte und der Informationstransfer zwischen verschiedenen Ärzten, um im Sinne des Patientenwohls eine optimierte Behandlung gewährleisten zu können. Wir wissen ja nicht erst seit gestern, dass ein erheblicher Teil der auftretenden Krankheiten auf die Nebenwirkungen von Medikamenten - insbesondere durch die Addition unterschiedlicher und miteinander unverträglicher Medikamente - zurückzuführen ist.
    Dr. Romberg: Bei dieser Technologie geht es darum, eine bessere Vernetzung zwischen Kliniken, niedergelassenen Ärzten und Apotheken zu schaffen und Patienteninformationen zeitnäher austauschen zu können. Die Zeit, die bei der Informationsbeschaffung eingespart werden kann, sollte natürlich dann auch dem Patienten zugute kommen. Die Probleme mit der Datensicherheit sind bislang noch nicht endgültig geklärt. Voraussetzung muss sein, dass besonders sensible Daten verschlüsselt und nur auf Wunsch des welche Untersuchungen bei welchem Patienten vorgenommen hat. Nachteile entstehen bei diesem System nur dann, wenn Patientendaten nicht im ausreichenden Maße vertraulich behandelt werden. Ich halte jedoch die vorgesehenen Sicherheitsmaßnahmen für ausreichend und bin daher ein Befürworter der Karte. Steffens: Wenn die Karte datenschutzrechtlich abgesichert ist, hat sie sowohl für die Patienten als auch für die Ärzteschaft nur Vorteile. Entscheidend ist, dass die Patientinnen und Patienten selber bestimmen können müssen, wer Zugriff auf die Daten hat. Im Vordergrund stehen eindeutig die Synergieeffekte und der Informationstransfer zwischen verschiedenen Ärzten, um im Sinne des Patientenwohls eine optimierte Behandlung gewährleisten zu können. Wir wissen ja nicht erst seit gestern, dass ein erheblicher Teil der auftretenden Krankheiten auf die Nebenwirkungen von Medikamenten - insbesondere durch die Addition unterschiedlicher und miteinander unverträglicher Medikamente - zurückzuführen ist. Dr. Romberg: Bei dieser Technologie geht es darum, eine bessere Vernetzung zwischen Kliniken, niedergelassenen Ärzten und Apotheken zu schaffen und Patienteninformationen zeitnäher austauschen zu können. Die Zeit, die bei der Informationsbeschaffung eingespart werden kann, sollte natürlich dann auch dem Patienten zugute kommen. Die Probleme mit der Datensicherheit sind bislang noch nicht endgültig geklärt. Voraussetzung muss sein, dass besonders sensible Daten verschlüsselt und nur auf Wunsch des Patienten zugänglich gemacht werden. Das ist an vielen Kliniken, die hausinterne Datenspeichersysteme verwenden, übrigens längst Standard.

    Kliniksterben in NRW. Ist die Gesundheitsversorgung in Zukunft in Gefahr?

    Henke: Wir erleben gegenwärtig eine starke Tendenz zur Konzentration der Krankenhausversorgung. Dazu tragen viele Entscheidungen aus der Berliner Gesundheitspolitik der letzten Jahre bei. Erwähnenswert sind insbesondere das Krankenhausvergütungssystem, die Debatte über Mindestmengen und die Auswirkungen der seit 1993 gedeckelten Budgets.Wir müssen uns anstrengen, weiterhin die dezentrale Krankenhausversorgung insbesondere auch im ländlichen Raum zu erhalten: Jeder Mensch in NRW soll ein Krankenhaus der Grundversorgung in seiner Nähe finden. Zudem muss die Entfernung zur Spezialversorgung zumutbar bleiben. Wir wollen keine Wartelisten. Wir wollen eine verbesserte Zusammenarbeit im Gesundheitswesen durch integrierte Versorgung, die auch über die heutigen gesetzlichen Möglichkeiten hinausgehen darf.
    Bischoff: Tatsächlich gibt es ein Schrumpfen bei den Bettenzahlen und damit bei den Kliniken. Dieses Schrumpfen ist jedoch notwendig. Aus internationalen Vergleichen wissen wir, dass die stationäre Versorgung hierzulande häufiger und länger in Anspruch genommen wird als in europäischen Nachbarländern, ohne dass die medizinische Versorgung dort schlechter wäre. Wir müssen daher ein größeres Gewicht auf die ambulante Versorgung legen. Mit Sorge betrachte ich, dass die Landesregierung das Krankenhausinvestitionsprogramm für 2006/2007 nicht fortführen will. Das haben wir als Opposition heftig angeklagt und bereits einen ersten Teilerfolg errungen: Der zuständige Minister hat erklärt, das Investitionsprogramm zumindest in diesem Jahr noch aufrecht zu erhalten.
    Steffens: Wir brauchen grundsätzlich ein Umdenken bei der Funktion von Krankenhäusern. Dieses Umdenken hat mit den Gesundheitszentren in NRW bereits Wirkung gezeigt. Wir brauchen eine stärkere Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Behandlung wie auch eine stärkere Vernetzung der niedergelassenen Ärzte mit den Krankenhäusern. Es ist zum Beispiel nicht einzusehen, dass eine schwangere Frau die Voruntersuchungen bei einem niedergelassenen Gynäkologen vornehmen lassen muss, anstatt diese in dem Krankenhaus durchführen zu lassen, in dem sie entbinden möchte. Wir brauchen also eine stärkere Vernetzung zwischen ambulanter und stationärer Behandlung. Daraus resultieren ganz neue Perspektiven für die Krankenhäuser. Gleiches gilt auch für eine Vernetzung der Krankenhäuser untereinander. Hier sind die Träger gefragt: Kooperationsbereitschaft statt Konkurrenzdenken lautet das Motto.
    Dr.Romberg:Die Tendenz, die Klinikbetten zu reduzieren, ist richtig. Früher dauerte die stationäre Patientenversorgung im Schnitt viel länger. Mittlerweile haben wir sehr kurze Aufenthaltszeiten, da viel mehr ambulant oder teilstationär behandelt wird. Die großen Bettenburgen von früher sind längst nicht mehr zeitgemäß. Durch die Einführung der Fallpauschalen wird sich der Druck auf die Kliniken weiter erhöhen. Sicherlich werden weitere Häuser auf der Strecke bleiben. Aufgabe der Landespolitik ist es, darauf zu achten, dass eine wohnortnahe Gesundheitsversorgung flächendeckend erhalten bleibt. Jedem NRW-Bürger muss in einem Umkreis von 15 bis 20 Kilometern ein Krankenhaus der Grundversorgung zur Verfügung stehen. Zudem muss die ambulante sowie die teilstationäre Versorgung in Tageskliniken noch optimiert werden.

    Die Vogelgrippe rückt näher. Ist NRW ausreichend vorbeireitet?

    Henke: Im Vergleich zu anderen Bundesländern unternimmt NRW enorme Anstrengungen. Die Bevorratung einer großen Menge antiviraler Arzneimittel ist beschlossen. Die Landesregierung rät allen Bürgerinnen und Bürgern, sich bis zum Jahresende gegen Grippe impfen zu lassen. Der Impfschutz gegen die jährlich wiederkehrende "normale" Grippe ist ein wichtiger Baustein im Kampf gegen eine mögliche Influenza-Pandemie. Wo weitere Verbesserungen nötig sind, setzen wir uns dafür ein.
    Bischoff: Ich bin kein Mediziner und von daher auch auf die Einschätzungen der Fachleute angewiesen. Als Abgeordneter stellen sich mir zwei Aufgaben: Zum einen muss verhindert werden, Panik zu verbreiten. Andererseits hat das Parlament als Kontrollinstanz der Landesregierung darauf zu achten, dass das Land auf mögliche Gefahren bestmöglich vorbereitet ist. Die Landesregierung hat erklärt, dass sie für rund 15 Prozent der Bevölkerung Arzneimittel bestellt hat. Experten befürworten eine 20-prozentige Bevölkerungsabdeckung. Hier muss das Land möglicherweise nachbessern. Letztlich hoffen wir aber alle, dass wir diese Mittel niemals brauchen werden.
    Steffens: Diese Frage lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht eindeutig beantworten. Grund hierfür ist eine teils spärliche, teils widersprüchliche Informationslage, insbesondere im Hinblick auf mögliche Vorsichtsmaßnahmen. Ich höre von Kommunen in NRW, die vollkommen verzweifelt sind, weil es keine wirklichen Notfallpläne für den Ernstfall gebe. Andere Kommunen hingegen sind der Überzeugung, alles im Griff zu haben. Ich merke nur selber, dass auch für mich täglich neue Fragen auftauchen. Diese Fragen gilt es nun in den politischen Fachgremien zu klären. Ich warne jedoch vor Panikmache!
    Dr. Romberg: Das Land hat für rund 33 Millionen Euro Medikamente gegen Virustatika eingekauft. Mit dieser Versorgung, mit der 15 Prozent der Bevölkerung abgedeckt werden können, sind wir im Vergleich zu anderen Bundesländern an der Spitze. Wichtig wird sein, dass immungeschwächte Menschen - also beispielsweise chronisch kranke und alte Menschen - die Möglichkeit der Grippeschutzimpfung wahrnehmen. Damit kann das Risiko von wirklich gefährlichen Doppelinfektionen minimiert werden. Diese Angebote werden erfreulicherweise bereits intensiv angenommen. Das alles zeigt: Das Land nimmt das Problem ernst. Panikmache ist angesichts der Vogelgrippe aber sicherlich nicht angesagt. Es ist und bleibt zunächst eine Erkrankung von Vögeln.

    Die Interviews führten Stephanie Hajdamowicz und Axel Bäumer

    ID: LIN01145

  • Tests und Therapien.
    Aufklärung und Vorbeugung am Gesundheitstag.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 10 in Ausgabe 11 - 26.10.2005

    "Leider" - so bewertet Simone Weber den Umstand, dass unter den Migränekranken 90 Prozent Frauen und "nur" zehn Prozent Männer sind. Nicht dass sie mehr Männern dieses Leiden an den Hals wünscht, aber vielleicht würde dann das vermeintlich typisch weibliche Krankheitsbild, das arbeitsunfähig machen kann, ein wenig ernster genommen. Was man als Betroffener dagegen tun kann, versucht sie mit Informationsmaterial zu erläutern, gibt Ernährungstipps ("Rotwein, Käse, Schokolade können Migräne auslösen"), schlägt Entspannungstechniken vor und verweist auf ein Medikament, das schnell wirkt und die Patientin nicht "alltagsuntauglich" macht. Dann händigt sie auf Wunsch den persönlichen Migränepass aus.
    Gesundheitstag im Landtag. Ende September stehen einen ganzen Tag Aufklärung und Vorbeugung für Abgeordnete und Beschäftigte auf dem Programm. Und das Präsidium geht mit gutem Beispiel voran. Landtagspräsidentin Regina van Dinther und die Vizepräsidenten Edgar Moron, Dr. Michael Vesper und Angela Freimuth lassen sich gegen Influenza impfen. Wenn in der kalten und feuchten Jahreszeit die grassierende Grippe Lücken in die Reihen der Abgeordneten reißen sollte - das ganze Präsidium ist immun und kann vom allgemeinen Zipperlein unangefochten die Landtagssitzungen leiten. Und in voller Aufmerksamkeit, der nicht der leiseste Zwischenruf entgeht: Vizepräsidentin Freimuth besteht, angeleitet von Sabine Bellut, mit Bravour den Hörtest.
    Nebenan sitzt Edgar Moron auf dem Fitness-Rad und strampelt sich unter den Augen von Melanie Schulte ab. Hier geht es um körperliche Bewegung - bestes Mittel für ein gesundes Herz und einen funktionierenden Kreislauf. Trotz aller Anstrengung: Der Vizepräsident ist zu einem Scherz aufgelegt. Als ein Pulk von Journalisten - nach landläufiger Meinung nicht eben bekannt für eine gesunde Lebensführung - vorbeikommt, ruft ihnen Moron zu: "Das sind alles Risikopatienten!" Das möchten die Angesprochenen nicht auf sich sitzen lassen: "Die Landespolitik ist der Risikofaktor", zahlen sie lachend mit gleicher Münze heim.
    Schräg gegenüber bemühen sich Bettina Jonas und Markus Schmidt, über die Schädlichkeit des Rauchens aufzuklären und die Menschen fürs Nichtraucherprogramm zu gewinnen. Wer aufhören will, sollte ein Nichtrauchertagebuch führen, raten sie. Möglichst sechs und mindestens drei Tage lang vor jeder Zigarette Tag, Uhrzeit und Situation Situation im Tagebuch vermerken und das Protokoll dann mit dem Rauchentwöhnungsberater besprechen. Unterstützung bietet ein Pflaster, das nach und nach die benötigte Nikotinmenge reduziert und Entzugserscheinungen vermeiden soll.
    Um die persönliche gesundheitliche Situation einschätzen zu können, wird in einem kleinen Sitzungssaal die Messung von Blutdruck, Cholesterin und Körperfettdicke durchgeführt. Diese Werte geben Aufschluss über das individuelle Risiko, an Herz- und Kreislaufleiden zu erkranken. Federführend ist das Institut für Arbeits- und Sozialhygiene Stiftung (IAS). Sandra Ernst, arbeitsmedizinische Assistentin, legt hinter dem Wandschirm die Oberarmmanschette an, um den Blutdruck zu ermitteln.
    Alles in allem: Der Gesundheitstag im Landtag war ein voller Erfolg. Das Angebot zur Grippeschutzimpfung wurde gern angenommen. Der Tag bot den Abgeordneten und Beschäftigten nicht nur Gelegenheit, sich über ihren eigenen körperlichen Status klar zu werden und den Wert von rechtzeitiger Vorbeugung zu erkennen. Hier fanden sich auch konkrete Angebote, was zum Beispiel gegen Nikotinsucht oder quälenden chronischen Kopfschmerz getan werden kann. Dass auch gesundes Hören Voraussetzung für Kommunikation und Verstehen ist, erschien dann im Haus des politischen Gesprächs, dem Landtag, wie eine Binsenweisheit.
    JK

    Bildunterschriften:
    Achtung, gleich piekst es - Vizepräsident Edgar Moron macht (noch) gute Miene angesichts der Nadel, die gleich seinen Oberarm ritzt. Für den Grippeschutz sorgt Dr. med. Henriette Bresser-Morzinck (r.) von der IAS Stiftung.
    Radeln für einen guten Zweck, nämlich die eigene Gesundheit: Landtagspräsidentin Regina van Dinther (2.v.l.) beim Test, assistiert von Vizepräsidentin Angela Freimuth (l.), Vizepräsident Dr. Michael Vesper (2.v.r.) und Melanie Schulte (r.) von der Bay-Rad-Initiative eines Leverkusener Medikamentherstellers.

    ID: LIN01146

  • Starkes Land, starke Fraktion.
    Nordrhein-Westfalen hat für den Bundestag gewählt.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 9 in Ausgabe 10 - 28.09.2005

    Aus Nordrhein-Westfalen ziehen - nach derzeitigem Stand - 132 Männer und Frauen als Abgeordnete in den neuen Bundestag ein. Das ist die größte Landesgruppe. Der Freistaat Bayern folgt mit 89 Sitzen, für Baden-Württemberg - um nur die drei stärksten Kontingente zu nennen - sind es 76.
    Bestimmt damit die "NRW-Fraktion" maßgeblich die Politik, die der nächste Bundestag macht? Abgesehen davon, dass 132 von über 600 Mandaten gerade mal ein knappes Viertel ausmacht und damit nicht einmal entfernt an die Mehrheit herankommt, war das in der Vergangenheit schon nicht so und wird auch in Zukunft nicht so sein. Denn die "NRW-Fraktion" ist eine rechnerische, politisch allenfalls virtuelle Größe: Landsmannschaftliche Herkunft entscheidet nicht über das Abstimmungsverhalten der Bundestagsabgeordneten in nationalen oder internationalen Angelegenheiten. Die sind allein ihrem Gewissen verantwortlich und hin und wieder der Fraktionsdisziplin.
    Vergleicht man das Abschneiden der Parteien in Nordrhein-Westfalen mit dem bundesweiten Ergebnis, dann ist zu sagen: Das bevölkerungsreichste Bundesland hat seine Sonderstellung einmal mehr unterstrichen. Gewiss, auch hier haben die beiden großen Volksparteien Einbußen hinnehmen müssen, aber deutlich weniger als auf Bundesebene. Die SPD verlor deutschlandweit bei den Zweitstimmen 4,2 Prozent, an Rhein und Ruhr nur drei Prozent. CDU/CSU verbuchten auf Bundesebene ein Minus von 3,3 Prozent, in NRW nahm die CDU um weniger als einen Prozentpunkt ab.

    Bundestrend

    Annähernd der Gleichklang bei FDP und Grünen. Ihre Gewinne bzw. Verluste wichen in Land und im Bund nicht signifikant voneinander ab. Anders die neu aufgetretene Linke, die Vereinigung von WASG und PDS: Sie schnitt in NRW mit 5,2 Prozent deutlich schlechter ab als bundesweit, wo sie es auf 8,7 Prozent brachte. Es lässt sich also sagen: Die Menschen an Rhein und Ruhr sind zwar dem Trend gefolgt, aber ihm nicht in vorderster Linie hinterher gejagt. Aber auch diese Zurückhaltung, die man den Westfalen gern und den Rheinländern hin und wieder attestiert, Rheinländern hin und wieder attestiert, würde auf Berlin hochgerechnet dem Bundestag kein anderes Ergebnis bescheren. Rot-Grün hätte, wenn man die 132 NRW-Mandate den politischen Lagern zuteilt, zwar das rechnerische Übergewicht mit 47,6 Prozent, Schwarz-Gelb käme auf 44,4 Prozent. Aber das wäre nur eine relative Mehrheit. Denn in Mandaten ausgedrückt stünden 64 Sitze von Rot-Grün gegen die 61 Mandate einer schwarz-gelben Koalition. Keines der beiden Lager hätte die Mehrheit, die bei 67 liegt. Also auch hier: Hängepartie.
    Schluss mit den Spielereien. Mit Zahlen und Ziffern lässt sich der politischen Meinung der Menschen und besonders ihren Umschwüngen immer weniger auf die Schliche kommen. Das haben die Medien gerade schmerzhaft erfahren, die die Umfrageergebnisse der Demoskopen bis kurz vor der Bundestagswahl kolportierten und daraus ein Ergebnis ableiteten, das so nicht eingetreten ist.
    Blick zurück in den Mai, zur NRW-Landtagswahl. Was sagt die Wissenschaft? NRW-Landtagswahlen sind in Hinblick auf Wahlen im Bund, meint der Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann, "Nach-, Probe- oder Testwahlen". Das stimmt sicher in der Rückschau. Als Prognose für die Entscheidung im Bund taugt die jüngste Landtagswahl wenig. Sonst hätte diese Bundestagswahl anders ausgehen müssen
    JK

    Graphiken:
    Bundestagswahl 2005 - Vorläufiges Ergebnis in NRW (Zweitstimmen in %) Wahlbeteiligung 78,3
    Bundestagswahl 2002 - Vorläufiges Ergebnis für NRW (Zweitstimmen in %) Wahlbeteiligung 80,3
    Differenz (BuWa 02 und 05) in % Wahlbeteiligung -3
    Landtagswahl 2005 - Endgültiges Ergebnis (Erststimmen in %) Wahlbeteiligung 63
    Differenz (LaWa 05 zu BuWa 05) in % Wahlbeteiligung + 15,3
    Quelle: Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik NRW

    ID: LIN01110

  • In NRW gewählte Bundestagsabgeordnete.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 10-11 in Ausgabe 10 - 28.09.2005

    Tabelle, sortiert nach Parteien, mit Namen, Geburtsjahr, Wohnort, Wahlkreis/Landesliste
    Hinweis:
    Das vorläufige Ergebnis beruht auf den Berechnungen des Bundeswahlleiters, bei denen nur die Zweitstimmen in den 298 Wahlkreisen zugrunde gelegt wurden, in denen am 18. September 2005 die Hauptwahl stattgefunden hat. Im Wahlkreis 160 (Dresden I) hat es keine Hauptwahl gegeben hier findet am 2. Oktober 2005 eine Nachwahl statt. Es ist nicht auszuschließen, dass sich durch das Ergebnis dieser Nachwahl Auswirkungen auf die letzten zum Zuge gekommenen Listenplätze in Nordrhein-Westfalen ergeben.

    ID: LIN01179

  • Rolle rückwärts nach vier Monaten.
    Nach der Landtagswahl hat der Wähler die Karten neu gemischt.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 12 in Ausgabe 10 - 28.09.2005

    Der Vorhang ist gefallen. Nordrhein-Westfalen hat gewählt und sein Votum für den neuen Bundestag abgegeben. Schon im Mai dieses Jahres hatten die 13 Millionen Wählerinnen und Wähler ihr Kreuz auf dem Stimmzettel gemacht, damals für den Landtag. Erst Landtagswahl, dann Bundestagswahl - was hat sich an Rhein, Ruhr und Weser alles in vier Monaten getan?
    Dazu muss man nur einen Blick in die regionalen Zeitungen werfen. Am Sonntag wurde gewählt, an den folgenden Tagen konnten die Menschen lesen, was sie angerichtet hatten. "Ein einziger Tag hat die Stimmung in der Landespolitik völlig gedreht: Enttäuscht und wütend zugleich laufen CDU-Abgeordnete durch den Landtag. SPD-Politiker lassen wieder ihre Muskeln spielen - und blasen selbstbewusst zum Angriff auf die schwarz-gelbe Regierung unter Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU)." So formuliert Peter Szymaniak in der Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ).
    Ein ähnliches Bild zeichnen Heinz Tutt und Günther M. Wiedemann im Kölner Stadt-Anzeiger aus der CDU-Wahlkampfzentrale in Düsseldorf: "Statt Partylaune gedrückte Katerstimmung: ,Das kann doch nicht wahr sein‘,meint ein Wahlkämpfer frustriert, als die ersten Prognosen über den Wahlausgang die Runde machen. Die Union bleibt bundesweit klar unter 40 Prozent, verliert in NRW sogar mehr als zehn Prozentpunkte gegenüber ihrem Landtagswahlsieg vor vier Monaten."
    Detlev Hüwel und Thomas Seim titeln in der Rheinische Post: "In NRW wieder alles beim Alten. SPD überraschend stärkste Kraft im Land, CDU enttäuscht über die Ergebnisse. Die Liberalen jubeln über ihre neue Stärke. Grüne zufrieden mit unerwartet hohem Landesresultat." Helmut Breuer resümiert ähnliches in Welt Kompakt: "Vier Monate nach dem tiefen Sturz von Rot-Grün bei der Landtagswahl haben die Wähler in NRW völlig überraschend eine politische Rolle rückwärts vollzogen. In einer von keinem Meinungsforscher bemerkten ,unglaublichen Bewegung‘, so der Bonner Politikwissenschaftler Frank Decker, wählte sie gestern die tief verunsicherte SPD wieder zur klar stärksten Partei im Land."
    Auswege
    Wie soll es weitergehen? Auch darüber machen sich die Kommentatoren der in Nordrhein-Westfalen erscheinenden Zeitungen lebhaft Gedanken. "CDU träumt von Jamaika", ist am 20. September die Schlagzeile auf Seite 1 der WAZ. Das Blatt meint damit eine Schwarz-gelb-grüne Koalition, in jenen Farben also, die der karibische Inselstaat in seiner Fahne trägt. Aber es gibt auch andere Überlegungen. Die Westdeutsche Zeitung erkennt Zeichen für Schwarz-gelb-grün: "Schwarze Ampel steht auf Gelb", macht sie auf Seite 1 der Dienstagausgabe auf und fährt fort: "Unions-Kanzlerkandidatin Merkel will mit FDP und Grünen die Möglichkeiten für eine gemeinsame Koalition ausloten. Die FDP schließt diese nicht mehr aus."
    WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz dagegen meint: "Wenn also rote und schwarze Ampel eher unwahrscheinlich sind und falls Schröder stark genug bleibt, eine große Koalition, die nicht unter seiner Führung steht, gegen die eigenen Genossen zu verhindern, dann bleiben nur: Neuwahlen." Nach diesen verwirrenden Feststellungen steht im Moment nur eines fest: "Deutschland steuert nach dem überraschenden Wahlausgang auf eine beispiellos schwierige Regierungsbildung zu", urteilt die Westfälische Rundschau auf ihrer Titelseite. Da kann dem Wähler schwindelig werden - was hat er angerichtet? Über Nacht die politische Landschaft Nachkriegsdeutschlands umgestürzt? Gemach, meint Chefredakteur Bodo Zapp in der Westfalenpost. "Die Bürger, das steht wohl fest, haben sehr bewusst und sehr politisch denkend gewählt. Weiter mit Rot-Grün wollten sie nicht, ein zu großes Übergewicht der Union aber auch nicht. Die FDP hat einen großen Sympathiebonus erhalten und wird nach Lage der Dinge dennoch kein Korrektiv innerhalb einer schwarz-gelben Koalition sein können. Eine große Koalition, von den Spitzenpolitikern zuvor stets als unglückliche Lösung bezeichnet, erscheint den Wählern offensichtlich als eine gar nicht so schlechte Regierungs-Möglichkeit, in der radikale Reformen wenig Chancen haben." Das sind Sätze, die nach scheltenden Worten, die man am Wahlabend hier und da gehört haben will, sich wie Balsam auf die Seele von verunsicherten Wählerinnen und Wählern legen.
    JK

    ID: LIN01111

  • Keller, Ilka (CDU); Kuschke, Wolfram (SPD); Löhrmann, Sylvia (Grüne); Dr. Papke, Gerhard (FDP)
    "Keine Bundesregierung kann gegen NRW regieren".
    Interviews mit den Sprecherinnen und Sprechern des Hauptausschusses.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 10-11 in Ausgabe 9 - 14.09.2005

    Elf der 16 Bundesländer sind unionsgeführt. Zuletzt sorgte die Landtagswahl in NRW nach 39-jähriger Regierungszeit der SPD für einen historischen Machtwechsel, der über die Landesgrenzen hinaus Wirkung zeigen sollte: Noch am Abend des 22. Mai kündigte der Bundeskanzler Neuwahlen im Bund an. Jetzt blicken alle mit Spannung auf den 18. September. Ist die NRW-Wahl als Präjudiz für die Bundestagswahl zu verstehen? Was würde ein Regierungswechsel auf Bundesebene für NRW bedeuten und welchen Einfluss hat das bevölkerungsreichste Bundesland auf den Wahlausgang? Darüber sprach "Landtag intern" mit Ilka Keller (CDU), Wolfram Kuschke (SPD), Sylvia Löhrmann (GRÜNE) und Dr. Gerhard Papke (FDP).

    Von NRW ausgehend hat schon mehrmals die Bundespolitik eine neue Richtung genommen. Was, schätzen Sie, bewirkt diese Bundestagswahl?

    Keller: Der Sieg der CDU bei uns in NRW hat ja noch am Wahlabend selber dazu geführt, dass der Kanzler Neuwahlen im Bund ausrufen musste. Unser Bundesland ist mit 18 Millionen Einwohnern natürlich ein sehr großer Faktor auch in der Bundespolitik. Und natürlich hat das Ende von Rot-Grün von hier aus Signalwirkung für die ganze Republik. Ein Sieg der Union bei der Bundestagswahl wird mit Sicherheit viele Synergieeffekte bringen. Die Zeit der Ideologien würde endlich zu Ende gehen, mit geballter Kraft könnten wir uns auch bundespolitisch engagieren. Obwohl man mit Umfrageergebnissen und mit Wahlforschung ja immer auch vorsichtig umgehen muss, bin ich für den 18. September zuversichtlich. Die Menschen trauen der Union einen neuen Aufbruch zu, und wir haben auch die Kraft dazu.
    Kuschke: Ich sehe im Ergebnis der NRW-Landtagswahl keine Vorentscheidung für den Ausgang der Bundestagswahl. Das mag in früheren Jahrzehnten einmal gegolten haben. Mittlerweile ist hier eine weitgehende Entkopplung zu beobachten. Konkret wird die Wahl aber darüber entscheiden, ob wir in der Energiepolitik eine umfassende Wende bekommen werden. Es zeichnet sich ja bereits in NRW ab, dass Schwarz-Gelb deutlich andere Schwerpunkte setzt als wir. Darüber hinaus wird darüber entschieden, ob wir den Reformkurs der rot-grünen Koalition fortsetzen können oder ob es zu Brüchen kommen wird. Und wir werden sicherlich in der Steuerpolitik eine interessante Weichenstellung haben. Es wird darum gehen, ob wir Steuergerechtigkeit mit sozialen Differenzierungen bekommen, oder so etwas wie den Kirchhof-Vorschlag, der auf diese Komponente nicht abstellt.
    Löhrmann: Die vorgezogene Bundestagswahl ist zweifellos eine ganz wichtige Wahl. Es geht um die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme, um die Ausrichtung der Umwelt- und Energiepolitik und selbstverständlich auch um die Fortsetzung einer friedensorientierten, erfolgreichen Außenpolitik. Die Erfahrungen der Vergangenheit haben gezeigt: Jede Wahl hat ihre eigenen Gesetze. Der Ausgang der NRW-Landtagswahl im Mai dieses Jahres ist kein Hinweis auf den Ausgang der Bundestagswahl, diesen Automatismus kann ich so nicht herleiten. Gewissheit werden wir aber erst am Abend des 18. September haben.
    Dr. Papke: Das Ergebnis dieser Bundestagswahl ist für NRW von enormer Bedeutung. Der Ausgang wird grundlegende Auswirkungen auf die Reformvorhaben der neuen Landesregierung haben. Wenn der Regierungswechsel in Berlin gelingt, erhält Gelb-Schwarz in NRW Rückenwind. Dies gilt in besonderem Maß beim Ausstieg aus den Steinkohlesubventionen, aber auch bei dem Ziel, Nordrhein-Westfalen beim Wirtschaftswachstum endlich von den Abstiegsrängen weg zu führen und wieder an die Spitze zu bringen. Für die großen Reformthemen, für Deregulierung, Bürokratieabbau und für Impulse auf dem Arbeitsmarkt brauchen wir den Regierungswechsel in Berlin.

    Oskar Lafontaine ist Spitzenkandidat des neuen Linksbündnisses in NRW. Was glauben Sie: Eintagsfliege oder eine grundlegende Veränderung der politischen Landschaft?

    Keller: Das Linksbündnis ist im Augenblick sicherlich eine ernst zu nehmende Kraft. Das belegen ja die Umfragen. In Zeiten des Umbruchs gibt es natürlich immer die Gefahr, dass Menschen verärgert sind und sich Protestparteien zuwenden. Das gilt besonders, wenn ökonomische Opfer unvermeidbar sind. Die Politik ist immer wieder gefordert, die ideologischen Luftschlösser zu entzaubern. Oskar Lafontaine ist für mich ein typischer Populist, der immer dann kneift, wenn er es mit Realitäten zu tun bekommt.Wie dünn das Eis ist, auf dem er programmatisch steht, hat Friedrich Merz bei Sabine Christiansen eindrucksvoll aufgezeigt.
    Kuschke: Ich glaube nicht, dass das Linksbündnis längerfristig eine bedeutende Rolle spielen wird. Die guten Umfragewerte hierzulande lassen sich dadurch erklären, dass Oskar Lafontaine propagiert, er hätte Konzepte zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit. Und Arbeitslosigkeit ist leider ein Thema, das in NRW stärker vertreten ist als in den übrigen alten Bundesländern. Insgesamt können wir aus dem Zuspruch für die Linkspartei lernen: Insbesondere die SPD muss sich die Frage stellen, wie sie künftig ihr politisches Profil schärfen und stärkere Überzeugungsarbeit bei der Vermittlung ihrer Reformpolitik leisten kann.
    Löhrmann: Ich habe mich gewundert: Warum ist der Saarländer Lafontaine Spitzenkandidat in NRW geworden? Lafontaine hat sich selber disqualifiziert, indem er als damaliger Bundesfinanzminister und als SPD-Vorsitzender Hals über Kopf die Flinte ins Korn geworfen hat. Er hätte die Chance gehabt, für Reformen zu sorgen, er hat sie nicht genutzt. Das nehmen ihm viele Menschen bis heute zu Recht übel. Langfristig gesehen räume ich der so genannten Linkspartei keine wirkliche Chance ein. Nach den anfänglich guten Werten zeigt sich, dass sich die Menschen mittlerweile genauer mit dem konkreten Programm auseinander setzen, und sie sehen: Die vollmundigen Versprechungen sind gar nicht finanzierbar und unseriös. Hinzu kommt, dass von Seiten dieser Partei Reformen, die unsere Gesellschaft zukunftsfähig machen, abgelehnt werden. Lafontaine und Co. sind rückwärts gewandt. Und trotzdem müssen wir natürlich ernst nehmen, was die Menschen beunruhigt und was sie zu Protestwählern werden lässt. Ich bin überzeugt, dass Deutschland weitere soziale und ökologische Reformen benötigt, um nach vorne zu kommen. Darüber müssen wir verstärkt den Dialog führen.
    Dr. Papke: Die Lafontaine-PDS ist eine reale Gefahr für Deutschland. Durch sie droht eine massive Verschiebung in der politischen Landschaft. Denn wenn die Reformkoalition aus FDP und CDU bei der Bundestagswahl keine Mehrheit erzielen sollte, müssen wir mit einem rot-rot-grünen Linksbündnis rechnen. Entsprechende Signale auch aus der SPD, etwa von Klaus Wowereit aus Berlin, sind nicht zu überhören. Das wäre der politische Super-GAU für Deutschland. Wir benötigen marktwirtschaftliche Reformen und Wirtschaftswachstum, um Deutschland wieder nach vorne zu bringen - und keine "DDR-light" mit der Lafontaine-PDS. Lafontaine verspricht mit seinen Parolen das Blaue vom Himmel, nur finanzierbar ist davon nichts. In Wahrheit würde die Umsetzung seiner Parolen zu einer Verdopplung statt zu einer Halbierung der Arbeitslosigkeit führen.

    "Bund und Land, Hand in Hand" - dieses Motto hat die Beziehungen zwischen Düsseldorf und Bonn/Berlin lange Zeit bezeichnet. Welche Chancen sehen Sie, dass das auch zukünftig der Fall ist?

    Keller: Ich sehe das aus Sicht der Landespolitik sehr optimistisch: Nach einem Wahlsieg der CDU im Bund ziehen wir an einem Strang. Nicht zuletzt ist dann auch Schluss mit der Blockade zwischen Bundestag und Bundesrat. Für uns in Nordrhein-Westfalen ergeben sich daraus große Chancen: Wir werden von uns aus eine breite Föderalismusdebatte anstoßen und sicherlich auch zu einer großen Reform kommen. Viele Probleme können nur im freundschaftlichen Dialog von Bund und Land wirklich gelöst werden: zum Beispiel eine umfassende Entbürokratisierung, eine Wiederbelebung der sozialen Marktwirtschaft oder eine wirkliche Förderung unserer Familien. "Hand in Hand" werden sich die großen Herausforderungen deutlich leichter bewältigen lassen.
    Kuschke: Dieses Motto wurde sehr stark geprägt durch den Politikstil des früheren NRW-Ministerpräsidenten Johannes Rau. Es ist also nicht neutral zu bewerten: Bis 1998 hat NRW auch schlechte Erfahrungen mit einer unterschiedlichen Farbenlehre zwischen NRW und dem Bund gemacht, beispielsweise was die Finanzierung von Landesvorhaben anbelangte. Es wurde deutlich, dass NRW seinerzeit nicht entsprechend seiner Größe und seiner Bedeutung die geforderte Unterstützung beim Bund geltend machen konnte. Das hat sich 1998 glücklicherweise geändert. Dieses Motto bleibt jedoch eine Worthülse, wenn man es nicht mit konkreten politischen Inhalten füllt. Davon hängt ab, ob eine gleiche politische Farbenlehre bei Land und Bund eher förderlich oder hinderlich ist. Ob also einer Bundeskanzlerin Merkel der Umgang mit den Bundesländern leichter fallen würde, auch wenn diese im Augenblick überwiegend unionsgeführt sind, mag noch dahingestellt sein.
    Löhrmann: Ich glaube, das muss auch in Zukunft weiterhin der Fall sein. NRW ist das größte und bevölkerungsreichste Bundesland. Wir sind darauf angewiesen, dass Entscheidungen, die hier in NRW gewollt sind, im Sinne des föderalen Systems auch in Berlin Unterstützung finden. Umgekehrt muss natürlich auch NRW bundespolitische Weichenstellungen mit dem Bund Hand in Hand nachvollziehen. Deshalb glaube ich, dass keine Bundesregierung letztlich gegen Nordrhein-Westfalen regieren kann. Unabhängig vom Ausgang der Bundestagswahl sollte der Respekt vor der Demokratie gewährleisten, dass dieser Grundsatz weiterhin Geltung behält.
    Dr. Papke: Das hängt entscheidend vom Ausgang der Bundestagswahl ab. Ich warne wie gesagt eindringlich vor den Folgen eines rot-rotgrünen Linksbündnisses, das uns droht, wenn die Reformkoalition aus FDP und CDU bei der Bundestagswahl keine Mehrheit bekommen sollte. Sofern Gelb-Schwarz nach dem 18. September auch im Bund die Regierung stellt, wird es mit Sicherheit auch zwischen Land und Bund zu einer hervorragenden Zusammenarbeit kommen. Dann wird die nordrhein-westfälische Landesregierung bei ihren ehrgeizigen Zielen gestärkt und kann das Land zügig modernisieren.

    Die Interviews führten Jürgen Knepper und Axel Bäumer.

    ID: LIN01075

  • Ansprechpartner der Bürger.
    Neue und alte Koalition streiten über die Reform der Polizei.
    Titelthema / Schwerpunkt;
    Plenarbericht
    S. 10 in Ausgabe 8 - 01.09.2005

    Weniger Polizisten an Schreibtischen und mehr auf die Straße - dieses Reformziel soll durch die Reduzierung der Zahl der Polizeibehörden erreicht werden. Die GRÜNE-Fraktion bezog sich in ihrem Antrag "Neuordnung der Polizei für mehr Sicherheit umsetzen" (Drs. 14/24) auf Bestrebungen von SPD, Grünen und FDP, auf der Grundlage eines Kommissionsberichts die Kreispolizeibehörden neu zu organisieren. Mit den Stimmen von CDU und FDP wurde der Antrag vor der Sommerpause abgelehnt.
    Monika Düker (GRÜNE) warb in dieser Sache für eine Koalition der Vernunft für bessere Strukturen in Nordrhein-Westfalen. Die sollte sich gegen "Lobbyinteressen der Landräte" durchsetzen. Nötig sei, die jetzt 50 Kreispolizeibehörden auf zwölf bis 16 zu reduzieren, das hätten auch alle anderen Bundesländer gemacht. Die Landesregierung forderte sie auf, den Mut zu dieser strukturpolitischen Entscheidung für mehr Sicherheit aufzubringen. "Machen Sie die Innenpolitik Nordrhein-Westfalens nicht zur bundesweiten Lachnummer", forderte sie den Innenminister des Landes auf.
    Dr. Karsten Rudolph (SPD) verwies darauf, dass die Behördenstrukturen in diesem Bereich ein halbes Jahrhundert alt seien und den Anforderungen der Zeit angepasst werden müssten. Die Regierung wolle zwar die Bezirksregierungen und die Landschaftsverbände abschaffen, "aber dort, wo Sie die Chance haben, sofort und ohne großen Aufwand mehr Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land umzusetzen, herrscht vom ersten Tag des Regierens an Reformstillstand". Ob es wirklich dabei bleiben solle, dass es in NRW 50 Behörden gebe, die für die innere Sicherheit zuständig seien? Durch eine gute Polizeireform kämen über 2.000 Polizisten zusätzlich in den Streifendienst. Dafür habe sich bis vor kurzem auch die FDP noch eingesetzt.
    Theodor Kruse (CDU) stellte fest: "Ihre einzige Intention ist es, die Unterschiede zwischen FDP und CDU verdeutlichen zu wollen." Es sei richtig, dass die neuen Koalitionspartner hinsichtlich einer weitergehenden Strukturreform unterschiedliche Auffassungen verträten. Dennoch gebe es ein außerordentlich hohes Maß an Gemeinsamkeiten. Darum beginne mit dem Ergebnis der Landtagswahlen vom 22. Mai ein neues Kapitel der inneren Sicherheit in NRW, betonte Kruse: "Die Neuausrichtung dieser Politik erfordert Zeit, Kraft und Mut. Wir sind dazu bereit." Man lade die anderen Parteien ausdrücklich zur Mitarbeit ein.
    Horst Engel (FDP) warf Rot-Grün vor, sie hätten vor einem Jahr die Tür für eine frühzeitige Neuorganisation zugeschlagen. Jetzt gehe das nicht mehr. Angesichts von Weltjugendtag und Fußball-Weltmeisterschaft-Standorten in NRW habe man keine Zeit mehr zum "Üben". Seine Partei sei für die Binnenreform nach dem Grundsatz, "weniger verwalten, mehr fahnden". Zurück zu den Kernaufgaben Gefahrenabwehr, Prävention, Hauptunfallursachen und Kriminalitätsbekämpfung. Die alte Koalition habe dagegen das aus der Privatwirtschaft stammende neue Steuerungsmodell ohne Prüfung auf Tauglichkeit für die Polizei nahezu dogmatisch übertragen. Man habe Polizeiwachen geschlossen. Ziel der Reform der neuen Koalition sei, "1.840 Polizeibeamte, die den Steuerzahler richtig viel Geld kosten, dorthin zu bringen, wofür sie ausgebildet wurden, nämlich in den operativen Dienst".
    Innenminister Dr. Ingo Wolf (FDP) betonte, die Neuordnung sei ein zentrales Anliegen der Landesregierung: "Wir wollen eine Stärkung der inneren Sicherheit in Nordrhein-Westfalen. Wir wollen eine effiziente und effektive Polizei." Die Polizei solle Ansprechpartner der Bürger in Fragen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sein. Wolf: "Wir wollen weniger Straftaten. Wir wollen die Aufklärungsquote verbessern." Dazu werde die Organisation gestrafft und die Polizei auf ihre Kernaufgaben konzentriert und vor allem die Präsenz der Polizei erhöht. Es gebe keinen Königsweg; Aufgabe des Innenministeriums sei, die Vorstellungen der Koalitionspartner und alle weiteren Vorschläge in die Überlegungen zur Optimierung der Polizeiorganisation einzubeziehen. Da nicht mehr Beamte eingestellt werden könnten, "müssen wir auf andere Weise versuchen, Personal für den unmittelbaren Dienst am Bürger zu gewinnen", betonte der Minister und wunderte sich über die "Krokodilstränen" der alten Koalition über die nicht zustande gekommene Reform - das stelle der früheren Regierungsarbeit ein "katastrophales Armutszeugnis" aus.

    Bildunterschrift:
    Immer ein offenes Ohr für die Bürger: Nicht selten werden die Polizeibeamten vor dem Landtag von Passanten angesprochen und um Rat gefragt.

    ID: LIN01038

  • "Balance zwischen Freiheit und Sicherheit".
    Innenminister lehnt flächendeckende Videoüberwachung in NRW ab.
    Titelthema / Schwerpunkt;
    Ausschussbericht
    S. 11 in Ausgabe 8 - 01.09.2005

    Innenminister Dr. Ingo Wolf (FDP) nutzte die erste reguläre Sitzung des Innenausschusses (Vorsitz Winfried Schittges, CDU), um den Abgeordneten die innenpolitischen Schwerpunkte der schwarz-gelben Landesregierung vorzustellen: "Wir werden in Nordrhein-Westfalen eine Kultur des Hinsehens etablieren", kündigte der Minister an. Gleichzeitig erteilte er Forderungen, eine flächendeckende Videoüberwachung des öffentlichen Raumes nach englischem Vorbild auch hierzulande einzuführen, eine klare Absage. Grundlage einer verantwortungsvollen Innenpolitik müsse es sein, "Balance zwischen Freiheit und Sicherheit" zu wahren.
    Mit einer Änderung des Polizeigesetzes hatte der nordrhein-westfälische Landtag im Juli 2003 die Regelungen für die Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen durch die Polizei gelockert. Bislang nutzen aber lediglich vier der insgesamt 49 Kreispolizeibehörden in NRW die gesetzliche Möglichkeit der Videoüberwachung, berichtete Landeskriminaldirektor Rolf Behrendt dem Innenausschuss. Gefilmt wird in Bielefeld, Coesfeld, Düsseldorf und Mönchengladbach.
    Die Terroranschläge in London und die dort praktizierte, nahezu lückenlose Videoüberwachung des gesamten innerstädtischen Bereichs haben auch in NRW Forderungen nach einer deutlichen Ausweitung der Videoüberwachung laut werden lassen. Doch wie bereits der Innenminister warnte auch Behrendt vor "Schnellschüssen": Das Beispiel London habe gezeigt, dass durch die Videoüberwachung öffentlicher Plätze die Attentate nicht verhindert werden konnten. Bei der Fahndung und Aufklärung hingegen habe sie sich als "wichtig und wirkungsvoll" erwiesen. Ein abschließendes Urteil blieb er aber schuldig. Fachgremien der Innenministerkonferenz prüften derzeit das Für und Wider solcher Überwachungen.
    Auch Innenminister Dr. Wolf (FDP) versuchte zu relativieren: "Ein absoluter Schutz vor Terroristen ist in einer offenen Gesellschaft, für die ich mit allem Engagement eintrete, kaum möglich." Im Kampf gegen den internationalen Terrorismus nannte Wolf eine weitere Stärkung des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums (GTAZ) in Berlin und die Schaffung einer gemeinsamen Anti-Terror-Datei von Polizei und Nachrichtendienst als "den angemessenen Weg". Persönlich setze er sich dabei für die Schaffung einer Index-Datei ein.
    Darüber hinaus kündigte der Innenminister grundlegende Änderungen bei der Polizei an: Ziel sei es, die Polizeistrukturen zu straffen und somit mehr Beamte für Fahndung statt für Verwaltung einzusetzen. Die Polizei soll aus der Zuständigkeit der Regierungspräsidien herausgelöst werden. Zudem soll durch die Zusammenlegung von Inspektionen und Leitstellen Personal für den Streifendienst freigestellt werden. Die Landräte bleiben indes weiter zuständig für Polizei.

    Digitalfunk

    Als weiteres Ziel nannte Wolf die zügige Einführung des Digitalfunks. "Es ist nicht weiter hinnehmbar, dass Deutschland im Bereich der polizeilichen Kommunikation das Schlusslicht in Europa ist." Trotz der schwierigen Haushaltslage wolle er hierfür in den nächsten Jahren rund 250 Millionen Euro bereitstellen. Vermutlich werde es jedoch nicht gelingen, den Polizeifunk bis zur Fußballweltmeisterschaft komplett umzustellen. Nur in Köln und im Aachener Grenzgebiet werde dies voraussichtlich gelingen. Besser sieht es da schon bei der Reiterstaffel der Polizei aus. Geplant sind zwei landesweite Reiterstaffeln mit jeweils 25 Pferden. Diese sollen bereits bei der Fußball-WM zum Einsatz kommen.
    Noch in dieser Legislaturperiode will Wolf den finalen Rettungsschuss, also die Tötung eines Täters im äußersten Notfall, gesetzlich verankern, um Rechtssicherheit für die Polizeibeamten zu schaffen.
    Für die Opposition erklärten Dr. Karsten Rudolph (SPD) und Monika Düker (GRÜNE), Wolfs Konzept sei enttäuschend. Es sei nicht ersichtlich, wie der Innenminister sein Ziel, mehr Polizeibeamte in den Streifendienst zu verlagern, tatsächlich erreichen wolle. "Auch von den groß angekündigten Neuerungen keine Spur", so Düker weiter. Wolf wies die Kritik zurück: "Wir können in 60 Tagen nicht aufholen, was zuvor in langen Jahren versäumt wurde." Mit Blick auf die im nächsten Jahr anstehende Fußballweltmeisterschaft gab sich Wolf zuversichtlich:"Wir sind gut gerüstet", das habe der engagierte und besonnene Einsatz von Polizei, Feuerwehr, Katastrophenschutz und den Hilfsorganisationen beim Weltjugendtag gezeigt.
    ax

    Zusatzinformation:
    Blick ins Polizeigesetz NRW
    "Zur Verhütung von Straftaten kann die Polizei einzelne öffentlich zugängliche Orte, an denen wiederholt Straftaten begangen wurden und deren Beschaffenheit die Begehung von Straftaten begünstigt, mittels Bildübertragung beobachten und die übertragenen Bilder aufzeichnen, solange Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass an diesem Ort weitere Straftaten begangen werden. Die Beobachtung ist, falls nicht offenkundig, durch geeignete Maßnahmen erkennbar zu machen."
    (Auszug aus § 15a PolG NRW: Datenerhebung durch den offenen Einsatz optisch-technischer Mittel)

    ID: LIN01040

  • Kruse, Theodor (CDU); Dr. Rudolph, Karsten (SPD); Düker, Monika (Grüne); Engel, Horst (FDP)
    "Weniger verwalten - mehr fahnden".
    Interviews mit den innenpolitischen Sprecherinnen und Sprechern.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 12-13 in Ausgabe 8 - 01.09.2005

    Die jüngsten Terroranschläge in London haben auch hierzulande die Menschen verunsichert. Der Ruf nach strengeren Kontrollen und härteren Gesetzen wird lauter. Doch bedeutet mehr Überwachung zwangsläufig mehr Sicherheit? Einen hundertprozentigen Schutz kann es nicht geben. Trotzdem ist die Frage erlaubt, wie es in Nordrhein-Westfalen derzeit um die Sicherheit bestellt ist - gerade im Hinblick auf die bevorstehende Fußballweltmeisterschaft. "Landtag intern" sprach darüber mit Theodor Kruse (CDU), Dr. Karsten Rudolph (SPD), Monika Düker (GRÜNE) und Horst Engel (FDP).

    Das Bundesverfassungsgericht verbietet die präventive Telefonüberwachung nach niedersächsischem Vorbild. Gleichzeitig fordern viele Politiker eine härtere Gangart bei der inneren Sicherheit. Gibt es ähnliche Bestrebungen auch in NRW?

    Kruse: Die Entscheidung der Richter des Bundesverfassungsgerichts haben wir mit Respekt zur Kenntnis genommen, diese schwächt aber die Polizei im Kampf gegen den Terrorismus. Datenschutz darf nicht dazu führen, dass ein effektives Handeln der Polizei nicht mehr möglich ist. Für NRW bedeutet das, dass wir das Urteil detailliert prüfen und bei einem etwaigen Gesetzesvorhaben in NRW berücksichtigen werden. Gegebenenfalls werden wir eine Modernisierung der Strafprozessordnung im Grundgesetz anregen. Die Zeit, aus der das Grundgesetz stammt, lässt sich nicht mit der heutigen Gefährdungslage vergleichen. Hier sind Veränderungen seitens des Staates überlegenswert.
    Dr. Rudolph: Das Bundesverfassungsgericht hatte zwei Gründe, die präventive Telefonüberwachung, wie in Niedersachsen praktiziert, abzulehnen. Zum einen aus formellen Gründen, da in diesem Bereich das Gesetzgebungsrecht beim Bund liegt. Zum anderen aus materiellen Gründen, weil die Karlsruher Richter die Begründung für Telefonüberwachungen als zu unspezifisch werteten. Vor diesem Hintergrund gehe ich nicht davon aus, dass NRW die gleichen Fehler begehen wird. Abgesehen davon ist die Frage legitim, ob die derzeitigen Mittel der inneren Sicherheit hierzulande ausreichen, oder ob sie punktuell verschärft werden müssen. Wir sollten uns noch darüber im Klaren sein, dass es einen hundertprozentigen Schutz vor terroristischen Anschlägen niemals geben kann.
    Düker: Die vermeintlich einfache Gleichung mancher Politiker: mehr Überwachung gleich mehr Sicherheit geht nicht auf. Einen absoluten Schutz vor Terroranschlägen kann es nicht geben. Wer dieses verspricht, handelt unredlich. Das zeigen auch die Ereignisse in London: Die flächendeckende Videoüberwachung hat die Anschläge nicht verhindern können. Was immer wir im Hinblick auf eine bessere Prävention und Bekämpfung von Terrorismus in Erwägung ziehen: Oberste Maxime unserer Politik muss immer das Gleichgewicht zwischen Sicherheit und Freiheit sein. Sicherheit ohne Freiheit ist kein erstrebenswertes Ziel. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil zur präventiven Telefonüberwachung die Grenze richtig gesteckt: Die Verhältnismäßigkeit muss gewahrt bleiben. Der Zweck heiligt eben nicht die Mittel!
    Engel: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts stellt klar, dass es im Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit einer ausgewogenen und verfassungsgemäßen Balance bedarf. Auch in Zeiten, wo schreckliche Anschläge wie die in London und Madrid passieren, darf der Staat nicht abstrakte Sicherheitsgesetze erlassen und nicht hinreichend bestimmte polizeiliche Eingriffe erlauben. Daher spricht sich die FDP-Fraktion gegen die präventive Telefonüberwachung auf Landesebene aus. Die entsprechenden gesetzlichen Regelungen sind auf Bundesebene abschließend in der Strafprozessordnung geregelt. Ein zentraler Punkt ist für uns die Beseitigung bestehender Vollzugsdefizite bei den Sicherheitseinrichtungen. Die Freiheit des Einzelnen ist das Immunsystem unserer weltoffenen Gesellschaft. Es muss sorgfältig darauf geachtet werden, dass nicht viele "Viren" das Gesamtsystem kippen.

    Großereignisse wie die Fußballweltmeisterschaft 2006 stehen vor der Tür. Ist NRW für diese Herausforderung gut gewappnet - auch ohne den digitalen Polizeifunk?

    Kruse: Ob es möglich sein wird, den digitalen Polizeifunk bis zur Fußballweltmeisterschaft 2006 in NRW einzuführen, ist fraglich. Wir werden uns aber auf Bundesebene für ein gemeinsames Lage- und Analysezentrum von Bundesnachrichtendienst, Bundesamt für Verfassungsschutz, Militärischer Abschirmdienst und Bundeskriminalamt einsetzen. Zur Verbesserung des Informationsaustausches zwischen den Sicherheitsbehörden halten wir außerdem die Einrichtung einer zentralen Anti-Terror- Datei für dringend notwendig, um den Informationsaustausch unter den Sicherheitsbehörden zu verbessern. Darüber hinaus müssen wir die Instrumente, die das Zuwanderungsgesetz seit dem 1. Januar 2005 bereithält, konsequent anwenden.
    Dr. Rudolph: Mit Blick auf die Fußball-WM 2006 war der Weltjugendtag sicherlich eine wichtige Erfahrung: Wir werden uns von den Sicherheitsexperten erklären lassen, was gut funktioniert hat und wo nachgebessert werden muss. In der Frage der technischen Hilfsmittel sind wir in NRW relativ weit. Noch im letzten Nachtragshaushalt hat der Landtag 275 Millionen Euro eingestellt, um Polizei- und Rettungskräfte rechtzeitig zur WM mit digitaler Funktechnik auszustatten. Das Problem ist, dass der Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums zur Einführung des Digitalfunks derzeit im Vermittlungsausschuss des Bundesrates auf Eis liegt. Einige unionsgeführte Länder fordern eine Überarbeitung des Entwurfs. Aufgrund dieser Blockade rechne ich nicht mehr damit, dass wir den Digitalfunk rechtzeitig verfügbar machen können.
    Düker: Polizei und Rettungsdienste haben den Weltjugendtag gut über die Bühne gebracht. Die erfolgreiche Generalprobe lässt für die Weltmeisterschaft hoffen, auch wenn dort auch andere Gäste zu erwarten sind. Dennoch brauchen wir den digitalen Polizeifunk. Wir erwarten von der neuen Landesregierung, dass unsere Vorarbeiten zur Einführung des Digitalfunks weitergeführt werden und unsere Polizei den Digitalfunk so schnell wie möglich einsetzen kann. Weitere Verzögerungen können wir uns im Interesse der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger nicht leisten.
    Engel: Die Polizei in NRW leistet vorbildliche Arbeit und ist für Großereignisse wie die WM 2006 gut gewappnet. Dies hat der überaus Dr. Rudolph: Mit Blick auf die Fußball-WM 2006 war der Weltjugendtag sicherlich eine wichtige Erfahrung: Wir werden uns von den Sicherheitsexperten erklären lassen, was gut funktioniert hat und wo nachgebessert werden muss. In der Frage der technischen Hilfsmittel sind wir in NRW relativ weit. Noch im letzten Nachtragshaushalt hat der Landtag 275 Millionen Euro eingestellt, um Polizei- und Rettungskräfte rechtzeitig zur WM mit digitaler Funktechnik auszustatten. Das Problem ist, dass der Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums zur Einführung des Digitalfunks derzeit im Vermittlungsausschuss des Bundesrates auf Eis liegt. Einige unionsgeführte Länder fordern eine Überarbeitung des Entwurfs. Aufgrund dieser Blockade rechne ich nicht mehr damit, dass wir den Digitalfunk rechtzeitig verfügbar machen können. Düker: Polizei und Rettungsdienste haben den Weltjugendtag gut über die Bühne gebracht. Die erfolgreiche Generalprobe lässt für die Weltmeisterschaft hoffen, auch wenn dort auch andere Gäste zu erwarten sind. Dennoch brauchen wir den digitalen Polizeifunk. Wir erwarten von der neuen Landesregierung, dass unsere Vorarbeiten zur Einführung des Digitalfunks weitergeführt werden und unsere Polizei den Digitalfunk so schnell wie möglich einsetzen kann. Weitere Verzögerungen können wir uns im Interesse der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger nicht leisten. Engel: Die Polizei in NRW leistet vorbildliche Arbeit und ist für Großereignisse wie die WM 2006 gut gewappnet. Dies hat der überaus Dr. Rudolph: Mit Blick auf die Fußball-WM 2006 war der Weltjugendtag sicherlich eine wichtige Erfahrung: Wir werden uns von den Sicherheitsexperten erklären lassen, was gut funktioniert hat und wo nachgebessert werden muss. In der Frage der technischen Hilfsmittel sind wir in NRW relativ weit. Noch im letzten Nachtragshaushalt hat der Landtag 275 Millionen Euro eingestellt, um Polizei- und Rettungskräfte rechtzeitig zur WM mit digitaler Funktechnik auszustatten. Das Problem ist, dass der Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums zur Einführung des Digitalfunks derzeit im Vermittlungsausschuss des Bundesrates auf Eis liegt. Einige unionsgeführte Länder fordern eine Überarbeitung des Entwurfs. Aufgrund dieser Blockade rechne ich nicht mehr damit, dass wir den Digitalfunk rechtzeitig verfügbar machen können. Düker: Polizei und Rettungsdienste haben den Weltjugendtag gut über die Bühne gebracht. Die erfolgreiche Generalprobe lässt für die Weltmeisterschaft hoffen, auch wenn dort auch andere Gäste zu erwarten sind. Dennoch brauchen wir den digitalen Polizeifunk. Wir erwarten von der neuen Landesregierung, dass unsere Vorarbeiten zur Einführung des Digitalfunks weitergeführt werden und unsere Polizei den Digitalfunk so schnell wie möglich einsetzen kann. Weitere Verzögerungen können wir uns im Interesse der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger nicht leisten. Engel: Die Polizei in NRW leistet vorbildliche Arbeit und ist für Großereignisse wie die WM 2006 gut gewappnet. Dies hat der überaus erfolgreiche Verlauf des Weltjugendtages mit über einer Millionen Menschen in Köln und Umgebung gezeigt. Hingegen verlangt das Hooliganproblem natürlich ergänzende Einsatzkonzeptionen. Auch können Terroranschläge nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Aber eine effektive länderübergreifende Arbeit bereits im Vorfeld der WM, die Präsenz der Polizei und gezielte Kontrollen an gefährdeten Orten werden den Besuchern größtmögliche Sicherheit bieten. Der digitale Polizeifunk muss ungeachtet hiervon schnellstmöglich flächendeckend eingeführt werden. NRW wird hierbei eine Vorreiterrolle übernehmen.

    Die Neuordnung der Polizei ist angekündigt. Mehr Präsenz auf der Straße ist gewollt. Lässt sich dies mit den geplanten Mitteln der derzeitigen Landesregierung realisieren und finanzieren?

    Kruse: Aus dem vorhandenen Personal der Landesverwaltung werden wir qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewinnen, die die Verwaltungsarbeit bei der Polizei übernehmen. Durch diese Maßnahmen entstehen keine Mehrausgaben, weil die Binnenorganisation optimiert wird. Durch die Bündelung von besonderen Aufgaben - zum Beispiel Mordkommission, Staatsschutz und Terrorbekämpfung - werden überflüssige Bürokratiestrukturen abgeschafft und Effizienzgewinne erzielt. Außerdem werden die bisher bei den Bezirksregierungen angesiedelten Polizeiabteilungen aufgelöst und verbleibende Aufgaben an Polizeibehörden verlagert. Auch durch diese Umstrukturierungen werden Synergieeffekte erzielt und Kosten eingespart.
    Dr. Rudolph: Wer mehr Polizei auf die Straße bringen möchte, muss eine grundlegende Polizeireform wagen. Diese wird anfangs zwar mehr Geld kosten, auf längere Sicht jedoch strukturelle Einsparungen ermöglichen. Die jetzige Landesregierung lässt jedoch eine grundlegende Polizeireform vermissen, da sich CDU und FDP nicht auf ein Wie einigen können. Der neue Innenminister beweist zudem wenig Weitblick, wenn er jetzt an einigen Stellen wie der Autobahnpolizei, der Wasserschutzpolizei und der Reiterstaffel eine Neuordnung ankündigt, ohne dass ein tatsächlicher Nutzen erkennbar ist. Mein Vorschlag: eine gut vorbereitete, grundlegende Polizeireform, die nach der Fußball-WM startet.
    Düker: Die Pläne der neuen Landesregierung für die Neuordnung der Polizei bringen nicht mehr Polizei auf die Straße. Nicht Flickschusterei an einzelnen Teilen der Polizeiorganisation ist notwendig, sondern ein Konzept aus einem Guss. Rot-Grün hatte mit der deutlichen Reduzierung der Behörden ein solches Konzept, welches Einsparungen und mehr Personal auf der Straße gebracht hätte. Für diese Reform fehlt der neuen Landesregierung aus Rücksicht auf die Lobby-Interessen der Landräte der Mut. Nur mit der Einführung der Reiterstaffeln und dem "Reförmchen" bei der Autobahnpolizei lässt sich die Polizei nicht fit machen für die neuen Herausforderungen im Kampf gegen Kriminalität und Terrorismus. Die Chance für eine wirkliche Neuordnung der Polizei und damit für mehr Sicherheit wird von Schwarz-Gelb ohne Not verspielt.
    Engel: Für die Neuanstellung von dringend benötigten Polizeibeamten über den Pensionsausgleich hinaus fehlt das Geld, da Rot-Grün eine katastrophale Haushaltslage mit mehr als 109 Milliarden Euro Schulden hinterlassen hat. Einzige Möglichkeit, mehr Polizisten auf die Straße und zum Bürger zu bringen, ist eine Binnenreform der Polizei. Dabei werden 1.840 Beamte aus der Verwaltung für den operativen Dienst im Wach- und Wechseldienst, Bezirks- und Ermittlungsdienst gewonnen. Weniger verwalten - mehr fahnden ist das Ziel.

    Die Interviews führte Axel Bäumer.

    ID: LIN01042

  • Spitzensport made in NRW.
    Editorial / Kommentar / Blickpunkt;
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 2 in Ausgabe 7 - 14.07.2005

    "Die Sportseite lese ich immer zuerst." Fast jeder Mitarbeiter einer Tageszeitung kennt diesen Spruch. Denn die Sportseite berichtet über das, was die Menschen erreicht haben. Nordrhein-Westfalen hat da viel vorzuweisen. Spitzensportler kommen aus NRW - und werden es auch weiterhin tun.
    Da gibt es zum Beispiel den Kölner Lukas Podolski, der mit seinen gerade mal 18 Jahren in der Deutschen Nationalmannschaft kickt und als Torschützenkönig gefeiert wird. Anne Poleska aus Essen hatte mit ihren 24 Jahren bei der Olympiade in Athen im vergangenen Jahr gleich Bronze auf 200 Meter Brustschwimmen für Deutschland geholt. Manch einer erinnert sich noch an Jürgen Hingsen, den aus Duisburg stammenden bekannten Zehnkämpfer und dreifachen Weltrekordhalter der 80-er Jahre.

    Medaillen-Land
    Die Liste könnte beliebig fortgeführt werden. Da gibt es noch die Hockey-Weltmeisterin Tina Bachmann aus Duisburg, den Radrennfahrer Erik Zabel aus Unna, den Zweier-Kanadier-Goldmedaillengewinner, Tomasz Wylenzek aus Essen, und natürlich die beiden Schumacher-Brüder aus Kerpen, die Millionen Menschen an Formel-1-Renntagen vor den TV-Bildschirmen fesseln. Und dann gibt es noch die vielen nicht so bekannten Sportlerinnen und Sportler aus NRW, die in einem Verein aktiv sind.
    Jetzt stehen die World Games vor der Tür - in Duisburg, Mülheim, Oberhausen und Bottrop. Nächstes Jahr glänzt NRW mit gleich drei Spielstätten bei der Fußballweltmeisterschaft: Dortmund, Schalke und Köln. Spitzensport bringt Geld ins Land, kurbelt die Wirtschaft an und schafft Vorbilder für die Jugend. Mit 20.000 Sportvereinen wartet NRW auf. Fünf Millionen Menschen finden dort Fitness, Spaß und soziale Kompetenz.
    Nur an den Schulen in Deutschland hakt es: Jede vierte Sportstunde fällt aus, der Unterricht wird oft von sportfremden Lehrern ausgeführt. Das will die neue Landesregierung ändern und mehr Sport in den NRW-Schulen anbieten. Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers verspricht, alles zu tun, um die Sportvereine zu unterstützen. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung entschied jetzt das neue Parlament: Sportpolitik wird weiterhin in einem eigenen Ausschuss beraten. Jetzt gilt es die Rahmenbedingungen für die Vereine so zu gestalten, dass mehr junge Leute Lust auf Sport haben. Dabei müssen Politik, Verbände und Vereine an einem Strang ziehen.
    SH

    ID: LIN00994

  • "Werbung für unser Land".
    Das westliche Revier präsentiert sich als Gastgeber für die World Games.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 17 in Ausgabe 7 - 14.07.2005

    Am 14. Juli ist es soweit: Die World Games 2005 in Duisburg werden eröffnet. Neben Duisburg sind Bottrop, Mülheim an der Ruhr und Oberhausen zehn Tage lang Gastgeber der internationalen Spiele der nicht-olympischen Disziplinen.
    Mit 40 Sportarten, davon sechs Einladungssportarten, 3.400 Sportlern aus 90 Nationen, 27 Sportstätten und 500.000 erwarteten Zuschauern sind die World Games 2005 das international größte Multi-Sport Ereignis in 2005. Die Weltspiele bieten zudem nicht nur einzigartige Sportleistungen in Disziplinen wie Karate, Sumo, Tanzen und Rugby, sondern auch ein auf hohem Niveau angesetztes Kulturprogramm mit Gastauftritten, unter anderem von Nena bei der Eröffnungsfeier in der MSV-Arena Duisburg.
    Die World Games 2005 verdanken ihre Verwirklichung nicht zuletzt dem Sportausschuss des Landtags: Er hat sich immer wieder, über Fraktionsgrenzen hinweg, dafür eingesetzt, dass diese Spitzenveranstaltung in NRW möglich wird. Der neue Parlamentarische Staatssekretär für Sport, Manfred Palmen, dazu: "Wir, die Bürgerinnen und Bürger, freuen uns auf die großen Sportereignisse in NRW. Wir werden ein herzlicher Gastgeber sein, der seine Stärken zeigen, und für unser Land werben wird. Diese Ziele verbinden wir mit den World Games in Duisburg, insbesondere mit der Fußballweltmeisterschaft 2006, den Weltreiterspielen in Aachen, der Feldhockey WM der Herren in Mönchengladbach sowie mit der Kanu WM der Herren 2007."
    Der Sport ist seit jeher wichtiger Bestandteil der nordrhein-westfälischen Landespolitik. Deutlich wird die Bedeutung des Sports in Artikel 18 der Landesverfassung, der seit 1992 bestimmt: "Sport ist durch Land und Gemeinden zu pflegen und zu fördern." Damit steht der Sport auf gleicher Stufe mit Kunst, Kultur und Wissenschaft. In Nordrhein-Westfalen waren im Jahre 2004 an die fünf Millionen Mitglieder in mehr als 20.000 Sportvereinen zu verzeichnen, davon mehr als zwei Millionen Kinder und Jugendliche bis 27 Jahre. Dies zeigt, dass der Sport besonders für die Jugend eine bedeutende Rolle spielt. Darum haben sich alle Landtagsfraktionen im Sportausschuss intensiv für die Breitensportentwicklung und Förderung des Schulsports eingesetzt. Wegen der schlechten Haushaltslage konnte allerdings auch der Sport von Einsparungen nicht verschont bleiben.
    Von Beginn an hat sich der Sportausschuss für die World Games im Revier engagiert. Seit 1999 wurde das Thema Weltspiele um die 18-mal in Sitzungen behandelt, Veranstalter und Organisatoren kamen dabei zu Wort. Nach anfänglichen Problemen bei der Finanzierung dieses Großprojekts konnte bei der Bundesregierung ein Zuschuss in Höhe von zwei Millionen Euro locker gemacht werden. Die Landesregierung drückt ihre finanzielle Unterstützung in einem Betrag von rund 2,4 Millionen Euro aus. Doch angesichts der leeren Landeskasse müssen die Austragungsstädte den Großteil der entstehenden Kosten in Höhe von acht Millionen Euro übernehmen.
    Trotz aller absehbaren Einschnitte: Im Koalitionsvertrag wollen CDU und FDP die Sportförderung des Landes auf einem angemessenen Niveau halten. Mit der Verlegung des Sportressorts in den Aufgabenbereich des Innenministeriums mit einem neuen Staatssekretär für Sport soll das Bündnis von Sport, Politik und Wirtschaft verfestigt werden. Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers (CDU) versicherte auf der Mitgliederversammlung des Landessportbundes Nordrhein-Westfalen Ende Juni, dass die "Landesregierung alles tun wird, um die Sportvereine in NRW zu unterstützen. Großereignisse sind wichtig, um Kraft daraus zu schöpfen, aber noch wichtiger ist, was sich in den Städten, Stadtteilen und Vereinen selbst tut - dass da richtig was los ist".
    CG

    Bildunterschrift:
    Wecken Interesse und machen neugierig - die bunten Plakate mit den nicht alltäglichen Sportarten, die es in den nächsten Tagen im Revier zu sehen gibt.

    Zusatzinformationen:
    World Games 2005
    - 3.400 nominierte Sportler aus 40 internationalen Sportverbänden
    - jüngster Sportler im Castingsport (14 Jahre alt), ältester Sportler in Bogenschießen (57 Jahre alt)
    - 40 Sportarten, darunter 6 Einladungssportarten
    - 90 teilnehmende Länder
    - ca. 500.000 erwartete Besucher
    - 27 Sportstätten in einem 25 km Radius gelegen
    - 178 Medaillenwettbewerbe
    - 963 Medaillen, davon 500 für Einladungsdisziplinen
    - seit 1. Dezember 2004 ca. 54.000 verkaufte Tickets (Stand 30. Juni)
    - es müssen 150.000 Tickets verkauft werden, um das Budget zu decken
    - Etat: 14.838 Millionen Euro
    - 3.000 Helferinnen und Helfer Sport in NRW Sport in NRW
    - 5 Millionen Sportler in NRW
    - 20.000 Vereine
    - Durchschnittlich 251 Mitglieder je Verein
    - Aktive Sportler drei Monate bis 99 Jahre alt
    - Etwa 550.000 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
    - 2 Millionen Kinder und Jugendliche bis 27 Jahre
    - Rund 200.000 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer in der Jugendarbeit
    - Fußball und Leichtathletik beliebteste Sportarten bei Jung und Alt

    ID: LIN01009

  • Müller, Holger (CDU); Peschkes, Hans Theo (SPD); Dr. Vesper, Michael (Grüne); Rasche, Christof (FDP)
    "Kooperation hat Priorität!"
    Interviews mit den sportpolitischen Sprechern der Fraktionen.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 18-19 in Ausgabe 7 - 14.07.2005

    Sport macht Spaß, Sport ist gesund und das Angebot an Sportarten wird immer bunter. Trotzdem klagen viele Sportvereine im Lande über sinkende Mitgliederzahlen. Viele Kinder und Jugendliche verbringen mittlerweile ihre Freizeit häufig lieber Zuhause vor dem Computer als auf dem Sportplatz. Über Probleme, Chancen und Prespektiven im Bereich der Sportpolitik sprach Landtag intern mit Holger Müller (CDU), Hans Theo Peschkes (SPD), Dr. Michael Vesper (GRÜNE) und Christof Rasche (FDP).

    Immer weniger Kinder- und Jugendliche gehen in die Vereine. Wie kann der Sportausschuss diesem Trend entgegensteuern?

    Müller: Die Auswirkungen des demographischen und sozialen Wandels in der Gesellschaft bekommen auch die Sportvereine und -verbände zu spüren. Diesem Problem möchte die CDU-Fraktion mit dem "Zukunftsprojekt Verein 2015" entgegenwirken. Ich bin der Meinung, dass die Politik enge Kontakte zu den Vereinen pflegen muss. Zentraler Ansprechpartner ist hierbei der Landessportbund, der die Interessen der Vereine vertritt. Kooperation hat Priorität! Darüber hinaus ist und bleibt es Aufgabe der Politik, den Sport insgesamt im gesellschaftlichen Zentrum stärker zu verankern. Sport ist schließlich nicht nur der Gesundheit zuträglich, sondern fördert auch die soziale Kompetenz und die Integration.
    Peschkes: Der Mitgliederschwund ist kein spezifisches Problem der Vereine. Die Angebotspalette im Freizeitbereich ist mittlerweile riesig geworden. Die Vereine stehen zu diesen Angeboten in Konkurrenz. Die Politik hat die Pflicht, die Vereine zu unterstützen. Zwar kann Politik die Kinder und Jugendlichen nicht in die Vereine bringen, aber sie muss die Rahmenbedingungen schaffen. Die alte Landesregierung hat das gemacht, indem sie zum Beispiel die Übungsleiterpauschale geschaffen hat. Diese muss erhalten bleiben. Aber auch die Vereine selbst sind gefordert. Sie müssen sich neuen Angeboten öffnen. Denn der Bedarf ist da. Das verrät ein Blick auf die Fitness-Studios, die trotz hoher Mitgliedsbeiträge boomen.
    Dr. Vesper: Immer noch binden die Vereine Millionen von Kindern und Jugendlichen an sich; mehr als jede andere gesellschaftliche Organisation. Damit das auch so bleibt, müssen die Vereine etwas tun. In dem Wort "attraktiv" steckt ja auch das Wörtchen "aktiv" - das heißt, wer sich fantasievoll und engagiert um Kinder und Jugendliche bemüht und auf gesellschaftliche Trends eingeht, der wird damit Erfolg haben. Der Sportausschuss kann im Gespräch mit dem organisierten Sport dabei mithelfen, dass die Vereine sich den Zeichen der Zeit stellen: Es gibt mittlerweile eine große Konkurrenz zwischen kommerziellen Anbietern wie Fitness-Studios und den Vereinen. Die Vereine dürfen sich jedoch nicht schmollend in die Ecke zurückziehen, sondern müssen darauf sehr selbstbewusst reagieren. Hier muss der Ausschuss motivierend auf die Vereine einwirken.
    Rasche: Das Ehrenamt ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Jugendsportförderung. Derzeit sind rund 550.000 Ehrenamtliche tätig, die fünf Millionen Sportler in 20.000 Vereinen fördern. Wenn der Staat diesen Aufwand betreiben wollte, müsste er Milliarden investieren. Dieses Geld hat er aber nicht. Von daher müssen wir alles tun, um das Ehrenamt zu unterstützen. Der Sportunterricht an den Schulen ist ebenfalls ein wichtiger Punkt. Für viele Kinder und Jugendliche ist er der Einstieg in die Welt des Sports. Darüber hinaus muss man vermehrt über eine Kooperation in der Jugendarbeit nachdenken. Da die Zahl der qualifizierten Betreuer sinkt, müssen wir die Kräfte über Vereinsgrenzen hinweg bündeln. Wichtig ist zudem, dass wir Bürokratie abbauen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die bürokratischen Hürden auch für Vereine und Verbände zugenommen haben. Hier müssen wir entgegenwirken.
    Müller: Der Sport fasziniert viele Menschen. Das gilt vor allem für den Spitzensport, dessen Aufgabe ich darin sehe, die Massen einerseits zu begeistern, andererseits aber auch an den Sport heranzuführen. Sicherlich dient Spitzensport in erster Linie der Unterhaltung. Aber insbesondere Kinder und Jugendliche eifern nicht selten ihren Idolen nach und kommen darüber dann selbst zum Sport. Von daher halte ich gerade die Fußballweltmeisterschaft für eine ganz wichtige Veranstaltung, die Vorbildcharakter hat. Darüber hinaus bietet sie eine hervorragende Gelegenheit, für unser Land zu werben. Diese Chance müssen wir nutzen. Ein Land, das wesentlich vom Export und seinen außenpolitischen Beziehungen lebt, muss sich auch international präsentieren. Sicherlich dürfen dabei finanzielle Aspekte nicht vollkommen aus dem Blickfeld gerückt werden.
    Peschkes: Wenn man Sportgroßereignisse nur auf die Frage der Finanzen reduziert, ist das zu kurz gedacht. Das Land finanziert diese Ereignisse nicht. Es hat lediglich versprochen, die Verkehrsinfrastruktur bereitzustellen und in gewissem Maße Ausfallbürgschaften zu übernehmen. Die World Games und die Fußball-WM bringen dem Land einen riesigen Imagegewinn: Es zeigt sich, dass NRW ein weltoffenes Land ist. Es zeigt sich auch, dass das klischeehafte Bild vom Standort für Schwerindustrie in dem Maße gar nicht mehr gilt. NRW ist viel mehr, nämlich ein Sport- und Kulturstandort. Großereignisse haben aber auch einen materiellen Wert: Die angeschlagene Baubranche profitiert, nationale und internationale Besucher bringen Kaufkraft ins Land. Und man darf nicht vergessen, dass Großereignisse immer andere Großereignisse nach sich ziehen.
    Dr. Vesper: Die Fußballweltmeisterschaft ist ja nicht nur ein großer sportlicher Event, sondern auch ein großes Geschäft. Insofern ist die Fußball WM sicherlich kein Zuschussgeschäft, wo Steuergelder verbraten werden. Im Gegenteil: Die nordrhein-westfälische Wirtschaft wird hiervon profitieren. Bei den World Games sieht es vielleicht ein bisschen anders aus. Hierfür hat NRW Mittel zur Verfügung gestellt. Als Sportminister habe ich selbst fünf Jahre an der Vorbereitung dieser Spiele mitgearbeitet und ich freue mich darauf. Wer heute im Sport als Land eine Rolle spielen will, der muss sich fähig zeigen, Veranstaltungen wie die World Games auszurichten. Wenn das positiv läuft, dann wird das auch weitere Großveranstaltungen nach sich ziehen. Von daher sage ich: Auch das ist gut investiertes Geld!
    Rasche: Sportgroßereignisse wie die World Games oder die Fußballweltmeisterschaft sehe ich in erster Linie als Chance für NRW. Wir haben die Möglichkeit, Weltoffenheit zu zeigen. Sportliche Großereignisse sind längst nicht mehr "nur" Sport, sondern sie sind wichtige wirtschaftliche Impulse für die gesamte Region. Natürlich stehen wir auch vor erheblichen Anstrengungen, vor allem im Bereich Infrastruktur und Sicherheit. Doch von neuen Infrastrukturmaßnahmen profitieren wir nicht nur während des eigentlichen Ereignisses, sondern auf Dauer. Gerade im Bereich Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hat NRW noch einiges aufzuholen.

    Welche persönlichen Schwerpunkte setzten Sie in der Sportpolitik in den nächsten fünf Jahren?

    Müller: Ich werde mich sicherlich dem Schwerpunkt Sportschulen widmen. Ich selbst bin ein begeisterter Anhänger des Spitzensports. Von daher halte ich die Idee, landesweit fünf neue Sportschulen einzurichten, für den richtigen Ansatz. Auf diesem Wege wäre es möglich, die sportliche Förderung des Nachwuchses mit einer soliden Schulausbildung zu kombinieren. Eine ebenso wichtige Rolle spielt aber auch der Breitensport. Breitensport lässt sich jedoch nur über das Ehrenamt organisieren und aufrechterhalten. Ein weiterer Schwerpunkt in der Landessportpolitik wird also die Förderung des Ehrenamtes sein. Denn ohne Ehrenamtler wäre unser Land gesellschaftlich mausetot.
    Peschkes: Die sportliche Infrastruktur muss erhalten bleiben. Wir müssen die Vereins- und Jugendarbeit weiter fördern. Für die SPD kann ich jetzt schon versprechen: Sollte die neue Landesregierung meinen, im Bereich Übungsleiterpauschale kürzen zu müssen, wird es einen ‚heißen Tanz‘ geben. Für mich persönlich kann die Drop-Out-Problematik in den nächsten fünf Jahren ein Thema werden. Dabei geht es um die Karriereplanung von Sportlern, die keine Fußball- oder Tennismillionäre sind. Diesen Menschen müssen wir Perspektiven aufzeigen. Bisher ist es so, dass Wirtschaft und Werbung Spitzensportler gerne nutzen, solange sie Spitzenleistungen erbringen. Die Politik muss sich aber auch um diejenigen kümmern, deren Existenz nach Karriere-Ende nicht gesichert ist. Denen müssen wir neue Perspektiven aufzeigen.
    Dr. Vesper: Ich möchte dazu beitragen, dass der exzellente Ruf, den NRW als Sportland genießt, bestätigt und noch weiter ausgebaut wird. Außerdem werde ich mich dafür einsetzen, dass wir es jetzt schnell angehen, ein Sportgesetz zu schaffen, damit die konkrete Unterstützung des Sports in einem Landesgesetz verankert wird. Darüber hinaus war und ist mein Arbeitsstil, den direkten Kontakt zu den Sportorganisationen zu suchen und zu pflegen, von ihnen zu lernen, Anregungen aufzunehmen und diese dann politisch umzusetzen.
    Rasche: Ein Schwerpunkt ist der Schulsport. Ziel der schwarz-gelben Bildungsoffensive wird es unter anderem sein, dafür zu sorgen, dass möglichst kein Sportunterricht mehr ausfällt. Von drei vorgesehenen Sportunterrichtsstunden pro Woche finden oftmals nur ein oder zwei Stunden statt. Zudem brauchen wir qualifizierte Unterrichtskräfte. Ein anderer Punkt ist, dass wir den Sport wieder verstärkt in das gesellschaftliche Bewusstsein holen müssen: Egal ob Kinder, Jugendliche oder Erwachsene: Sport macht Spaß, Sport erhöht das individuelle Wohlbefinden, beugt gesundheitlichen Schäden vor und hilft beim Erlernen des sozialen Umgangs.

    Die Interviews führten Stephanie Hajdamowicz und Axel Bäumer.

    Bildunterschrift:
    Die World Games und die Fußballweltmeisterschaft stehen vor der Tür. Kann sich das Land in Zeiten leerer Kassen solche Großereignisse überhaupt noch leisten?

    ID: LIN01012

  • Das lernende Parlament.
    Editorial / Kommentar / Blickpunkt;
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 2 in Ausgabe 6 - 22.06.2005

    Nordrhein-Westfalen hat sich für den Wechsel entschieden. Am 22. Juni wird Dr. Jürgen Rüttgers (CDU) zum neuen Ministerpräsidenten gewählt. Sein Kabinett steht noch nicht vollständig fest. Solange die neue Regierungsmannschaft nicht vom Ministerpräsidenten ernannt worden ist, führen die rot-grünen Ministerinnen und Minister ihr Amt geschäftsführend weiter. Das regelt die Landesverfassung im Artikel 62.
    Auch die Verwaltung des Landtags mit ihren 317 Beschäftigten muss sich umstellen. Landtagspräsidentin Regina van Dinther sprach in ihrer Antrittsrede von einem "Rollenwechsel" im neu gewählten Landtag zwischen Regierungsunterstützung und Oppositionsarbeit. Dieser Übergang verlief bisher reibungslos und kollegial. Sie sprach von einem "lernenden Parlament", das sich der schwierigen Haushaltssituation mit nahezu leeren Kassen und den großen wirtschaftlichen Problemen des Landes stellen muss. Das gilt auch für die Verwaltung mit ihren 170 Frauen und 147 Männern und den zehn Auszubildenden.
    Engagement
    Als Dienstleister für die Bürgerinnen und Bürger des Landes muss der Landtag stärker in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt werden. Die Präsidentin selber will dafür sorgen, dass der Landtag noch mehr als bisher für die Bürgerinnen und Bürger im Lande geöffnet wird. Besonders die junge Generation will sie für politisches und gesellschaftliches Engagement begeistern: "Um damit einen Beitrag zu leisten, unsere Demokratie lebendig und zukunftssicher zu machen."
    Viele Bürger fragen sich zurzeit, was es bedeutet, wenn das Parlament von 231 auf 187 Abgeordnete geschrumpft ist? Auch vielen sind die Folgen der geplanten Reduzierung der bisher 23 Ausschüsse nicht klar. Weniger Abgeordnete gleich weniger Arbeit: das scheint nicht so zu sein. Denn die Abgeordneten müssen sich um die Probleme von über 18 Millionen Menschen kümmern. Ihre Wahlkreise sind größer geworden. Das heißt, sie werden mobiler sein, um ihre Wähler vor Ort zu erreichen.
    Sinn macht die Verkleinerung allemal. Kosten werden gespart. Vernünftig ist auch die Reduzierung der Ausschüsse. Denn bisher war es so, dass derselbe Minister oftmals hintereinander drei Ausschüssen Rede und Antwort stehen musste. Wenn es gelingt, die Ausschüsse so zusammenzufassen, wie die neuen Ministerien gebildet werden, dann ist NRW einen Schritt näher zum Bürokratieabbau gerückt.
    SH

    ID: LIN00976

  • Die Abgeordneten des 14.Landtags Nordrhein-Westfalen.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 6-9 in Ausgabe 6 - 22.06.2005

    Alphabetisch sortierte Fotoübersicht

    ID: LIN00983

  • 187 Sitze für den neuen Landtag.
    Editorial / Kommentar / Blickpunkt;
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 2 in Ausgabe 5 - 25.05.2005

    Daumen hoch für Rüttgers! Er und die CDU haben die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gewonnen. Hut ab für Ministerpräsident Peer Steinbrück, denn der agierte vor den Medien als fairer Verlierer. Doch was ändert sich jetzt im Düsseldorfer Landtag? Alles. Die CDU hat mit der FDP die Mehrheit und stellt die Regierung. Und ganz nebenbei wackelt auch noch die Bundesregierung nach Kanzler Schröders Ankündigung für Neuwahlen im Herbst.
    Hier die Fakten für NRW: Der neue Landtag hat nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis 187 Sitze. Da die CDU in den Wahlkreisen mehr Direktmandate errungen hat, als ihr nach dem prozentualen Wahlergebnis zustehen, musste die Landtagssitzzahl von der Regelzahl 181 auf 187 aufgestockt werden. Die CDU allein stellt 89 Abgeordnete, die SPD hat 74 Sitze, die Grünen kommen auf 12, genauso viele wie die FDP mit ebenfalls 12.
    Weniger Abgeordnete
    Dieser Landtag ist deutlich kleiner als der bisherige. Bisher saßen 231 Abgeordneten im Parlament am Rhein. Doch nicht nur die Zahl der Abgeordneten wurde vor der Wahl reduziert, auch die Wahlkreise haben einen neuen Zuschnitt. Statt 151 Wahlkreise wie bei der Wahl 2000 gab es dieses Mal nur 128 Wahlkreise.
    Während sich schon kurz nach der Wahl die neu gewählten Abgeordneten ihren Arbeitsplatz im Parlamentsgebäude - mal mit, mal ohne Medien - anschauten, sendeten einige TV- und Hörfunksender noch weiter live aus dem Landtag. Die anderen Medienvertreter bauten bereits in der Nacht nach der Wahl ihre Studios ab. Aus dem Pressezentrum im Plenarsaal wird jetzt wieder flugs ein neues Parlament für die frisch gewählten Abgeordneten geschaffen. Denn die Zeit drängt: Am 8. Juni konstituiert sich der neue Landtag, am 22. Juni wird der Ministerpräsident gewählt.
    Weniger Frauen
    Ein Wermutstropfen bleibt: der Frauenanteil. Denn der ist im Vergleich zum letzten Landtag deutlich gesunken. Waren im alten Parlament, das sich im Jahr 2000 zusammensetzte, noch 31,2 Prozent Frauen, so sind es jetzt nur noch 27,3 Prozent. Bei der CDU sind es insgesamt 12,4 Prozent Frauen (21,6 Prozent waren es im Jahr 2000), bei der SPD 41,9 Prozent (2000 waren es 37,3 Prozent), bei der FDP sind es 25,0 Prozent (die Zahl ist gleich geblieben zu 2000), bei den GRÜNEN sind es 50 Prozent Frauen, im Jahr 2000 waren es noch 52,9 Prozent.
    SH

    ID: LIN00608

  • Vorläufiges Ergebnis der Landtagswahl.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 3 in Ausgabe 5 - 25.05.2005

    Tabelle: hier nicht erfasst!

    Bildunterschrift:
    Versöhnlicher Handschlag nach der Debatte in der "Elefantenrunde" (v. l.) Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD), Umweltministerin Bärbel Höhn (GRÜNE), Dr. Ingo Wolf (FDP) und Dr. Jürgen Rüttgers (CDU).

    ID: LIN00609

  • Nordrhein-Westfalen hat gewählt.
    Am Tag danach: Die Presse über Gewinner und Verlierer.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 10 in Ausgabe 5 - 25.05.2005

    Der Wahlausgang in NRW sorgte für lebhafte Presse-Kommentare im In- und Ausland. Die Neue Zürcher Zeitung beispielsweise spricht von einem erwartungsgemäßen "Hammerschlag" für Rot-Grün: "Die SPD hat in Nordrhein- Westfalen verloren, weil ihre an sich richtigen Reformen von vielen als unzumutbar empfunden worden waren." Auch die inländische Presse zeigte sich wenig verwundert über den Machtwechsel. Für wirkliche Überraschung sorgte hingegen die Reaktion des Bundeskanzlers, der für den Herbst vorgezogene Bundestagswahlen ankündigte.
    "Was für eine Entscheidung! Die SPD verliert mit Pauken und Trompeten die nordrhein-westfälische Landtagswahl und kündigt für den Herbst vorgezogene Bundestagswahlen an. (...) Diese Konsequenz hatte keiner der politischen Beobachter auf seinem Radarschirm. (...) Mit der Wiederwahl von Rot-Grün können Kanzler und Parteichef nicht ernsthaft rechnen. Das einstige Modell ist nach dem Verlust der Macht in Nordrhein-Westfalen endgültig zum Auslaufmodell gestempelt worden." Westdeutsche Zeitung
    "Rüttgers ist in NRW gelungen, woran vor ihm Heinrich Köppler, Kurt Biedenkopf, Bernhard Worms und Norbert Blüm gescheitert sind: er hat die SPD von einem Sockel gestoßen, der den Sozialdemokraten zu gehören schien. Peer Steinbrück hat nicht verhindern können, was sich seit langem abgezeichnet hat und ihm nicht anzurechnen ist: den Absturz der einst so stolzen und starken rheinisch-westfälischen Sozialdemokratie. (...) Jenseits des Norddeutschen Steinbrück fehlt es der SPD in Düsseldorf an gewinnenden Personen und frischen Ideen." Westdeutsche Allgemeine Zeitung
    "Der große Knall von Nordrhein-Westfalen hat die Republik verändert. (...) Der zweitmächtigste Mann in der CDU heißt nun Jürgen Rüttgers. Stärker ist in der Union nur noch Stoiber. NRW steht vor einem Kurswechsel: bei Schule, Bürokratie, Energie. (...) Um Peer Steinbrück, den integren Antreiber, die tragischste Figur der SPD, kann es einem Leid tun. Er zahlt den Preis für das Ende des Rheinischen Kapitalismus, der die SPD 39 Jahre lang trug." Rheinische Post
    "Das Wahlergebnis von Nordrhein-Westfalen hat an den faktischen Kräfteverhältnissen im Bund eigentlich nichts Entscheidendes verschoben. Gleichwohl hat sich am Sonntagabend die Republik verändert: Der Kanzler steht auf Treibsand, die SPD am Abgrund, die grüne Partei in allen Landtagen in der Opposition; die Merkel-CDU steht fast am Gipfel, und Westerwelle, trotz des für ihn dürftigen Ergebnisses, feixend daneben." Süddeutsche Zeitung
    "Der Kanzler spürt: Nach der schweren Schlappe im SPD-Stammland an Rhein und Ruhr, nach der elften Landtagswahl-Niederlage seit 1998, kann Rot-Grün in Berlin nicht weitermachen wie bisher. (...) Neuwahlen als Ausweg, das zeugt von einem Gefühl der Ausweglosigkeit. (...) Die CDU kann sich da gar nicht verweigern. Das ist Schröders kleiner Triumph, in dieser für ihn bitteren Stunde." Bild
    "Die SPD hat die letzte Karte gezogen. In einer dramatischen Geste macht sie aus ihrem Debakel in NRW den Auftakt des Bundestagswahlkampfs - und das Ende von Rot-Grün. Es wird eine Wahl zwischen Union und SPD allein. Die SPD wird ihn aufladen als Kampf gegen eine ‘schwarze Republik’. (...) Mit dem Beginn des Wahlkampfes haben die Grünen ihn bereits verloren, sie sind sterblich. Ihre Zeit in der Regierung ist vorbei." Welt Kompakt
    "In der Düsseldorfer Staatskanzlei muss Rüttgers nun beweisen, dass mit der CDU/ FDP-Koalition alles besser im Land wird. Der Regierungswechsel allein bewirkt keine Wunder. Dem psychologischen Ruck werden nun Taten folgen müssen. Denn so recht konkret ist der neue Ministerpräsident bislang nicht geworden. Sein Hang zum Ungefähren ist ein Charakterzug, den Rüttgers in der harten Regierungsrealität ablegen muss." Neue Rhein Zeitung
    "Das Schicksal der letzten rot-grünen Landesregierung ist besiegelt. Im zweiten Anlauf hat Rüttgers gleich sein doppeltes Meisterstück abgeliefert. Mit der FDP hat er nicht nur Rot-Grün an Rhein und Ruhr weggeputzt, sondern auch das Regierungsbündnis in Berlin zur Flucht nach vorne gehetzt. (...) Rüttgers hat einen neuen Aufbruch für das Land versprochen - jetzt kann er beweisen, dass er es besser kann als Steinbrück & Co." Express

    ID: LIN00618

  • Ein Wahlabend der Superlative.
    Präzise Vorbereitung und Management sicherten geregelten Ablauf.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 11 in Ausgabe 5 - 25.05.2005

    Eigentlich hätte es eine ganz normale Wahlnacht werden können. Wenn es da im Vorfeld nicht eine Zahl gegeben hätte, die zu denken gab: 1.400 Medienvertreter wollten an diesem Abend des 22. Mai 2005 aus dem Landtag über das Ergebnis - und was es möglicherweise bewerkstelligt - berichten. Knapp 14 Millionen Wählerinnen und Wähler, 1.400 Journalisten, ein Journalist pro 10.000 NRW-Wahlberichtigte - so viel wie noch nie.
    Und so international wie noch nie. Aus Südafrika, Japan, Finnland, den USA und der Ukraine reisten Journalisten an. Ein starkes Kontingent stellte die Türkei: Aus erster Hand wollte man dort wissen, wie NRW die Machtkonstellation in Deutschland verändert - und damit die Beitrittschancen des eigenen Landes zur Europäischen Union.
    Bis die Bilder, Kommentare und Daten aus dem Landtag gesendet werden konnten, hatten sich alle Medienvertreter bei der Pressestelle des Landtags anzumelden. Dieses Akkreditierungsverfahren war nötig, um Chancengleichheit in der Berichterstattung herzustellen und gleichzeitig den hohen Sicherheitsanforderungen an diesem Tag zu genügen.
    Ein einsatzbereites Fahrzeug der Feuerwehr stand vor der Tür, dahinter parkte für alle Fälle ein Notarztwagen. Drinnen im Gebäude waren Rettungswege markiert, die Leute des Brandschutzes hatten ein waches Auge auf das Geschehen. Hinter den Kulissen sorgten die Frauen und Männer der Technik und des Gebäudemanagements dafür, dass alles reibungslos seinen Gang nahm.
    Tage vorher war der Plenarsaal zu einem gigantischen Arbeitszentrum für über 200 schreibende und fotografierende Journalisten mit zahlreichen Telefonen und Anschlüssen zur drahtlosen weltweiten Datenkommunikation ausgerüstet worden. Während draußen das Fernsehen wirbelte und die zahlreichen Besucherinnen und Besucher der Wahlparty, zu der Landtagspräsident Ulrich Schmidt eingeladen hatte, vorbei flanierten, war das Rund des Plenums eine kühle Oase der Ruhe: Nicht einmal die Bildschirmwand in der Mitte, über die zur Information die laufenden Programme flackerten, behelligte die Atmosphäre engagierten und professionellen Arbeitens.
    Da ging es vor der Tür schon lebhafter zu. Wer das Pech hatte, zur falschen Zeit am richtigen Ort zu sein, der erfuhr am eigenen Leib, wie sich die Mediengesellschaft eine Gasse bahnt. Der Ruf "Rüttgers kommt" oder auch "Steinbrück im Anmarsch" löste in der Bürgerhalle und in der Lobby Unruhe und Bewegung aus. Wer der Kolonne aus Spitzenkandidaten, Sicherheitspersonal, Kameraleuten und Politikertross im Weg stand, wusste im Gedränge kaum, wie ihm geschah. Aber er fand sich rasch an der Seite wieder, während der Trupp vorbeistürmte.
    Gelassener ließen es die Bürgerinnen und Bürger angehen, die nicht im, sondern vor dem Landtag der Dinge harrten. Hier hatte man eine Großleinwand aufgebaut. Ein Öffentlichkeitsarbeiter des Landtags erläuterte die Wahl und das spezielle Wahlverfahren in NRW, wo die Bürger nur eine Stimme haben. Ein paar hundert Schaulustige und Informationshungrige nahmen das Informationsangebot gerne an.
    Sie wurden Zeugen der Gespräche in den Landtagsstudios der großen Sendeanstalten. Folgten den Korrespondentenberichten, lauschten den Kommentaren, hörten und sahen die Interviews mit Parteienvertretern und erlebten, wenn sie lang genug ausgeharrt hatten, als Krönung die "Elefantenrunde". Und alles in frischer Luft, bei angenehmen Temperaturen und im milden Licht der untergehenden Sonne.
    Das war im Inneren des Gebäudes Mangelware. Gedränge, künstliches Licht und hohe Temperaturen ließen den Schweiß fließen und die Gesichter rötlich anlaufen.
    Als eine Dame von der Maske dem unterlegenen SPD-Spitzenkandidaten Steinbrück vor der Elefantenrunde in der Tagesschau der ARD mit dem Schminkpinsel ein wenig die Anspannung aus dem Gesicht nehmen wollte, wehrte der ab und beantwortete die Fragen ungeschminkt - angesichts des Wahlergebnisses ein hanseatischer Zug von Realitätssinn.
    Ganz entspannt dagegen die künftigen CDU/FDP-Koalitionäre Rüttgers und Wolf. Sie traten gemeinsam nach dem Gespräch vor die Fotografen, die alle das beste Bild des Abends machen wollten, und ertrugen ebenso stoisch wie aufgekratzt das Blitzlichtgewitter. Kurz nach 19.30 Uhr verließ Kulturminister Vesper von den GRÜNEN die Stätte der Niederlage in Richtung Stadttor. An der gab es schon früh nichts mehr zu deuteln: Wenige Minuten nach 18 Uhr hatte die erste Prognose des ZDF deutlich gemacht, dass die Wählerinnen und Wähler an diesem Abend den Regierungswechsel erzwungen hatten. Da brandete auf dem Vorplatz zum Landtag kurz Beifall auf. Der oberste Souverän in der Politik, der Wähler, fand ganz in Ordnung, was er angerichtet und wie viel an Reaktion und Verwirrung im offiziellen Berlin er an diesem Abend ausgelöst hatte.
    JK

    Bildunterschriften:
    Drinnen war der Platz knapp. Hier herrschte drangvolle Enge für Gäste, Politiker, Journalisten und die Helferinnen und Helfer.
    Mit Technik voll gepfropft waren die hochmodernen Studios der Fernsehanstalten.

    ID: LIN00619

  • Ergebnisse in den 128 Wahlkreisen.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 12-15 in Ausgabe 5 - 25.05.2005

    Tabelle: hier nicht erfasst.
    Die Tabellen erfassen die Wahergebnisse der Landtagswahl vom 22.05.2005 nach Wahlkreisen und verzeichnen die direkt gewählten Abgeordneten und die Abgeordneten von den Landesreservelisten.

    ID: LIN00620

  • Lebensraum Stadt.
    Editorial / Kommentar / Blickpunkt;
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 2 in Ausgabe 4 - 20.04.2005

    Bis im Jahr 2050 wird der Anteil der unter 25-Jährigen von 21 auf 16 Prozent sinken, der Anteil der 60-Jährigen wird sich dagegen spürbar von 22 auf 37 Prozent erhöhen. Niedrige Geburtenraten, die Folgen des Bevölkerungsrückgangs und die Alterung unserer Gesellschaft stellen große Herausforderungen an die Politik. Der demographische Wandel verändert das Gefüge einer Stadt auf allen Ebenen. Schon jetzt veröden in manchen Städten in Nordrhein-Westfalen einzelne Viertel. Gefordert ist ein Umdenken in der Familien- und Bildungspolitik, in der Arbeitsmarkt- und Zuwanderungspolitik. Nötiger denn je sind neue Akzente in der Stadtplanung und in der Sozialpolitik.
    Es geht um Strategien für die Zukunft. Wenn der Schrumpfungsprozess NRW bereits ab 2010 verändert, müssen Städte und Politik darauf vorbereitet sein. Von gut 18 Millionen soll die Einwohnerzahl im Land bis zum Jahr 2040 auf 16,9 Millionen schrumpfen. NRW reagiert mit dem Programm "Stadtumbau West". Millionen Euro gegen die Verödung maroder Stadtteile.
    Schrumpfungsprozess
    Ein Beispiel: Weniger stark wird Düsseldorf betroffen sein. Doch die Landeshauptstadt sucht nach Ideen, junge Familien wieder zurück in die Stadt zu holen. Denn zurzeit wandern junge, gut verdienende Paare mit ihrem Nachwuchs in den Speckgürtel der Stadt ab, weil sich dort noch frei stehende Eigenheime bezahlen lassen. Gefordert sind jetzt Konzepte, um die Wohn- und Lebensverhältnisse in der Stadt zu verbessern. Wohnungen müssen wieder stärker in die Nähe der Arbeitsplätze rücken.
    Eine Studie: Die Untersuchung eines privaten Wirtschaftsforschungsinstituts besagt, dass die Ruhrgebietsstädte mehr unter dem Schwund an Bürgern leiden als die Rheinstädte. Die Bilanz für NRW fällt düster aus. Essen beispielsweise verliert Jobs und Einkommen, Bochum und Krefeld auch. Nach aktuellen Prognosen schrumpft die Stadt Wuppertal bis zum Jahr 2015 von heute 363.000 auf 342.000 Einwohner. Nur Städte wie Köln, Düsseldorf und Bonn bleiben auf der Gewinnerseite. Sie sind so attraktiv, dass die Menschen trotz hoher Mieten in die City strömen.
    Jetzt geht es darum, dass alle mithelfen müssen: Politik, Wirtschaft, Kultur und Bildung. Städte und Viertel müssen in rasanter Schnelle umgeplant werden. Es gibt kein Konzept für ganz Nordrhein-Westfalen. Jede Stadt hat ihre eigenen benachteiligten Ecken und intakten Strukturen. Eines muss das Ziel aller sein: Städte müssen wieder als Lebensraum interessant werden.
    SH

    ID: LIN00362

  • Nicht mal die Kirche bleibt im Dorf.
    Überalterung und schwindende Bevölkerung verlangen nach Maßnahmen.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 9 in Ausgabe 4 - 20.04.2005

    Die Innenstädte bluten aus, ganze Stadtviertel veröden, nicht einmal die Kirche bleibt im Dorf. Fast die Hälfte ihrer Gotteshäuser, so schätzte jüngst die Evangelische Kirche, ist in Zukunft entbehrlich und soll verkauft werden. Der demographische Wandel schlägt in den nächsten Jahren unbarmherzig zu: Deutschland hat bei schrumpfender Bevölkerungszahl immer weniger Kinder und immer mehr ältere Menschen.
    Die Statistiker nennen die Zahlen. Seit 1972 sterben in Deutschland mehr Menschen als geboren werden. Pro Generation nimmt die Zahl der Neugeborenen um ein Drittel ab. Der Anteil der über 75-Jährigen steigt in NRW von jetzt 1,2 auf 1,8 Millionen im Jahr 2040. Das Verhältnis zwischen Erwerbstätigen und Rentnern liegt derzeit bei 100 zu 44, bis 2040 wird es sich auf 100 zu 63 und im Jahr 2050 auf 100 zu 78 steigern. Zwischen Rhein und Weser werden gut eine Million Menschen weniger leben. Das sind die unabänderlichen Fakten.
    Abwanderung
    Die Prognostiker beschreiben die Folgen. Die großen Städte verlieren, der ländliche Raum gewinnt. Dabei kann man am Ruhrgebiet wie in einem Zukunftslabor erkennen, was sich in 25 Jahren in den anderen Regionen des Landes abspielt. In Essen etwa sind schon heute 96.000 Einwohner unter 17, aber 163.000 über 60 Jahre. Das deutsche Nord-Süd-Gefälle verstärkt sich. Junge qualifizierte Arbeitskräfte wandern an die Isar ab. Vor kurzem hat die Untersuchung eines Wirtschaftsforschungsinstituts für diese Schlagzeile beim "Städte-Ranking" gesorgt: "Ost-Städte ziehen am Ruhrgebiet vorbei. München hat die besten Perspektiven. Leipzig steigt auf. Essen rutscht ab." Zurück bleiben dann die vier "A": Alte, Arbeitslose, Ausländer, Arme.
    Natürlich liegen auch Chancen im Wandel. Ältere Menschen haben meist ein wenn auch bescheidenes Vermögen aufgehäuft. Die "Seniorenwirtschaft" wird sich entfalten und Impulse geben. Weniger Menschen bedeutet auch, dass weniger Energie, weniger Güter produziert und verteilt werden müssen: Verstopfte Innenstädte und Staus auf den Straßen werden seltener. Die Lebensqualität steigt also. Die Immobilienpreise sinken. Im Wohnungsbau tritt an die Stelle der Quantität die Qualität. Der Umbau zum altersgerechten Wohnen kostet Geld - und schafft oder sichert Arbeitsplätze.
    Trotzdem: Bei den Politikern müssen die Alarmglocken schrillen. Die mit der schwindenden Bevölkerung verbundene Umwälzung schreit nach Gestaltung. Wenn sich der Wohlstand in naher Zukunft auf ein paar (meist im Süden gelegene) Zentren konzentriert, was geschieht dann mit dem Rest? Trennt sich Deutschland auch geographisch immer deutlicher in Arm und Reich? Was wird aus dem Verfassungswunsch nach Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet? Und in Sachen NRW: Verdient es dieses Land, das mit seiner Montanindustrie für Wiederaufbau und Wirtschaftswunder in ganz Deutschland gesorgt hat, an den Rand gedrängt zu werden?
    Das sind Fragen, die zwischen Düsseldorf, Berlin und den anderen Bundesländern zu klären sind. Bis zu - eventuellen - Ergebnissen kann niemand vor Ort die Hände in den Schoß legen. Schon heute ist eine Menge zu tun - und das wird getan. In Bielefeld zum Beispiel hat der Rat die erste Beauftragte für Demographie ernannt. Die Uni Bielefeld ist schon seit 20 Jahren Ort für demographische Forschung und Lehre. In Essen gibt es eine "Bleibeprämie" für junge Familien. Überall im Land werden Bau- und Planungssünden der Vergangenheit angegangen. Instandsetzung, Modernisierung und Mieterprivatisierung sind die Schlagworte. Selbst vor Abriss schreckt man nicht zurück - wenn auch in wesentlich geringerem Umfang als bei den Plattenbauten im Osten der Republik.
    Lösungen
    Wie das Ruhrgebiet darf auch ganz NRW nicht zur Abstiegsregion und zum Altersheim werden. Der Kampf gegen Verwahrlosung, Verelendung und Verödung ist überall und von allen zu führen. Lokalpolitiker, Beteiligte und Betroffene versammeln sich am "runden Tisch" und suchen nach ganz eigenen Lösungen. Initiative und Ideen sind gefragt. Auf Fördergelder vom Land allein will (und kann) sich dabei keiner verlassen. "Staatsknete" gibt es zwar ("Stadtumbau West"), aber sie allein ist nicht in der Lage, Engagement und Zivilcourage vor der eigenen Haustür zu ersetzen.

    ID: LIN00374

  • Hilser, Dieter (SPD); Schulte, Bernd (CDU); Brendel, Karl Peter (FDP); Dr. Rommelspacher, Thomas (Grüne)
    Die Stärke der Städte fördern.
    Interview mit den städtebaupolitischen Sprechern.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 10-11 in Ausgabe 4 - 20.04.2005

    Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. 1980 lebten noch knapp 45 Prozent der NRW-Bevölkerung in Großstädten, heute sind es nur noch rund 41 Prozent. Besonders im Ruhrgebiet kämpfen viele Städte gegen sinkende Einwohnerzahlen bei steigender Arbeitslosigkeit. Die Folge: Ganzen Stadtteilen droht Verödung durch Leerstände. Über Ursachen und mögliche Auswege sprach Landtag intern mit Dieter Hilser (SPD), Bernd Schulte (CDU), Karl Peter Brendel (FDP) und Dr. Thomas Rommelspacher (GRÜNE).
    Hohe Arbeitslosenquoten, mehr Senioren und weniger Familien: Welche Richtung schlägt die städtebauliche Entwicklung in NRW in Zukunft ein?
    Hilser: Im Wesentlichen ergeben sich aus der derzeitigen Situation drei Herausforderungen. Aufgrund der Veränderung der Demographie müssen wir etwas für die Urbanität in den Innenstädten tun. Außerdem müssen wir dafür sorgen, dass sich die Wohn- und Lebenssituation in den Siedlungsbereichen verbessert. Darüber hinaus müssen wir Strategien entwickeln, wie man dem Auseinanderdriften von sozial benachteiligten und sozial besser gestellten Stadtteilen entgegenwirken kann. Ein wichtiger Ansatz ist das bundesweit erfolgreiche Programm "Soziale Stadt", bei dem unterschiedliche Politikbereiche wie Bildungs-, Arbeitsmarkt-, Städtebau- und Sozialpolitik integriert an einer Problemlösung arbeiten. Zudem muss die Zusammenarbeit mit den Partnern in den Kommunen ausgebaut werden.
    Schulte: Die Probleme sind vielschichtig: Die großen Städte schrumpfen, die ländlich strukturierten Kreise wachsen. Zudem erfährt die Alterspyramide einen dramatischen Wandel. Die Zahl der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen nimmt um etwa 25 Prozent ab. In gleicher Größenordnung steigt die Zahl der 65- bis 80-Jährigen. Die Zahl der über 85-Jährigen nimmt sogar um ein Drittel zu. Viele junge Familien sehen die Stadt nicht mehr als attraktiven und zukunftsorientierten Lebensraum an. Der so genannte Suburbanisierungsprozess ist in erster Linie geprägt von jungen Familien mit Kindern. Die Ursachen hierfür sind vielfältig: die Lebensqualität in den Städten, die Verkehrsverhältnisse, insbesondere aber auch die Lage in den Schulen. Darüber hinaus ziehen viele Familien ins ländliche Gebiet, um sich den Traum vom eigenen Haus zu verwirklichen, was in den Großstädten aufgrund der hohen Grundstückspreise und der Knappheit der Grundstücke oftmals nicht möglich ist.
    Brendel: Die demographische Entwicklung in NRW verläuft nicht einheitlich. Aufgrund regionaler Unterschiede kann es darauf auch keine städtebaulich einheitliche Antwort geben. Beispiel Dortmund: Durch die Ausweisung von Baugebieten und die Ausweisung von Arbeitsplätzen in Bereichen, die nachgefragt werden, hat Dortmund eine vernünftige Antwort auf die Herausforderung gegeben. Das sieht in anderen Städten anders aus. Hier ziehen die Menschen weg, weil ihre Erwartungen nicht erfüllt werden. Dazu gehören zum Beispiel Familien, die auf der Suche nach qualitativ hochwertigem Wohnraum im städtischen Bereich oft nicht fündig werden. Darüber hinaus geht die demographische Entwicklung auch am ländlichen Raum nicht spurlos vorüber. Wenn man sich große Flächengemeinden anguckt, dann finden sich immer mehr Ortsteile, in denen der Altersdurchschnitt der Bevölkerung über 60 Jahren liegt. Das wiederum wirkt sich auf die Infrastruktur aus. Wir kennen aus NRW Gemeinden, da liegen die Einschulungszahlen für Grundschulen bei vier Kindern. Hier bedarf es einer gründlichen Umplanung.
    Dr. Rommelspacher: Das läuft höchst differenziert. Relativ gut laufen wird es in den nächsten 20 Jahren im Rheinischen. Schwieriger wird es im Bergischen und für das Ruhrgebiet. Hier schrumpfen die Städte mitunter massiv, während Städte wie Münster, Bielefeld und Paderborn eher wachsen. Was die Stadtzentren betrifft, schrumpfen alle Städte in NRW. Wenn Städte wachsen, dann im Umland. Dafür gibt es primär zwei Gründe: Die Suburbanisierung, angeheizt durch Kilometerpauschale, Eigenheimzulage und schlechte Wohnverhältnisse in den Städten sowie das Altern der Gesellschaft. Und beides zusammen schaukelt sich beispielsweise im Ruhrgebiet hoch.
    Wie hilft das Land den Kommunen in Zeiten leerer Kassen? Welche städtebaulichen Instrumente haben sich bewährt und welche müssen gekippt werden?
    Hilser: Ich glaube, dass man auf ein Instrument wie zum Beispiel den Grundstücksfonds in absehbarer Zeit nicht verzichten kann. Allerdings muss er mit Blick auf die Finanzsituation sicherlich anders ausgestaltet werden. Es wird nicht mehr gehen, dass man Grundstücke kauft, entwickelt und darauf hofft, dass man sie dann irgendwann wieder verkaufen kann. Stattdessen muss man dazu übergehen, die Entwicklung und den Verkauf von Flächen Dritten zu überlassen. Das wäre der richtige Weg, um der derzeitigen Finanzsituation Rechnung zu tragen.
    Schulte: Es gibt mit Sicherheit kein kurzfristiges Patentrezept, dafür sind die Verhältnisse der demographischen, sozialen und ethnischen Entmischungsprozesse in einigen Städten beziehungsweise Stadtteilen schon zu weit fortgeschritten. Trotzdem gibt es natürlich Maßnahmen, die zu einer allmählichen Entspannung der Situation beitragen könnten. Ich denke da beispielsweise an die Abschaffung von längst überholten Gesetzesregelungen wie das Zweckentfremdungsverbot oder das Fehlbelegungsrecht. Darüber hinaus gleicht die Hilfe für die Kommunen aufgrund der zur Verfügung stehenden Finanzmasse oftmals nur einem Tropfen auf den heißen Stein.
    Brendel: Antworten auf die Probleme in Städten und Gemeinden lassen sich in vielen Fällen in Zusammenarbeit mit der Wohnungswirtschaft durch eine veränderte Planung herbeiführen. Dafür brauche ich zunächst einmal nicht zwingend Geld in die Hand zu nehmen. Das Land gibt immer noch Geld für Projekte aus, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt sind. Im Bereich des Programms "Soziale Stadt" investiert das Land teilweise große Summen in Wohnquartiere, die einfach nicht mehr zu retten sind. Hier ließen sich Mittel einsparen, ohne dass sich im Ergebnis etwas verändern würde. Und die frei gesetzten Mittel könnten dann wiederum sinnvoll an anderer Stelle eingesetzt werden.
    Dr. Rommelspacher: Es wurde ja gerade auf Bundesebene eine Städtebaureform "im Kleinen" vollzogen. Dadurch gibt es so genannte Stadtumbaugebiete, eine milde Form der Stadtsanierung. Gewisse Instrumente wurden geschaffen, was fehlt, ist Geld. Die zirka 30 Millionen Euro, die wir in NRW jährlich für den Stadtumbau West zur Verfügung haben, sind viel zu wenig. Von daher brauchen wir dringend eine Gemeindefinanzreform. Aus meiner Sicht ist es ein bitterer Rückschlag, dass es dem Bund nicht gelungen ist, diese Reform auf den Weg zu bringen. Das Land NRW ist nicht in der Lage, gegen die Missstände alleine anzufinanzieren.
    Vielen Städten in NRW droht die große Leere. Mangelt es ihnen an Attraktivität? Wie lässt sich die Abwanderung ins ländliche Umland stoppen?
    Hilser: Die uferlose Ausweisung von dauernd neuem Bauland wird diese Entwicklung nicht stoppen. Einerseits schafft man dadurch zwar neue Wohnmöglichkeiten, andererseits wird jedoch die Wohnqualität verschlechtert, da immer mehr Grünflächen verbaut werden. Das Land zielt stattdessen verstärkt darauf ab, innenstadtnahe Brachflächen zu entwickeln, um die Infrastruktur in den Innenstädten zu erhalten und qualitativ zu sichern. Gerade für junge Familien ist nicht nur die Frage wichtig, wo lebe ich, sondern was für infrastrukturelle Angebote habe ich wie Kindertagesstätten, Schulen und Sportvereine. Mittlerweile beobachten wir aber auch eine Entwicklung, die künftig sicherlich noch an Bedeutung zunehmen wird: Ältere Menschen ziehen vermehrt in die Städte zurück. Grund hierfür sind die oftmals unzureichenden Infrastrukturangebote im ländlichen Raum, wo es mitunter ganze Landstriche ohne Arzt und Apotheker gibt.
    Schulte: Wenn man die Städte als Lebensraum interessant halten will, muss man ermöglichen, dass junge Familien dort wieder verstärkt ihre Zukunft sehen. Das bedeutet zum Beispiel, dass in den Städten Bauland zu erschwinglichen Preisen ausgewiesen werden muss, damit junge Familien die Möglichkeit haben, ein Reihenhaus, ein Doppelhaus oder auch Eigentum in einem Geschossgebäude zu erwerben. Wir werden in absehbarer Zeit zwischen den Kommunen einen ähnlichen Wettbewerb um junge Familien erleben, wie es jetzt schon einen Wettbewerb um Arbeitsplätze gibt.
    Brendel: Die Attraktivität einer Stadt entwickelt sich aus der Stadt heraus. Und das ist etwas, was die Kommunalpolitik vor Ort leisten muss. Attraktivitätssteigerung setzt voraus, dass die Stadt erkennt, was ihre Stärken sind und womit sie die Menschen an sich binden kann. Das sind natürlich Arbeitsplätze, das sind aber auch Fragen des Wohnumfeldes. Wenn das alles nicht stimmt, kann ich die Menschen auch durch Imagekampagnen nicht davon abbringen, wegzuziehen.
    Dr. Rommelspacher: Das Altern wie auch die Suburbanisierung gibt es in allen entwickelten Industriegesellschaften. Wir, die Gesellschaft, können aber diese Prozesse gestalten. So belegen zum Beispiel Studien, dass rund ein Viertel der Menschen, die aus den Städten wegziehen, zurückgehalten werden könnte. Sie verlassen die Städte nicht, weil es sie ins Grüne zieht, sondern weil sie nicht die passende Wohnung finden, oder das Umfeld nicht stimmt. Abfangen kann man diesen Prozess durch den Abbau so genannter Pull-Faktoren, sprich Eigenheimzulage und Kilometerpauschale, sowie Push-Faktoren. Das sind zum Beispiel das hohe Verkehrsaufkommen, hohe Mieten und schlechte Infrastrukturen. Wichtig ist jedoch, dass die Probleme vor Ort in den Stadtteilen maßgeschneidert angegangen werden. Und zwar in Kooperation von Gemeinde, Wohnungsunternehmen und Bürgern. Mit pauschalen Lösungen kommen wir nicht weiter.

    Die Interviews führten Stephanie Hajdamowicz und Axel Bäumer.

    ID: LIN00375

  • Imagegewinn für die Städte.
    Editorial / Kommentar / Blickpunkt;
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 2 in Ausgabe 3 - 16.03.2005

    Fast jeder kennt sie, Millionen strömen seit über 20 Jahren hin und viele nehmen Anregungen für das eigene Fleckchen Grün daheim mit: die Landesgartenschauen. Eine gibt es noch in Zeiten leerer Kassen - in vier Wochen in Leverkusen. Dort, wo einst eine Müllkippe war, entsteht gerade blühendes Leben mit Sträuchern, Stauden, Büschen und kleinen Bäumen. Und die Organisatoren erwarten binnen sechs Monaten eine halbe Million Besucher. Doch die Zukunft von Landesgartenschauen in Nordrhein-Westfalen ist ungeklärt. Aus finanziellen Gründen. Denn eine Landesgartenschau kostet das Land ungefähr fünf Millionen Euro.
    Dabei sind aus den einstigen Blümchenschauen anspruchsvolle Themengärten mit Ausstellungen, Spiel- und Sportmöglichkeiten geworden. Ein Treffpunkt für Familien eben. Da sind sich auch die Politiker aller Fraktionen einig. Und keiner will wirklich, dass die Landesgartenschauen vor dem endgültigen "Aus" stehen. Auch wenn erst einmal keine mehr geplant ist.
    Blühendes Leben
    Was bringt denn so eine Landesgartenschau dem Land? Jeder schwärmt heute noch von Oelde. Das war 2001. Die erfolgreichste Schau überhaupt mit über zwei Millionen Besuchern. Und die meisten kamen aus einer Entfernung von bis zu 150 Kilometern. Gebracht haben die Schauen eine Menge: Die Städte, die auf Parks mit Eintritt gesetzt haben, bleiben meist bis heute attraktive Anziehungspunkte für Familien aus der Region und Gäste. In dem Jahr der Gartenschau haben manche Kassen der Einzelhändler und Gastronomen mehr als üblich geklingelt. Und die Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit der eigenen Stadt hat auch zugenommen.
    Die Gegner argumentieren mit den Kosten. Klar, dass das Land sparen muss. Doch es gibt genug Modelle flexibler Finanzierungen mit privaten Sponsoren. So können auch öffentliche Haushalte entlastet werden. Ob nun jedes Jahr oder in einem anderen zeitlichen Rhythmus: Wünschenswert wäre es, wenn dieses anerkannte und bewährte Instrument der städtebaulichen Entwicklung nicht dauerhaft "aufs Eis gelegt" wird. Denn auch wenn manche über den Begriff der "Blümchenschau" schmunzeln, die meisten sind eben genau wegen dieser bunten Blümchen zur Landesgartenschau gekommen.
    SH

    ID: LIN00183

  • Nachdenken in klammen Zeiten.
    Entwicklung, Information, Entspannung - die Wirkung ist vielfältig.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 13 in Ausgabe 3 - 16.03.2005

    Mitte April ist es so weit: Dann öffnet in Leverkusen die diesjährige (und vorerst letzte) Landesgartenschau ihre Pforten. Unterhalb einer Autobahnbrücke und in Nachbarschaft zur imponierenden Industriekulisse der Bayer AG präsentiert sich das 75-jährige Leverkusen als junge Stadt am Rhein mit Rheinpark, Promenade und Schiffsanleger.
    Die Planer von Gartenschauen, scheint es, lieben solche Plätze. Hier können sie so richtig loslegen und alle Register ihres Könnens ziehen. Egal ob es die Brache einer stillgelegten Zeche ist, die neu belebt wird oder die Werksdeponie, wo bis zu zwölf Meter Asche, Bauschutt, Schlacken oder Produktionsrückstände aufgehäuft (und vergessen) wurden. Diese frühere Altlast in der Dhünn-Aue ist jetzt die Bühne für die Leverkusener Gartenschau.
    Solche Verwandlungen kosten Geld - wohl angelegtes Geld, denn durch eine Gartenschau ist das ursprüngliche Gelände nicht wieder zu erkennen. Damit haben die Landesgartenschauen von der "Blümchenschau" früherer Jahre sich zu einem wirksamen Instrument der Stadtentwicklung gemausert - mit positiven ökologischen, sozialen und ökonomischen Folgen.
    Aber das Geld ist in diesen Tagen knapp geworden. Die fünf Millionen Euro, die das Land zur Grundfinanzierung von Landesgartenschauen seit zwei Jahrzehnten zuschießt, waren bei den Haushaltsberatungen für 2003 auf einmal nicht mehr da. Das Landeskabinett entschied: Die Gartenschauen 2004, 2006 und 2007 werden nicht stattfinden. Ein "Erfolgsmodell", wie Landwirtschaftsministerin Bärbel Höhn sagte, hing auf einmal in der Luft.
    Man begann über das Instrument nachzudenken. Eine Reihe von Anregungen hat der Workshop gebracht, der Mitte vergangenen Jahres auf Einladung des zuständigen NRW-Landwirtschaftsministeriums zum Thema "Die Zukunft der Landesgartenschauen in NRW" getagt hat. Die Fachleute waren sich einig, dass Landesgartenschauen ein hervorragendes Instrument der Stadt- und Grünflächenentwicklung sind und noch erhebliches Potential zur Weiterentwicklung bieten.
    Und die Interessengruppen meldeten sich zu Wort. Mit großer Sorge, so ließen die Gartenamtsleiter der Kommunen vor kurzem verlauten, werde die seit zwei Jahren ungeklärte Zukunft der Landesgartenschauen beobachtet. Jeder Euro Landesmittel ziehe das bis zu Fünffache an privaten Investitionen nach sich. Das habe auch arbeitsmarktpolitische Konsequenzen. Der rheinische Gartenbauverband wertete die Landesgartenschauen als Investitionen in die Zukunft und "dringender als je zuvor". Sie brächten Motivation in die gesamte Region und nähmen viele Menschen mit.
    Die Zeit drängt. Wenn es 2009 wieder eine Landesgartenschau geben soll, dann muss das schon bei den Haushaltsberatungen für das Jahr 2006 bedacht werden - so lang ist der zeitliche Vorlauf. Manche Kommune im Land hat Flächen, die dringend saniert und aufgewertet werden müssen. Die Betriebe des heimischen Gartenbaus, von der Konjunktur ohnehin nicht verwöhnt, sind erpicht darauf, ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Bürgerinnen und Bürger wollen sich vor Ort engagieren.
    "Neuland entdecken" lautet das Motto der diesjährigen Landesgartenschau. Diese Aufforderung richtet sich nicht nur an die Leverkusener. Sie kann zugleich als unverblümter Appell verstanden werden, der Landesgartenschau wie einem Baum einen kräftigen Verjüngungsschnitt zu verpassen und damit das weitere Gedeihen zu sichern.

    ID: LIN00201

  • Dr. Scholz, Georg (SPD); Uhlenberg, Eckhard (CDU); Becker, Felix (FDP); Priggen, Reiner (Grüne)
    Positive Signale für die Zukunft.
    Interviews mit den agrarpolitischen Sprechern der Fraktionen.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 14-15 in Ausgabe 3 - 16.03.2005

    1984 öffnete die erste Landesgartenschau in Nordrhein-Westfalen ihre Pforten. Mit der diesjährigen Landesgartenschau in Leverkusen droht eine mehr als 20-jährige Tradition nun zu Ende zu gehen, denn nach derzeitigem Planungstand ist es die letzte. Dabei sind aus allen Landtagsfraktionen Signale für den weiteren Erhalt von Landesgartenschauen zu vernehmen. Haben die Landesgartenschauen in NRW noch Zukunft? Landtag intern sprach mit den agrarpolitischen Sprechern: Dr. Georg Scholz (SPD), Eckhard Uhlenberg (CDU), Felix Becker (FDP) und Reiner Priggen (GRÜNE).
    Wieso leistet sich in Zeiten knapper Kassen Nordrhein-Westfalen noch eine Landesgartenschau?
    Dr. Scholz: Dafür sprechen drei Gründe: Erstens der deutliche Imagegewinn der Städte. Ich kann dies aus Sicht meiner Heimatstadt beurteilen. Hamm war 1984 Ausrichter der ersten Landesgartenschau in NRW. Der Maximillian-Park ist mit bis zu 250.000 Besuchern pro Jahr bis heute einer der Publikumsmagneten in Hamm. Der zweite Grund für Landesgartenschauen ist der strukturpolitische Beitrag, den sie leisten. Um beim Beispiel Hamm zu bleiben: Hier hat man eine ehemalige und vollkommen verwilderte Zechenbrache als Standort für die Landesgartenschau ausgewählt. Als drittes Argument ist der positive wirtschaftliche Effekt auf den Garten- und Landschaftsbau als Gewerbezweig zu nennen. Landesgartenschauen bedeuten Aufträge für die Branche.
    Uhlenberg: Momentan leisten wir uns ja keine mehr. Bereits während der Haushaltsplanberatungen im Dezember 2001 hat sich der Landtag mit diesem Thema intensiv beschäftigt. Damals hat die Landesregierung entschieden, die Landesgartenschauen ab 2005 einzustellen. Im April startet die vorerst letzte in Leverkusen. Meine Fraktion hat damals schon beantragt, weiterhin Mittel im Haushalt bereitzustellen, damit Landesgartenschauen auch nach 2005 noch möglich sind. Es gibt in NRW eine breite Bewegung für den Erhalt der Landesgartenschauen. Das beweist eine Vielzahl von Briefen, die ich von Garten- und Landschaftsbauern sowie Landschaftsarchitekten erhalten habe. Fakt ist: Landesgartenschauen bedeuten Innovation. Für die jeweilige Stadt bzw. Region ist damit eine riesige Attraktivitätssteigerung verbunden. Es gibt Statistiken die besagen, dass jeder Euro Landesmittel das drei- bis fünffache an privaten Investitionen nach sich ziehe.
    Becker: In diesem Jahr haben wir noch die Landesgartenschau in Leverkusen. Ob Weitere folgen werden, ist ungewiss. Wir bedauern das sehr, da wir die Landesgartenschauen als Jobmotor und als Identifikationsmedium der Bürger mit unserem Land sehen. Sicherlich müssen sich die Landesgartenschauen den Haushaltsgegebenheiten anpassen. Beispielsweise brauchen wir nicht jedes Jahr eine Landesgartenschau. Ein Drei- oder Vier-Jahres-Turnus wäre ausreichend. Andere Bundesländer gehen da mit gutem Beispiel voran. Unsere Landesregierung hingegen schafft Landesgartenschauen ab und setzt stattdessen den Schwerpunkt auf die REGIONALEN, eine von den Grünen vorangetriebene Neuerung. Diese konnten allerdings aufgrund ihrer Dezentralität nicht den erhofften Erfolg verzeichnen. Darüber hinaus stehen die REGIONALEN in Konkurrenz zur Landschaftsplanung, so dass ich den Bedarf für die REGIONALEN nicht ganz erkennen kann.
    Priggen: Landesgartenschauen sind ein strukturelles Instrument des Landes zur Unterstützung der Städte und Gemeinden bei der Stadtentwicklung, insbesondere im Bereich der Grün- und Freiflächen. Sie tragen zur Standortsicherung in den einzelnen Kommunen bei, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch unter kulturellen und sozialen Aspekten. Sie bieten außerdem Landschaftsarchitekten und Gärtnern ein Forum zur kreativen Gestaltung und Entwicklung. Auch unter Freizeitaspekten sind Landesgartenschauen positiv zu bewerten. So können beispielsweise neue Naherholungsgebiete gewonnen werden, die auch nach der jeweiligen Landesgartenschau für die Bevölkerung nutzbar bleiben.
    Wie haben sich die Landesgartenschauen in den vergangenen 20 Jahren verändert und welche Rolle hat der Landwirtschaftsausschuss dabei gespielt?
    Dr. Scholz: In den letzten zwanzig Jahren hat es einen Wandel gegeben. Landesgartenschauen sind nicht mehr nur die klassischen "Blümchenschauen". Aspekte wie Stadtentwicklung, Modernisierung und Präsentation eines Wirtschaftszweiges haben eine stärkere Gewichtung bekommen. In der Vergangenheit haben sich jedoch insbesondere die Gartenschauen mit Park-Charakter bewährt. Wichtig für konstante Besucherzahlen ist zudem eine langfristige Familienorientiertheit. Neben der Blumenausstellung spielen Freizeit-Angebote eine ganz wichtige Rolle. Der Maxi-Park in Hamm lebt davon, dass gerade in diesem Bereich viel investiert wird. Auf diese Aspekte der Nachhaltigkeit sollte der Ausschuss künftig verstärkt sein Augenmerk richten.
    Uhlenberg: Auf die Vorbereitung der Landesgartenschauen kann der Ausschuss nur sehr begrenzt Einfluss nehmen. Das ist schon Sache der Verbände, die die Landesgartenschau durchführen. In all den Jahren stand der Ausschuss aber immer in engem Kontakt mit den beteiligten Berufsgruppen. Auch wenn es erfolgreiche und weniger erfolgreiche Landesgartenschauen gab, so herrschte stets Einigkeit bei allen Fraktionen des Landtags, dass wir an den Landesgartenschauen festhalten sollten. Umso mehr hat es mich überrascht, dass die Landesregierung plötzlich den Vorschlag gemacht hat, künftig darauf zu verzichten. Der Ausschuss hat diese Entscheidung schließlich abgesegnet, allerdings gegen die Stimmen meiner Fraktion.
    Becker: Der Landwirtschaftsausschuss kann bislang eigentlich nur Einfluss auf die finanziellen Rahmenbedingungen der Landesgartenschauen nehmen. Ich könnte mir aber durchaus vorstellen, dass man den Einfluss auch auf inhaltliche Dinge ausweitet. Wir beobachten ja einen Wandel weg von der "Blümchenschau" hin zu mehr städteplanerischen Funktionen der Landesgartenschauen. Dabei darf man jedoch nicht vergessen, dass die so genannten "Blümchenschauen" immer ein großer Publikumsmagnet waren, wie beispielsweise die Landesgartenschau in Gronau gezeigt hat.
    Priggen: Da ich erst seit 2000 Mitglied des Landtags bin, kann ich die Entwicklung der letzten 20 Jahre nicht aus eigener Erfahrung beurteilen. Ich höre allerdings, dass es positive Änderungen in der inhaltlichen Ausrichtung gegeben hat. Insbesondere ab Mitte der 1990er Jahre flossen zunehmend Kriterien der Nachhaltigkeit, ökologisch wie stadtplanerisch, in die LaGa-Konzeptionen ein. Bürgerinnen und Bürger sowie Vereine werden inzwischen stärker einbezogen und mit deren Beteiligung Einrichtungen geschaffen, die auch über den Zeitraum der Landesgartenschau hinaus von soziokulturellem Nutzen vor Ort sind.
    Wie sieht die Zukunft der Landesgartenschauen aus und welche neuen Modelle der Finanzierung gibt es?
    Dr. Scholz: Nach derzeitiger Beschlusslage ist die diesjährige Landesgartenschau die letzte. Die SPD-Fraktion hat darauf reagiert und ein Workshop-Verfahren auf den Weg gebracht, um mit Hilfe von Sachverständigen mögliche Fortentwicklungen und Finanzierungsmodelle für Landesgartenschauen zu erarbeiten. Im Zentrum stand dabei die Überlegung, wie sich über die Landesmittel hinaus Drittmittel akquirieren lassen. So käme beispielsweise eine Förderung durch Stiftungen oder eine Zusatzfinanzierung durch Sponsoring-Modelle in Betracht. Ich bin zuversichtlich, dass Landesgartenschauen in NRW in einem dreijährigen Rhythmus eine Zukunft haben werden. Hierfür wird sich die SPD-Fraktion in den kommenden Etatberatungen einsetzen und es gibt auch positive Signale seitens der übrigen Fraktionen.
    Uhlenberg: Ich bin mir darüber im Klaren, dass angesichts 110 Milliarden Euro Schulden, die wir im nächsten Jahr erreichen werden, die landespolitischen Möglichkeiten in finanzieller Hinsicht begrenzt sind. Daher ist es notwendig, privates Kapital stärker einzufordern, als das in früheren Jahren der Fall war. Darüber hinaus müssen Landesgartenschauen so organisiert werden, dass sie nach Beendigung auch für Kommunen handhabbar sind und die Folgekosten sich in Grenzen halten. Hierzu gibt es gute Modelle in NRW, wie beispielsweise die Landesgartenschau in Oelde gezeigt hat.
    Becker: Wir wollen natürlich an den Landesgartenschauen festhalten. Wichtig wäre aus meiner Sicht die Umkehr bei der Schwerpunktsetzung im Haushaltsplan. Wir würden die Mittel für die REGIONALEN kürzen um daraus Mittel für die Landesgartenschauen zu gewinnen. Als weitere Finanzierungsmöglichkeit kämen darüber hinaus Sponsoring-Modelle in Frage. Im Ruhrgebiet beispielsweise haben wir massenhaft Brachflächen, die einer zukunftssicheren Nutzung zugeführt werden könnten. Hier gibt es Möglichkeiten für alternative Finanzierungskonzepte, die aus meiner Sicht sogar so weit gehen könnten, dass wir Mittel aus der Eingriffs-Ausgleichs-Regelung des Landschaftsgesetzes auch da mit hineinfließen lassen.
    Priggen: Nach den inzwischen vorliegenden Ergebnissen eines vom Landtag initiierten und im Juni 2004 durchgeführten Experten-Workshops wird eine Fortführung der Landesgartenschauen, nach einer Pause bis einschließlich 2007, befürwortet. Vorausgesetzt, die allgemeine Haushaltslage lässt es zu, schließe ich mich diesem Votum an. Bei der künftigen Finanzierung sollte an der Grundfinanzierung des Investitionshaushaltes so wie der Priorisierung der komplementären Förderprogramme des Landes festgehalten werden. Es wäre zu prüfen, ob Einsparungen gegebenenfalls über eine Turnusverlängerung in der zeitlichen Abfolge der einzelnen Landesgartenschauen erfolgen können. Außerdem ist es notwendig, zur Entlastung der öffentlichen Kassen von Land und Kommunen alle Möglichkeiten zur Einwerbung von privaten Drittmitteln zu nutzen.

    Die Interviews führten Stephanie Hajdamowicz und Axel Bäumer.

    ID: LIN00203

  • Ja zur Diätenreform!
    Editorial / Kommentar / Blickpunkt;
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 2 in Ausgabe 2 - 23.02.2005

    Alle Fraktionen wollen sie: die Diätenreform. Sie soll für Transparenz sorgen. Lange wurde darüber diskutiert. Jetzt soll die tief greifende Reform für die nordrhein-westfälischen Parlamentarier die künftigen Bezüge von Abgeordneten regeln. Und zwar so, dass demnächst die Politiker im Land genauso vor dem Fiskus behandelt werden wie jeder ganz normale Bürger auch. Im Plenum soll der Gesetzentwurf am 23. Februar beraten werden. Und ganz Deutschland schaut auf NRW.
    Keine Pauschalen
    9.500 Euro im Monat sollen die künftigen Abgeordneten bekommen, darin sind 1.500 Euro für die Altersvorsorge enthalten. Vorbei ist es mit den steuerfreien Pauschalen und der üppigen Altersversorgung, die bisher gezahlt und immer wieder kritisiert wurden. Jetzt steht die Öffentlichkeit hinter dem Reformpaket der Politikerinnen und Politiker. Denn es gibt eine echte Reform und keine Diätenerhöhung. Der Bund der Steuerzahler begrüßt den Schritt, hält zurzeit aber noch an der Volksinitiative fest. Aber nur solange, bis das Gesetz im Landtag verabschiedet wird. Bisher sind in den ersten drei Wochen 21.000 Unterschriften für die Volksinitiative zusammen gekommen.
    Mit dieser Diätenreform wird Nordrhein-Westfalen Vorbild für andere Parlamente. Zügig hatte die Landtagsverwaltung den Gesetzentwurf erarbeitet, damit noch in dieser Wahlperiode darüber entschieden werden kann. Nur so ist zu gewährleisten, dass schon nach der Landtagswahl 2005 die Vergütung der Abgeordneten den Grundsätzen einer transparenten Bezahlung und einer Gleichstellung mit den Bürgerinnen und Bürgern entspricht.
    Einsparungen
    Unterm Strich, so hatte die Diätenkommission errechnet, wird der Landeshaushalt durch die Reform auf Dauer jährlich über zwei Millionen Euro sparen. Zur Geschichte der Reform: Einstimmig hatte der Landtag im März 2001 eine Diätenkommission eingesetzt. Ein Jahr später wurden die Vorschläge Landtagspräsident Ulrich Schmidt überreicht. Dann setzte der Ältestenrat eine Arbeitsgruppe ein, die sich mit der Realisierung der Vorschläge auseinandersetzte. Im März 2004 lag deren Bericht dem Ältestenrat vor. Und im Juli vergangenen Jahres legte die Verwaltung dann den Fraktionsgeschäftsführern einen möglichen Gesetzentwurf vor. Das Modell NRW könnte wegweisend für die deutschen Parlamente sein.
    SH

    ID: LIN00138

  • Neues Abgeordnetengehalt für das Land.
    Das Modell NRW kann bundesweit als Vorbild wirken.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 11 in Ausgabe 2 - 23.02.2005

    Eins ist sicher, immer wenn es um die Bezahlung der Abgeordneten im Bundestag oder in den Landtagen geht, schlägt die Stunde der Vorbehalte und des vorschnellen Urteils: "Selbstbedienung" schallt es den Parlamentariern aus dem Wahlvolk entgegen. Und die Abgeordneten sehen ihre aufreibende Arbeit im Dienst der Allgemeinheit nicht richtig gewürdigt. Wen wundert es da, dass 1995 der Begriff "Diätenanpassung" zum Unwort des Jahres gekürt wurde?
    Ein Blick in die Geschichte des Parlamentarismus könnte die Gemüter abkühlen. Im Deutschland des 19. Jahrhunderts war die politische Tätigkeit an Stand und Vermögen gekettet (und zudem Männersache). Der frühe Preußische Landtag im Düsseldorfer Ständehaus war ein solches Honoratiorenparlament - Politik machte, wer es sich, ohne dafür bezahlt zu werden, leisten konnte. Wer im wahren Sinn des Wortes "begütert" war. Habenichtse waren nicht vertreten.
    Noch Reichsgründer Otto von Bismarck wollte nichts von Diäten für Abgeordnete wissen. Der Eiserne Kanzler sah im Verbot der Bezahlung von Volksvertretern sogar einen Schutzwall gegen das Eindringen radikaler Kräfte in die Parlamente. Das galt bis 1906, dann erhielten die Reichstagsabgeordneten eine Entschädigung für den Aufwand, der mit dem Mandat verbunden war. Auch die Weimarer Republik nahm diese Entschädigungsregelung, die von Anfang an ausdrücklich von einem "Gehalt" für Abgeordnete unterschieden wurde, in ihre Verfassung auf.
    Noch heute geistert der Begriff Entschädigung durch die Diskussionen. Vermutlich ist dieses ominöse, die Wirklichkeit nicht mehr widerspiegelnde Wort auch ein Grund dafür, dass die Debatte über die Bezahlung von Abgeordneten leicht auf ein falsches Gleis gerät. Wie soll heute der Bürger verstehen, dass man für ein Mandat - und die Privilegien, die immer noch damit verbunden sind - großzügig "entschädigt" werden muss? Während beim steuerpflichtigen Bürger das Finanzamt bei den "Werbungskosten" die kurze Elle anlegt.
    Dabei hat die Rechtsprechung sich schon ab Mitte der 50-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts von der Entschädigung zum Gehalt bewegt. Ganz deutlich schrieb es das Bundesverfassungsgericht den Zweiflern ins Stammbuch, dass Abgeordneter zu sein einen Full-Time-Job bedeutet. Im berühmten Diätenurteil von 1975 legten die obersten Richter fest, dass aus der Entschädigung für besonderen Aufwand längst eine Alimentation des Abgeordneten und seiner Familie aus der Staatskasse geworden ist. Und die sei, so hieß es schon damals, nach Grundsätzen, die für alle gleich sind, zu besteuern.
    30 Jahre nach dem Diätenurteil macht Nordrhein-Westfalen endlich Nägel mit Köpfen. Eine überparteilich zusammengesetzte Diätenkommission hatte sich 2001 im Auftrag des Landtags gebildet, ein Jahr fleißig getagt und dann einen Vorschlag unterbreitet, der anderen Parlamenten als Modell dienen kann: 9.500 Euro für alle Landtagsabgeordneten. Davon muss der Parlamentarier seine Altersversorgung bezahlen und wie jeder andere Bürger Steuern entrichten. Der besondere Aufwand, der mit der Ausübung des Mandats verbunden ist, kann dem Finanzamt gegenüber als Werbungskosten geltend gemacht werden - in den Grenzen, die für jeden Steuerzahler gültig sind. Dessen Vertretung, der Bund der Steuerzahler NRW, hat der Reform nicht nur zugestimmt, sondern ist von ihr dermaßen überzeugt, dass er eine Volksinitiative in die Wege geleitet hat und auf Straßen und Plätzen eifrig Unterschriften sammelt. Er will damit die Sache in Fahrt halten.
    Früher sollte mit dem Verzicht auf Diäten vor allem verhindert werden, dass die aufstrebende Arbeiterschaft sich parlamentarisch betätigen konnte. Heute stellt sich bei den Diäten eher die Frage: Reicht das Abgeordneteneinkommen auch aus, allen beruflichen und sozialen Gruppen der Gesellschaft die Arbeit für die Allgemeinheit zumutbar erscheinen zu lassen? Unternehmer, Anwälte, Ärzte und viele Selbstständige verdienen in ihrer beruflichen Tätigkeit oft mehr als Abgeordnete. Die Parlamentsbank ist für viele keine Verlockung. Andererseits: Diäten kann man nicht an den höchsten Einkommen ausrichten. Das geben die öffentlichen Haushalte nicht her.
    Das Materielle muss nicht der ausschlaggebende Grund sein, sich um ein Mandat zu bewerben. Blicken wir in die Entstehungszeit unseres Landes zurück: Da war der Drang, nach der Zeit der Unterdrückung durch die Nazis den demokratischen Neuanfang zu wagen, stärker als die magere Entschädigung, die es damals gab: Bis Anfang 1957 bekamen die nordrhein-westfälischen Landtagsabgeordneten eine Grundentschädigung von 300 DM. Heute sind es 4.807 Euro. Was sagt das schon? Nur so viel: Das hohe Gut der Unabhängigkeit der Abgeordneten hat seinen Preis. Über den muss sich die Gesellschaft immer wieder verständigen - sachlich und ohne Vorurteil. Dazu macht der Landtag Nordrhein-Westfalen einen bedenkenswerten Vorschlag.
    JK

    Bildunterschrift:
    Reform mit Folgen - den geplanten 9.500 Euro, die zu versteuern sind, steht derzeit ein rechnerisches Einkommen von 10.736 Euro gegenüber. Das setzt sich so zusammen: Grunddiät 4.807 Euro (steuerpflichtig)plus (steuerfrei) 1.206 Euro allgemeine Pauschale, 302 Euro für Mehraufwendungen am Landtagssitz, 879 Euro Fahrkosten (höchstmöglicher Betrag), 242 Euro Krankheitskosten (durchschnittlicher Betrag) und 3.300 Euro beitragsfreie Altersversorgung. Die Diätenreform erspart zusammen mit der Verkleinerung des Landtags dem Steuerzahler jedes Jahr einen namhaften Millionenbetrag.

    ID: LIN00151

  • Strengere Regeln für Nebenjobs.
    Landtag berät Änderung des Abgeordnetengesetzes.
    Titelthema / Schwerpunkt;
    Plenarbericht
    S. 12 in Ausgabe 2 - 23.02.2005

    Strengere Kontrollen für Nebenjobs - so lautet die Forderung aller Fraktionen. Verschärfte Regeln für Nebeneinkünfte, für die keine erkennbare Arbeit geleistet wird, soll es bereits nach der Landtagswahl geben. In erster Lesung hat das Parlament drei Entwürfe zur Änderung des NRW-Abgeordnetengesetzes beraten. Einig waren sich die Fraktionen, dass Art der Nebenbeschäftigung und Umfang der Einkünfte gegenüber dem Landtagspräsidenten offen gelegt werden sollen: SPD, CDU, FDP und GRÜNE präsentierten einen gemeinsamen Entwurf (Drs. 13/6524) zur Änderung des Paragrafen 24 (er trägt die Überschrift "Sicherung der Unabhängigkeit der Abgeordneten"). Strittig war dabei, wie viel Offenheit künftig Pflicht sein soll.
    Carina Gödecke (SPD) erläuterte die Ziele Neuregelung: Missbrauch verhindern, Verstöße und Zweifelsfälle feststellen und veröffentlichen, anschließend sanktionieren. "Wir wollen keine Bezahlung für nichts.Wir wollen keine bezahlten Lobbyisten. Wir wollen nicht, dass Dritte über Geld Einfluss auf die freie und unabhängige Mandatsausübung nehmen", betonte sie und forderte, dass alle Abgeordneten dem Präsidenten Art und Umfang ihrer Tätigkeiten sowie Art, Höhe und Herkunft der Einkünfte melden müssten: "Damit legen wir in Nordrhein-Westfalen zurzeit die weitestgehende Regelung aller Parlamente vor." Paragraf 24a regele, was im Anschluss an die Offenlegung passieren soll: Der Präsident ermittelt, stellt Verstöße gegen den Paragrafen fest, die Verstöße werden veröffentlicht, anschließend erfolgen Sanktionen. Die Veröffentlichung allein sei nicht der geeignete Weg. "Die Bewertung der Angaben gegenüber der Öffentlichkeit unterbleibt bei den Grünen. Veröffentlichungen verhindern keinen Missbrauch", war sich Gödecke sicher.
    Heinz Hardt (CDU) wies daraufhin, dass die in Paragraf 24a geregelten Sanktionen dazu beitrügen, den Bürgern das Vertrauen in die Politik wiederzugeben. Die CDU trete dafür ein, dass das zu Unrecht vereinnahmte Geld dem Land zugute kommt. Hardt betonte, dass die rigoroseste Lösung, das völlige Verbot von Nebeneinkünften, dem Problem nicht gerecht werde. "Eine Demokratie lebt auch davon, dass ein ständiger Austausch zwischen Politik und Gesellschaft erfolgt, indem Abgeordnete ihre ganz unterschiedlichen Erfahrungen aus dem Berufsleben einbringen", so der Abgeordnete. Allerdings sollte jeder Abgeordnete zuerst die durch eine Wahl übernommenen Pflichten ohne jeglichen Einfluss ausüben und danach seine verbleibende Zeit für weitere Aktivitäten einsetzen. Bei Verstößen solle der Präsident entscheiden, in welcher Form die Veröffentlichung erfolgt. "Wir stimmen keiner Regelung zu, die die Veröffentlichung der Höhe der Nebeneinkünfte zum Inhalt hat", unterstrich Hardt.
    Marianne Thomann-Stahl (FDP) erklärte, dass die Grünen mit ihrem Vorschlag im Grunde das Gleiche erreichen wollten wie die FDP. "Sie wollen aber die gleiche Wirkung mit einem wesentlich intensiveren Eingriff in die verfassungsrechtliche Stellung der Abgeordneten und ihre Persönlichkeitsrechte vornehmen", so Thomann-Stahl. Dieser Vorschlag entspreche nicht dem verfassungsrechtlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit. Daher lehne die FDP den Vorschlag der Grünen ab. Man sei der Überzeugung, dass die Regelungen von Nebentätigkeiten am besten in einem bundesweiten Konsens getroffen würden. Deswegen habe man mit der CDU einen Entschließungsantrag (Drs. 13/6533) mit der Bitte an den Präsidenten eingebracht,sich für eine gemeinsame Regelung aller Landtage und des Bundestages einzusetzen.
    Johannes Remmel (GRÜNE) stellte fest, dass bei mehr als 80 Prozent der Menschen gar kein oder wenig Vertrauen gegenüber Abgeordneten vorhanden sei. Deshalb sei die fraktionsübergreifende Einigung noch zu wenig. "Der entscheidende Schritt wird damit nicht getan", kritisierte Remmel. Die transparenteste Maßnahme sei die Veröffentlichung aller Einkünfte. "Das Volk soll beurteilen können, wie und ob wir unserem Versprechen gerecht werden, unsere ganze Kraft für das Volk einzusetzen", erklärte der Abgeordnete. Er glaube nicht, dass der Landtagspräsident die richtige Instanz sei, die Einkommensverhältnisse der Abgeordneten auszuleuchten. Die Genehmigungsbehörde sei das Volk. Deshalb bleibe nur der Weg der Veröffentlichung, um sich dann bei der nächsten Wahl die "Genehmigung" für eine Nebentätigkeit einzuholen.

    ID: LIN00152

  • "Deutschland schaut auf Düsseldorf".
    Experten: Abgeordnetengesetz schnell verabschieden.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 13 in Ausgabe 2 - 23.02.2005

    Der Weg in die Normalität ist manchmal mit Stolpersteinen gepflastert. Wie jeder Steuerzahler sollen in Zukunft die nordrhein-westfälischen Landtagsabgeordneten Bezüge erhalten, die sie voll versteuern müssen. Sie müssten, wenn die Pläne umgesetzt werden, für ihre Altersvorsorge selbst sorgen und auf alle steuerfreien Aufwandsentschädigungen verzichten. So weit das Modell, das im März 2003 die Diätenkommission des Landtags NRW vorgestellt hat. Mehr Transparenz und mehr Akzeptanz waren das Ziel.
    Ein solcher Systemwechsel will bedacht sein. Als was hat sich der kommende Abgeordnete zu verstehen - als Arbeitnehmer, Selbstständiger, Gewerbetreibender oder gar Handelsvertreter, wie ein Parlamentarier verunsichert meinte? Kann er demnächst die Aufwendungen für den Wahlkampf als Werbungskosten geltend machen (und werden die vom Finanzamt anerkannt)? Die Antwort: Nein, dem steht das "Diätenurteil" des Bundesverfassungsgerichts entgegen. Was bekommt er eines Tages heraus, wenn er in die selbst finanzierte Altersvorsorge einzahlt? Weniger als jetzt. Und wie steht es mit der Freifahrtkarte der Bahn für NRW, ist die weiter steuerfrei oder muss demnächst jede private Fahrt in der Steuererklärung angegeben werden? Da waren sich die Experten nicht einig.
    Bei der Reform der Abgeordnetenbezüge gibt es keine einfachen Antworten. Das wurde in der Anhörung deutlich, zu der der Hauptausschuss unter dem Vorsitz von Edgar Moron (SPD) Sachverständige in den Plenarsaal des Landtags geladen hatte. Wissenschaftler, Bankleute, Vertreter des Versicherungswesens, Steuerexperten und Mitglieder der Diätenkommission standen am 10. Februar Rede und Antwort.
    Es war nicht Ziel der Anhörung, den Status von Abgeordneten zu klären. Allein die steuerliche Behandlung ihrer Einnahmen und Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Mandat war schwierig genug. Es wurde deutlich, dass der Weg zum steuerzahlenden Normalbürger auch bedeutet, dass die allgemeinen Vorschriften der Steuergesetzgebung - bisher jedenfalls - keine Ausnahmen für Mandatsträger vorsehen. Nüchtern und ohne eine Spur von Schadenfreude meinten die Sachverständigen: Wenn dieser Umstand den Parlamentariern nicht gefalle, dann erlebten sie an der eigenen Person, welchen Grenzen der Steuerzahler bei der Anerkennung seiner Aufwendungen ausgesetzt sei. Sie, die Parlamentarier, hätten aber - anders als der Steuerzahler - die Möglichkeit, solche rechtlichen Bestimmungen per Gesetz zu ändern. Die Einkommensteuergesetzgebung sei allerdings Bundesrecht, betonten die Experten. Über das könne sich der Landesgesetzgeber nicht hinwegsetzen. Damit nicht der Abgeordnete A vom Finanzamt in B anders behandelt wird als der Abgeordnete C in D, könne allenfalls per Erlass des Finanzministers eine Gleichbehandlung der Parlamentarier auf Landesebene gesichert werden.
    Für Diskussionsstoff sorgte die geplante Hinwendung von der herkömmlichen Altersversorgung der Abgeordneten zu einem möglichen Versorgungswerk. Man war sich schon klar, dass eine neue Regelung erheblich hinter der jetzigen Versorgungshöhe zurückbleiben wird - aber gleich so deutlich? Die Diätenkommission hatte noch kalkuliert, dass ein 40-jähriger Abgeordneter, der drei Wahlperioden jeden Monat 1.000 Euro für seine Alterssicherung einzahlt, bei einem Renteneintritt im Alter von 60 Jahren mit rund 1.500 Euro monatlich rechnen kann.
    Am Anhörungstag kursierten andere Zahlen: Nach neuester versicherungsmathematischer Kalkulation sollten es auf einmal nur noch 827 Euro sein. Ein solch rapider Abstieg sei den Fraktionsmitgliedern nicht oder nur schwer zu vermitteln, meinten Abgeordnete, zumal die monatlichen Bezüge nach altem Recht in einem solchen Fall bei 2.600 Euro lägen. Die Experten erklärten den deutlich geringeren Betrag damit, dass sie eine Verzinsung von lediglich 2,75 Prozent zugrunde gelegt hätten, um auf der sicheren Seite zu sein. Außerdem sei zu berücksichtigen gewesen, dass sich die Lebenserwartung verlängert habe. Die 827 Euro seien aber garantiert - wenn die Erträge des Versorgungswerks stiegen, komme das voll den Renten zugute.
    Er und sein Verband, der nordrhein-westfälische Bund der Steuerzahler, stünden weiterhin hinter der geplanten Einkommenshöhe von 9.500 Euro pro Monat für Landtagsabgeordnete - aber nur, wenn das Gesetz noch in dieser Wahlperiode verabschiedet werde. Diesen Appell richtete Rechtsanwalt Georg Lampen an die Abgeordneten. Schützenhilfe vom Düsseldorfer Politikwissenschaftler Professor Ulrich von Alemann: Der Gesetzentwurf sollte schnell Wirklichkeit werden. Das Ziel der Transparenz in der Politikfinanzierung sei im vorliegenden Text "hervorragend verwirklicht". Der Wissenschaftler urteilte, mit der Reform wäre man Vorreiter und hätte die Chance, Politik- und Parteienverdrossenheit zu bekämpfen: "Deutschland schaut auf Düsseldorf."

    Bildunterschrift:
    Das nordrhein-westfälische Modell der Reform der Abgeordnetendiäten war Thema der Anhörung im Hauptausschuss (v.l.): Edgar Moron, Ausschussvorsitzender, Georg Lampen vom Bund der Steuerzahler NRW, Landtagspräsident Ulrich Schmidt und Helmuth Becker, Vorsitzender der NRW-Diätenkommission.

    ID: LIN00153


  • Krisenstäbe für den Katastrophenfall.
    Editorial / Kommentar / Blickpunkt;
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 2 in Ausgabe 1 - 26.01.2005

    Der 11. September 2001 hat die Welt verändert. Nicht nur, dass die Vereinigten Staaten im eigenen Land von Terroristen angegriffen wurden, es an die 3.000 Tote gab, zwei der höchsten Gebäude der Welt zerstört wurden, sondern diese Anschläge warfen wichtige Fragen auch hier in Nordrhein-Westfalen auf: Sind die Rettungskräfte vorbereitet für eine solche Katastrophe im bevölkerungsreichsten Land Deutschlands? Wie wird die Rettung organisiert? Und dann zerstörte vor vier Wochen, am zweiten Weihnachtsfeiertag, das Seebeben in Asien, eine verheerende Naturkatastrophe, die weit über 220.000 Tote forderte, das Sicherheitsgefühl vieler Menschen in diesem Land. Vor kurzem noch räumte das Innenministerium Mängel ein, nicht ausreichend für den Katastrophenschutz gewappnet zu sein. Schon bei 50 Verletzten käme der Rettungsdienst in den Kreisen und kreisfreien Städten bei einem größeren Schadensereignis an seine Grenzen. NRW hat ein besonderes Gefährdungspotential: viele Industrieanlagen dicht gedrängt an stark genutzten Verkehrswegen. Das muss bei der Gefährdungsanalyse berücksichtigt werden. AlarmiertNordrhein-Westfalen ist längst alarmiert und hat reagiert. Mit einem Zukunftskonzept für den Katastrophenschutz, mit zusätzlichem Geld für Katastrophenschutzübungen, Fahrzeugen, Rettungscontainern, Vernetzung und Bildung von Krisenstäben, Gefährdungsanalysen und Informationsabwehrsystemen. Die Fakten sprechen für sich: NRW hat die größte Dichte an Feuerwehrleuten. Es gibt 26 Berufsfeuerwehren mit 7.500 hauptamtlichen Kräften, 400 freiwillige Feuerwehren mit 80.000 ehrenamtlichen und 3.500 hauptamtlichen sowie 116 Werksfeuerwehren mit 5.500 Kräften. Dazu gehören 19.000 Kräfte der privaten Hilfsorganisationen. Großereignisse stehen in NRW bevor: der Weltjugendtag in Köln im August diesen Jahres und die Fußball-Weltmeisterschaft im Sommer 2006 (ein Viertel aller Spielstätten liegt in NRW). Noch im Dezember vergangenen Jahres diskutierte das Parlament über die Situation des Katastrophenschutzes im Land. Die landesweite Hilfe und Unterstützung bei Großschadensereignissen soll intensiviert werden, gefordert wurden die Vernetzung der nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr, Vorsorgemaßnahmen für Industrieunfälle, Hochwasserlagen, Energieausfälle und Strahlenunfälle. Das Innenministerium reagierte mit Krisenmanagement und Krisenstäben. Nordrhein-Westfalen scheint auf dem richtigen Weg zu sein.
    SH

    ID: LIN00001

  • Schmidt, Ulrich (Landtagspräsident)
    Landtagspräsident zum Seebeben.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 4 in Ausgabe 1 - 26.01.2005

    Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger in Nordrhein-Westfalen!
    Mit Entsetzen und Erschütterung haben wir alle die Nachrichten und Bilder von der Flutkatastrophe in Südostasien verfolgt. Unvorstellbares Leid und Zerstörung sind über die Menschen gekommen. Die Zahl der Opfer übersteigt unser Vorstellungsvermögen. Auch in Nordrhein- Westfalen haben Menschen Angehörige verloren oder leben noch in furchtbarer Ungewissheit, weil sie noch nichts von ihnen gehört haben. Unsere Gedanken sind bei den Opfern und ihren Familien. Wir fühlen mit ihnen.
    Diese Katastrophe hat uns vor Augen geführt, dass wir in einer Welt leben. Angesicht der vielen Toten, der Millionen Menschen, die ihrer Angehörigen, ihres Obdachs und ihrer Zukunft beraubt wurden, ist es notwendiger denn je, dass die Welt zusammensteht. Wir dürfen den Moment, in dem alle Augen und alle Hilfe sich auf die von der Flut betroffenen Länder konzentrieren, nicht verstreichen lassen, ohne langfristige Hilfe für diese Gebiete zu etablieren. Es gilt nun, diese Katastrophe in Südostasien als eine Chance für die Zukunft einer gemeinsamen Welt zu nutzen.
    "Katastrophe zur Chance werden lassen"
    Die Bundesrepublik Deutschland und das Land Nordrhein-Westfalen beteiligen sich mit erheblichen finanziellen Mitteln an der Nothilfe zur Unterstützung der Flutopfer, zum Beispiel durch die Bereitstellung von Trinkwasseraufbereitungsanlagen in den Krisenregionen. Patenschaften für Länder, Regionen und Städte sind hier der richtige Weg, die Hilfe konkret und nachvollziehbar werden zu lassen. Neben der staatlichen Hilfe ist aber auch private Hilfsbereitschaft zu verzeichnen, bisher ohne Beispiel ist.
    In den vergangenen Tagen haben viele Menschen in Deutschland und NRW Herz geöffnet und bewiesen, dass solidarisch und hilfsbereit sind. Ob Einzelpersonen, Schulklassen, Sportvereine, Belegschaften von Betrieben und viele mehr Signale der persönlichen Unterstützung überwältigend. Dafür danke ich Ihnen Doch ich bitte Sie herzlich:
    Lassen Sie in Ihrer Bereitschaft zu nicht nach, damit der Wiederaufbau nicht Stocken gerät und die Menschen wieder Perspektive für eine lebenswerte Zukunft erhalten! Bewahren Sie sich dieses Mitgefühl auch für Länder, die nicht im Focus Medienberichterstattung stehen, in denen Millionen von Menschen unvergleichlich schlechter geht als uns!
    Mein abschließender Dank gilt den Frauen und Männern unserer Hilfsorganisationen NRW, die unter schwersten Bedingungen wichtige und lebensrettende Arbeit geleistet haben und noch leisten.
    Der Landtag Nordrhein-Westfalen bewundert Ihre Arbeit und ist stolz auf Sie!
    Herzlichst Ihr Ulrich Schmidt

    Bildunterschrift:
    Fahnen auf Halbmast - mit der Trauerbeflaggung gedachte der Landtag aller Opfer der vernichtenden Flutwelle, die am zweiten Weihnachtstag in Südasien hunderttausende Menschen das Leben gekostet hat.

    ID: LIN00041

  • "Endlich seid Ihr da!"
    Deutsche Katastrophenhelfer in Südostasien.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 5 in Ausgabe 1 - 26.01.2005

    Nein, retten konnten wir niemanden mehr. Dafür waren wir zu spät. 72 Stunden nach solch einem Unglück sinken die Chancen rapide." Feuerwehrmann Uwe Becker aus Duisburg muss es wissen. Schließlich hat der Einsatzleiter des I.S.A.R. (International Search and Rescue), einem ehrenamtlichen Zusammenschluss von 20 Feuerwehrleuten aus Duisburg, Neuss und Moers, eine Menge Erfahrung, was Einsätze in Katastrophengebieten angeht. Aber das, was die 14 Retter aus NRW zum Jahresbeginn auf Phuket/Thailand erlebten, geht auch "alten Hasen" an die Nieren.
    Teilweise haben unsere drei Suchhunde gar nicht mehr aufgehört zu bellen. Die Fundstellen wurden nur noch markiert, damit das Militär die Leichen bergen konnte." Alles andere als eine leichte Aufgabe für die Helfer. "Wir haben viele, unsäglich traurige Gespräche geführt." Trotzdem, so Becker, habe sich der siebentägige Einsatz gelohnt: Die Freiwilligen suchten nach Ausweisdokumenten und leisteten gemeinsam mit anderen erste Hilfe. Die deutsche Fahne über dem Basiscamp wirkte wie ein Magnet auf unsere Mitbürger. "Endlich seid ihr da!", scholl es den Rettern 180 Kilometer entfernt von der deutschen Botschaft immer wieder entgegen. Die Schulter zum Anlehnen und das Wissen der Betroffenen, dass deutsche Helfer im Katastrophengebiet sind, gab diesen Kraft.
    Bereits einen Tag nach Weihnachten hatte sich ein erstes Team von Feuerwehrleuten, Sanitätern und DLRGRettern aus dem Bezirk Düren ins thailändische Khao Lak aufgemacht und dort als erstes internationales Team die örtlichen Rettungskräfte eine Woche verstärkt. Letzten Montag machte sich ein weiteres Team auf. Insgesamt sind derzeit weit über 120 Menschen aus Nordrhein-Westfalen bei verschiedenen Hilfsorganisationen im Krisengebiet im Einsatz. Hinzu kommen etliche Privatinitiativen.
    Trinkwasser
    Das größte Kontingent stellt das Technische Hilfswerk (THW) mit etwa hundert Einsatzkräften in Thailand und Indonesien. Hauptaufgaben sind die Trinkwasseraufbereitung und Brunnen-Rehabilitation. Das DRK NRW ist mit derzeit 14 Helfern in Sri Lanka und Indonesien. Neben der Trinkwasseraufbereitung sind sie mit dem Aufbau von Feldlazaretten und Ambulanzen beschäftigt. Auch der Malteser Hilfsdienst hat sechs Experten in Indien, Sri Lanka und Indonesien. Bereits wieder zurück sind die beiden Ärzte und zwei Rettungsassistenten, die im Auftrag des Auswärtigen Amtes in Phuket/Thailand waren. Der Arbeiter-Samariter- Bund (ASB) ist seit kurzem in Sri Lanka, um dort "Wiederaufbau-Projekte zu evaluieren". Die Mehrzahl der Helfer in Südasien ist nicht aus Europa, da lokale Helfer die Projekte auch längerfristig betreuen können.
    Denn auf Dauer werden die Katastrophenschützer in NRW benötigt. Insgesamt sind hier fünf Hilfsorganisationen aktiv: das Deutsche Rote Kreuz, die DLRG, die Johanniter, Malteser sowie der Arbeiter-Samariter-Bund. Sie gliedern sich auf in 288 Einsatzeinheiten mit insgesamt 18.000 freiwilligen Helfern. Darüber hinaus stehen 80.000 ehrenund 13.000 hauptamtliche Feuerwehrleute zur Verfügung. Eine stattliche Zahl - sicher. Trotzdem kämpfen die Hilfsorganisationen um Nachwuchs. Arbeitsmarktsituation und demographischer Wandel hinterlassen Spuren bei den Mitgliederzahlen. Ebenfalls rückläufig ist die Bereitschaft von freiwilligen Helfern, Einsätze im Ausland zu begleiten. Es gibt zwar gesetzliche Grundlagen, die regeln, dass Mitarbeiter von Hilfsorganisationen für die Dauer ihres Einsatzes freigestellt werden müssen, aber die Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes rückt immer mehr in den Vordergrund.
    Der Landes-Etat für den Katastrophenschutz wurde seit 2000 annähernd verdreifacht - von 6,2 auf 15,6 Millionen Euro im Jahr 2004. In 2005 stehen nach Umschichtungen voraussichtlich 17 Millionen zur Verfügung. Davon entfallen etwa vier Millionen auf Zuschüsse für Übungen, Ausbildung und Verwaltung der privaten Hilfsorganisationen. Erst im Dezember hatte NRW den privaten Hilfsorganisationen 117 Autos und 100 Anhänger im Wert von 4, 7 Millionen Euro übergeben, 2005 sind 5,6 Millionen für neue Fahrzeuge eingeplant. Für die Kosten für Verdienstausfall, Betriebsstoff und die Verpflegung bei Einsätzen der Großverbände stellt das Land 2005 erstmals eine Million Euro bereit. Zudem erhält der Katastrophenschutz Mittel aus dem Feuerschutz-Etat.

    ID: LIN00038

  • Jentsch, Jürgen (SPD); Kruse, Theodor (CDU); Engel, Horst (FDP); Düker, Monika (Grüne)
    "Wir brauchen zentrale Krisenstäbe".
    Interviews mit den innenpolitischen Sprechern.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 6-7 in Ausgabe 1 - 26.01.2005

    Ist das Land Nordrhein-Westfalen für mögliche Katastrophen gewappnet? Auf die Tagesordnungen gelangt diese Frage oftmals leider erst dann, wenn irgendwo in der Welt wieder etwas passiert - siehe die verheerende Flutkatastrophe in Südasien. Über die derzeitige Situation im Bereich des Katastrophenschutzes in NRW sprach Landtag intern mit den innenpolitischen Sprecherinnen und Sprechern der Fraktionen: Jürgen Jentsch (SPD), Theodor Kruse (CDU), Horst Engel (FDP) und Monika Düker (GRÜNE).
    Nordrhein-Westfalen stehen mit dem Weltjugendtag 2005 und der Fußballweltmeisterschaft 2006 zwei Großveranstaltungen ins Haus. Ist das Land im Hinblick auf mögliche Zwischenfälle organisatorisch und technisch gerüstet?
    Jentsch: Wir haben uns im letzten Jahr im Rahmen einer Anhörung mit allen Rettungsteams und der Feuerwehr darüber informiert, wie sich die Situation in NRW darstellt. Hier wurde deutlich, dass wir im Grunde auf einem guten Weg sind. Das Innenministerium hat seine Abteilung Gefahrenabwehr umgebaut. Seitdem findet ein enger Austausch zwischen der Landesregierung, der Landesfeuerwehr und den einzelnen Hilfsrettungsdiensten statt. So werden beispielsweise regelmäßig gemeinsame Übungen abgehalten. Darüber hinaus investiert die Landesregierung allein in diesem Jahr nochmals 15,6 Millionen in den Katastrophenschutz. Hiervon werden unter anderem die Rettungsdienste mit neuen Gerätschaften, Fahrzeugen etc. ausgestattet. Ich gehe davon aus, dass wir zum Ende des Jahres hochmodern ausgestattete Rettungsdienste haben werden. Zudem ist die Anschaffung von weiteren 20 mobilen Rettungscontainern vorgesehen. Jeder dieser Container enthält das Equipment für ein Lazarett, in dem bis zu 25 Schwerverletzte versorgt werden können.
    Kruse: Die Plenardebatte im Dezember hat verdeutlicht, dass wir in NRW nicht gerüstet sind. Der Innenminister musste zugestehen, dass schon bei einer Anzahl von 50 Verletzten der Rettungsdienst in NRW an seine Grenzen stößt. Hier besteht Nachholbedarf. Wir haben in NRW eine unkoordinierte Vielfalt an unterschiedlichen Hilfsorganisationen im Katastrophenschutz. Die Koordination dieser Organisationen muss dringend auf den Weg gebracht werden. Wir brauchen abgestimmte Konzeptionen in den einzelnen Bezirksregierungen mit den Kreisen und Kommunen. Darüber hinaus brauchen wir Krisenstäbe für Großschadensereignisse. Rot-Grün hat einen Antrag eingebracht, in dem sie die Landesregierung auffordert, eine so genannte Gefahrenanalyse zu erstellen. Diesen Antrag unterstützen wir im Kern. Was wir vermissen ist ein Hinweis auf den Zeitraum, in dem die Analyse fertig gestellt sein soll. Dabei muss klar sein, dass die Ergebnisse noch in diesem Jahr vorgelegt werden müssen.
    Engel: Es muss differenziert werden: Rettungsdienst und Katastrophenschutz in NRW sind auch bei Großereignissen wie dem Weltjugendtag in Köln und im Rhein-Erft- Kreis sowie der Fußball-WM generell in der Lage, die schnelle und angemessene Versorgung der Besucher zu gewährleisten. Kommt es jedoch dabei zu einem Katastrophenszenario mit hunderten Verletzten und Toten, kann es Probleme geben. Dann wird es sich rächen, dass in den letzten Jahren der Bereich des Feuer- und Katastrophenschutzes von der rot-grünen Landespolitik finanziell vernachlässigt worden ist und ein ganzheitlicher Ansatz für einen funktionsfähigen Katastrophenschutz fehlt. Die nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr hat dadurch erkennbar Schaden erlitten. Das hat auch eine Großübung in Wesseling im letzten Sommer gezeigt, bei der die letzten Hilfskräfte nach zwei Stunden kamen. Ursache war die mangelnde technische Ausstattung beim THW. Es gibt also zum Teil gravierende Mängel bei der Ausstattung, der Ausbildung und der Führungsfähigkeit der Verbände.
    Düker: Ja, denn mit dem von Rot-Grün eingebrachten Antrag haben wir zwei Dinge auf den Weg gebracht: Das eine ist die Vernetzung der einzelnen Institutionen im Katastrophenfall - Stichwort Krisenstäbe einrichten. Die Abstimmung zwischen den privaten Hilfsorganisationen, den Städten, den Kreisen, dem Land und dem Bund muss im konkreten Fall vernünftig funktionieren. Das andere ist die Erstellung von Gefahrenanalysen und die Abschätzung von Gefährdungspotentialen. Die Landesregierung hat bereits reagiert. So hat das Innenministerium die Einrichtung von Krisenstäben per Erlass auf den Weg gebracht. Auch die Ergebnisse der Gefahrenanalyse sind wohl noch in diesem Jahr zu erwarten. Damit sind wir, was den Weltjugendtag und die Fußball- WM betrifft, aus meiner Sicht gut gewappnet. Ich möchte jedoch auf ein ganz anderes, zeitlich nicht eingrenzbares Gefahrenpotential hinweisen, nämlich auf den Klimawandel und die daraus möglicherweise resultierenden Hochwasserkatastrophen. Für solche Fälle muss NRW, nicht nur mit Blick auf den Kohleabbau am Niederrhein, Szenarien durchspielen, bei denen es beispielsweise auch um die Evakuierung von hunderttausenden von Menschen geht.
    Welche Rolle nehmen die zahlreichen privaten Hilfsorganisationen beim Katastrophenschutz ein? Wie ist die Vernetzung und Kommunikation untereinander und mit Polizei, Feuerwehr und Rettungsbehörden?
    Jentsch: Zunächst einmal spielen sie eine wichtige Rolle. Wir haben mittlerweile eine ganze Reihe von Städten und Kreisen, die so genannte MANV-Konzepte, also Konzepte für den "Massenanfall von Verletzten", aufgestellt haben, in denen, je nach Größe und Ausmaß des Ereignisses, genau geregelt ist, wer welche Aufgaben übernimmt und welches Rettungsgerät von welcher Stelle zur Verfügung gestellt wird. Glücklicherweise gibt es heute kein Konkurrenzdenken mehr unter den einzelnen Hilfsorganisationen. Was zählt ist der Gedanke, gemeinsam Menschen zu helfen. Ich glaube, dass es bis Ende des Jahres flächendeckend diese MANV-Konzepte geben wird. Schließlich sind wir auch durch die erwähnten Großereignisse in NRW an klare Zeitvorgaben gebunden.
    Kruse: Wir sind außerordentlich froh, dass wir in NRW eine bunte Vielfalt an privaten Hilfsorganisationen haben, die zudem mit einem hohen Anteil von ehrenamtlichen Kräften ausgestattet sind. Insgesamt sind mehr als 100.000 Menschen in NRW in diesem Bereich ehrenamtlich tätig. Das ist eine erfreuliche und tolle Zahl. In einem Fachgespräch, das die CDU-Fraktion vor eineinhalb Jahren mit diesen ehrenamtlich tätigen Organisationen geführt hat, wurde deutlich, das die Hilfskräfte die Arbeit gerne machen. Gleichzeitig erwarteten sie jedoch von der Landesregierung, dass sie mit abgestimmten Konzepten für eine bessere Koordination der Organisationen untereinander sorgt. Daran mangelt es bislang.
    Engel: Trotzdem ist es bewundernswert, dass hunderttausende von ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern in den einzelnen Hilfsorganisationen und bei der freiwilligen Feuerwehr unermüdlich und zum Teil unter Einsatz ihrer eigenen körperlichen Unversehrtheit ihren Dienst verrichten. Hierzu gebührt den Helfern unser großer Dank. Aber es muss gerade bei der Vernetzung und Kommunikation der Standard deutlich verbessert werden. Als unrühmliches Beispiel gelten einmal mehr die Verzögerungen bei der Einführung des Digitalfunks.
    Düker: Die privaten Hilfsorganisationen sind eine ganz wichtige Säule im Katastrophenschutz. In einem Atemzug ist hier natürlich auch die Vielzahl von ehrenamtlich Tätigen zu nennen, ohne die wir einen funktionierenden Katastrophenschutz gar nicht gewährleisten könnten. Von daher liegt es auf der Hand, dass die privaten Organisationen in die eingangs erwähnten Krisenstäbe mit integriert werden müssen. In dem Zusammenhang möchte ich nochmals betonen, wie dringend wir den Digitalfunk brauchen. Das ist zum Beispiel ein wichtiges Mittel, um künftig alle Organisationen und Behörden miteinander vernetzen zu können.
    Muss die Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden beim Zivilund Katastrophenschutz reformiert werden?
    Jentsch: Land und Kommunen sind sich beim Thema Kompetenzverteilung im Grundsatz einig. Das Problem ist der Bund, der sich bereits vor Jahren aus dem Katastrophenschutz zurückgezogen hat. Der Bund ist nicht bereit, zu seinen Finanzierungszusagen zu stehen. Daraus ergeben sich erhebliche finanzielle Nachteile für NRW. Es gibt jedoch auch Positives zu berichten: Der Bund hat jetzt in Bonn eine zentrale Koordinierungsstelle eingerichtet, die bei Großschadensereignissen die länderübergreifende Steuerung der Hilfsmaßnahmen übernehmen soll.
    Kruse: Ich plädiere für einen kooperativen Föderalismus. Großschadensereignisse wie beispielsweise Hochwasserkatastrophen machen oftmals nicht an Ländergrenzen halt. Von daher brauchen wir eine länderübergreifende abgestimmte Konzeption. Da stoßen wir derzeit an eine problematische Rechtslage: Für den Katastrophenschutz und für Großschadensereignisse sind die Länder und Kommunen zuständig, für den Zivilschutz der Bund. Diese problematische Rechtslage müssen wir überwinden. Wir brauchen ein länderübergreifendes Zusammenwirken der unterschiedlich aktiven Hilfsorganisationen.
    Engel: Sicherheit aus einer Hand ist hier die Forderung der FDP. Es muss endlich das Durcheinander beseitigt werden, welches durch das Nebeneinander verschiedener gesetzlicher Zuständigkeiten entstanden ist. Bei einem Anschlag von außerhalb Deutschlands ist die Bundesregierung zuständig. Bei einem Unglücksfall hierzulande wird der Katastrophenschutz auf kommunaler Ebene organisiert. Rettungsdienst und Katastrophenschutz sind Sache der Kreise, Feuerschutz die der Kommunen, und die Einbindung der Polizei läuft eigenständig nebenher. Die dadurch entstehenden Reibungsverluste sind augenscheinlich und müssen in einer neuen Sicherheitsarchitektur beseitigt werden.
    Düker: Die Trennung von Katastrophenund Zivilschutz ist aus meiner Sicht längst überholt. Spätestens seit dem 11. September 2001 wissen wir, dass beides nicht mehr voneinander abzugrenzen ist. Diese Unterscheidung stammt noch aus Zeiten des Kalten Krieges. Ich glaube, wir brauchen eine neue Definition und damit auch eine Neuverteilung der Zuständigkeiten. Im Grunde könnte man den Zivilschutz in die Länderkompetenz mit eingliedern. Dafür ist eine neue gesetzliche Grundlage vonnöten.

    Die Interviews führten Stephanie Hajdamowicz und Axel Bäumer.

    ID: LIN00037

  • Auf neue Bedrohungen vorbereitet?
    Debatte über Situation des Katastrophenschutzes im Land.
    Titelthema / Schwerpunkt;
    Plenarbericht
    S. 8 in Ausgabe 1 - 26.01.2005

    In einer der letzten Plenarsitzungen im alten Jahr hat der Landtag auf Antrag von SPD und GRÜNEN (Drs. 13/6311 neu) darüber diskutiert, den Bevölkerungs- und Katastrophenschutz in NRW weiter auszubauen. Dass die Menschen bei Großschadensereignissen noch besser geschützt werden müssen, darüber waren sich Koalition und Opposition einig. Differenzen gab es dagegen bei den Maßnahmen und Mitteln, wie der Nachholbedarf schnell und wirkungsvoll aufzuarbeiten ist.
    Jürgen Jentsch (SPD) dankte wie andere Sprecher auch den Mitgliedern der Hilfsorganisationen für ihr unentgeltliches und ehrenamtliches Engagement. Zusammen mit Polizei, Berufsfeuerwehren und dem Technischen Hilfswerk seien sie das Rückgrat des Katastrophenschutzes. In NRW habe man seine Hausaufgaben gemacht, betonte Jentsch und räumte ein, "das heißt aber nicht, dass wir nicht besser werden können". Die optimale Zusammenarbeit aller Organisationen sei die notwendige Voraussetzung, um ein reibungsloses Funktionieren im Ernstfall zu gewährleisten. Dazu sei auch "ein noch besser abgestimmtes landesweites Netzwerk aller Aufgabenträger" notwendig. Auch sei eine noch intensivere Abstimmung der Gefahrenabwehrsysteme zwischen dem Bund, den Ländern und den Hilfsorganisationen zu erreichen.
    Monika Düker (GRÜNE) stellte fest, um erfolgreich Großschadensereignisse bekämpfen zu können, müssten Gefahrenanalysen erstellt, Gefährdungspotentiale besser eingeschätzt und die Zusammenarbeit optimiert werden. In diesem Zusammenhang nannte sie als Beispiel die Gefahr von Hochwassern, die durch Bodenabsenkungen in Folge des Steinkohleabbau unter dem Rhein auftreten könnten: "Ohne Katastrophen an die Wand malen zu wollen: Auf diese Situation muss sich auch der Katastrophenschutz einstellen." In Hinblick auf kommende Großereignisse - hier erwähnte sie den geplanten Weltjugendtag und die Fußballweltmeisterschaft - müssten Bevölkerungs- und Katastrophenschutz gewappnet sein.
    Klaus Stallmann (CDU) zeigte sich überrascht: Viele der im Antrag genannten Sachverhalte seien bekannt und müssten "im Sinne eines wirksamen Katastrophenschutzes in Nordrhein-Westfalen längst erledigt sein". Damit bestätige der Antrag, dass noch vieles im Argen liege. Stallmann ging auf die Erkenntnisse einer Großübung vom Juni ein und stellte unter anderem fest, dass es vor allem im Gesundheitssystem noch vieles zu verbessern gebe. Die Ausrüstung der Hilfsorganisationen sei nicht auf dem neuesten Stand, das Zusammenspiel aller Kräfte sei zu bündeln. Aber: "Für Ankündigungen und Forderungen ist die Zeit davongelaufen. Wir müssen zum Abschluss kommen. Wir erwarten in den Beratungen im Ausschuss verbindliche Zeitangaben und Ergebnisse."
    Horst Engel (FDP) richtete das Augenmerk auf die komplizierten Zuständigkeiten im Katastrophenfall zwischen Bund, Ländern und kommunaler Ebene. Hinzu komme, dass seit ein paar Jahren im Land NRW die Politik den Feuer- und Katastrophenschutz vernachlässigt habe. Engel vermisste einen ganzheitlichen Ansatz für einen funktionsfähigen Katastrophenschutz im Land. Erst jetzt, kurz vor wichtigen Großereignissen, werde versucht, "durch hektische Betriebsamkeit die durch jahrelanges absichtliches Weggucken entstandene Misswirtschaft zu verdecken". Aber dabei entstehe durch bloße "Verbalkosmetik" lediglich ein "sicherheitspolitischer Flickenteppich". Viel wichtiger sei, "dass endlich das Durcheinander beseitigt wird, welches durch das Nebeneinander verschiedener gesetzlich begründeter Zuständigkeiten entstanden ist".
    Innenminister Dr. Fritz Behrens (SPD) wies die Wertung durch CDU und FDP als unzutreffend zurück. Die Ausstattung der Hilfsorganisationen und Feuerwehren sei inzwischen "angemessen, Entwicklungsbedarf sehe ich vor allem beim überörtlichen und beim landesweiten Zusammenwirken". Der Minister kündigte Vorschläge für eine einheitliche Struktur von Krisenstäben für Kreise, kreisfreie Städte und Regierungsbezirke an. Für einen leistungsfähigen Katastrophenschutz brauche man in NRW Großverbände aus Feuerwehren und Hilfsorganisationen - aber keine Gesetzesänderung:"Wir sind allein in der Lage, mit diesen Situationen fertig zu werden."
    Theodor Kruse (CDU) fand im Gegensatz dazu, die vorhandene Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern werde den heute vorstellbaren Bedrohungen nicht mehr gerecht. Solche Kompetenzkonflikte hätten "unglaubliche organisatorische Reibungsverluste" zur Folge. Darum seien die Rechtsvorgaben den heutigen Herausforderungen anzupassen.
    Bildunterschrif: Schöne Bescherung für die privaten Hilfsorganisationen im Land: Kurz vor Weihnachten übergab in Düsseldorf die Landesregierung 117 Betreuungskombis und 100 Anhänger an Arbeiter-Samariter-Bund, Deutsches Rotes Kreuz, Johanniter Unfallhilfe und Malteser Hilfsdienst. Zusammen mit den Rettungscontainern, die in Kürze angeschafft werden und von denen jeder eine viertel Million Euro kostet, rüstet sich das Land für die Herausforderungen des Katastrophenschutzes.

    ID: LIN00036

  • Viele Schultern tragen die Last.
    Editorial / Kommentar / Blickpunkt;
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 2 in Ausgabe 15 - 22.12.2004

    Endlich - nach eingehender Beratungszeit und schwieriger Terminsuche hat sich der Landtag Nordrhein-Westfalen zur lange geplanten Israelreise mit einer Delegation aufgemacht. Die Entscheidung fiel in einer Zeit, als blutiger Terror die Schlagzeilen bestimmte. Sie war darum auch als Demonstration gedacht: Seht her, wir lassen Euch nicht im Stich.
    Im Gepäck der Delegation immer dabei: die Last der deutschen Geschichte. Der Völkermord der Nationalsozialisten hat tausende jüdischer Gemeinden in ganz Europa ausgelöscht. In den Großstädten und auf dem Land: Rahden, Minden, Lübbecke, Gütersloh, Rheda, Beverungen, Nieheim, Warburg sind von der Landkarte verschwunden, dafür hat sich in diesem Teil des Landes jüdisches Leben wieder in Herford, Detmold, Paderborn und Bielefeld entwickelt. "Neben Israel ist Deutschland das einzige Land, in dem die Zahl der Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens unverändert wächst", stellte jüngst der Landtag in seinem Entschließungsantrag zum jüdischen Leben in Nordrhein-Westfalen fest.
    Zeichen setzen
    Ein Antrag übrigens, der von allen vier Fraktionen des Landesparlaments unterschrieben worden ist. Die Last der Geschichte ist eben erträglicher, wenn sie von vielen Schultern getragen wird. Dieser Einsicht sind in NRW schon früh Taten gefolgt. Gewerkschaftskontakte, Schul- und Städtepartnerschaften, private Reisen und parlamentarischer Austausch haben ein Band der Begegnung und der Freundschaft mit Israel geknüpft. Eine Deutsch-Israelische Parlamentariergruppe, die erste eines Landesparlaments überhaupt, wurde in Düsseldorf gegründet. Die jüdischen Gemeinden im Land wachsen, neue Synagogen, Schulen, Kindergärten und Gemeindezentren werden gebaut.
    Ist darum die Aussöhnung vollendet, der Schrecken der Vergangenheit vergessen? Nein, noch immer werden auf den Straßen Naziparolen gegrölt, werden Hakenkreuze auf jüdische Grabsteine geschmiert und regen sich Parteien, die das Gedankengut von gestern verbreiten wollen. Täuschen wir uns nicht: Wenn Neonazis in den sächsischen Landtag einziehen, dann blickt die Welt auf Deutschland und fragt sich: Lebt der alte Ungeist noch? Die Wählerinnen und Wähler in Nordrhein-Westfalen können im kommenden Mai zeigen: In NRW nicht! Die Menschen in Israel warten auf dieses Zeichen. Wir haben es in der Hand.
    JK

    ID: LIN00933

  • Vom Holocaust zur Partnerschaft.
    Der Prozess der Normalisierung ist schwierig und langwierig.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 11 in Ausgabe 15 - 22.12.2004

    Das hatte der junge Staat Israel noch nicht erlebt: Zehntausende demonstrieren im Januar 1952 vor der Knesset, dem Parlament des Landes, gegen das Angebot der Adenauer-Regierung, als Wiedergutmachung für den Holocaust Waren und Dienstleistungen im Wert von 800 Millionen Dollar (seinerzeit 3,45 Milliarden DM) an Israel zu liefern. Viele, darunter der spätere Ministerpräsident Menachem Begin, sahen darin den "Verkauf der Ehre des jüdischen Volkes".Wegen seiner Verantwortung im Zweiten Weltkrieg war Deutschland ein politisches Tabu und galt als "Feindstaat". Heute ist die Bundesrepublik der engste europäische Partner Israels, nicht zuletzt wegen Initiativen aus Nordrhein-Westfalen.
    Große Überzeugungsarbeit musste Israels Gründungsvater und erster Ministerpräsident David Ben Gurion leisten, um die Parlamentarier seines Landes dazu zu bewegen, das deutsche Reparationsangebot anzunehmen. Für offizielle diplomatische Beziehungen war die Zeit allerdings noch nicht reif. Alle weiteren Versuche scheiterten. Erst 13 Jahre nach Unterzeichnung des Reparations-Staatsvertrages im September 1952 nahmen Deutschland und Israel offizielle diplomatische Beziehungen auf: am 12.Mai 1965.
    Doch auch die als "Jahrzehnt der Normalisierung" bezeichnete Folgezeit spiegelt das besondere Verhältnis beider Staaten wider: Im Sechs-Tage-Krieg 1967 unterstützte die deutsche Öffentlichkeit Waffenlieferungen an Israel. Die Sympathie nimmt ab, als Israel palästinensische Gebiete besetzt und der palästinensische Terrorismus einsetzt.
    1972 kühlten die Beziehungen von Seiten Israels ab. Die Öffentlichkeit erregte sich an den Attentaten von München und den "zu weichen" Gegenmaßnahmen Deutschlands.
    Unter Helmut Schmidt entspannte sich 1974 das Verhältnis, nachdem er Israel Unterstützung bei den Waffenstillstandsverhandlungen mit Ägypten angeboten hatte. 1977 verschlechterte sich das Verhältnis erneut, als Schmidt Leopard II Panzer an Saudi-Arabien liefern wollte.
    Den vorläufigen Höhepunkt erreichte das deutsch-israelische Verhältnis in den 80-er Jahren, als Deutschland zum zweitgrößten Handelspartner Israels weltweit und zum engsten europäischen Partner aufstieg. Deutliche Zeichen setzte auch Bundeskanzler Helmut Kohl, der die Beziehungen zu Israel als wichtiges Element der neuen deutschen Rolle in der Weltpolitik betrachtete.
    Auch politisch wachsen die Staaten enger zusammen: 1995 spielte Deutschland eine wesentliche Rolle bei der EU-Entscheidung, Waren aus Israel bei der Einfuhr in die Europäische Union einen Sonderstatus einzuräumen. Nach dem rot-grünen Wahlsieg 1998 stiegen die diplomatischen Aktivitäten: Außenminister Joschka Fischer reiste nach Ausbruch der Al-Aksa-Intifada im Jahr 2000 wiederholt in den Nahen Osten, um zwischen Israelis und Palästinensern zu vermitteln. Er genießt das Vertrauen beider Seiten.

    Jüdisches Leben

    Großen Anteil an den guten Beziehungen zu Israel haben Initiativen aus Nordrhein- Westfalen, etwa die Jugendaustauschprogramme des Landesjugendrings oder Städte- und Sportpartnerschaften.
    1987 gründete der Landtag als erstes Länderparlament eine deutsch-israelische interparlamentarische Arbeitsgruppe, die "Deutsch-Israelische Parlamentarische Gesellschaft". Die Gruppe versteht sich als "Mahner, Mittler, Moderator und Motor der deutschisraelischen Freundschaft auf parlamentarischer Ebene". So verkündete es ihr Sprecher, Landtagspräsident Ulrich Schmidt, in der ersten Sitzung im Landtag.
    Die Worte begleiteten Taten: 1988 unterzeichnete der Landtag eine Resolution, Israels Aufbauleistungen weiter zu unterstützen. 1992 verpflichtete sich die Landesregierung per Staatsvertrag, das Kulturleben der 19 jüdischen Gemeinden in NRW zu fördern. Die sind nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion stark gewachsen. Viele Juden aus Russland zieht es nach NRW, das ihr Vertrauen genießt. Die jüdische Bevölkerung versechsfachte sich auf heute rund 30.000 Menschen, einem Drittel aller in Deutschland lebenden Juden.
    Mit den Gemeindegrößen wuchs auch die Zahl der Synagogen. Die Einweihung der neuen Synagoge in Wuppertal besuchte der israelische Staatspräsident Moshe Katsav. Vor wenigen Wochen wurde in Gelsenkirchen der Grundstein für ein neues jüdisches Gotteshaus gelegt.
    Im Juli 2003 schließlich unterzeichneten alle vier Landtagsfraktionen den gemeinsamen Entschließungsantrag "Jüdisches Leben in Nordrhein Westfalen - mehr Wissen, mehr Vertrauen", in der sie sich verpflichten, dem jüdischen Leben in NRW wieder zur Normalität zu verhelfen. Ein Sonderdruck, der diese parlamentarische Erörterung dokumentiert und inzwischen vergriffen ist, wurde erstellt und fand - auch in Israel - große Beachtung.
    M.D.

    Bildunterschrift:
    "Scham und Trauer erfüllen unsere Herzen, Vergebung und Frieden sind unsere Hoffnung" - so lautet der Text, den der Leiter der Delegation und Vorsitzende des Hauptausschusses, Edgar Moron, in das Buch der Gedenkstätte Yad Vashem eintrug. Yad Vashem erinnert auch an die eineinhalb Millionen jüdischen Kinder, die im Holocaust ermordet worden sind.

    Systematik: 1510 Internationale Beziehungen; 7300 Religionsgemeinschaften

    ID: LIN00946

  • Frieden im Heiligen Land nah wie nie?
    Bilanz der Landtagsreise: Nach Arafat kündigt sich vorsichtig ein Wandel an.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 12-13 in Ausgabe 15 - 22.12.2004

    Unter Leitung des Vorsitzenden des Hauptausschusses, Edgar Moron (SPD), hat eine Delegation von fast 20 Abgeordneten aller Fraktionen des Landtags Israel und die so genannten Palästinensischen Autonomiegebiete in der Zeit vom 15. bis 20. November besucht. Unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern waren eine Vizepräsidentin und ein Vizepräsident des Landtags, Fraktionsvorsitzende und Parlamentarische Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer. Die Reise, mit deren Durchführung in schwierigen Zeiten auch ein Zeichen des NRW-Landtags für die Menschen der Region gesetzt wurde, ging auf Beschlüsse des Ältestenrats und des Hauptausschusses zurück. Anlass war die Deklaration des gemeinsamen Entschließungsantrages aller Fraktionen aus dem Jahre 2003 - sie stellte fest: "Mehr Wissen voneinander schafft mehr Vertrauen" (Drs. 13/3886).
    Wer im Nahen Osten kein Optimist ist, ist kein Realist! Das hob Avi Primor, der frühere Botschafter Israels in Deutschland, hervor. Kaum einer redet so offen von einer echten Friedenschance für das Land und beschreibt die Hürden so realistisch wie er. Den Besuch im Interdisciplinary Center (IDC) in Herzliya mit dem German Innovation Center (GIC) nahm er bereitwillig zum Anlass, mit der Delegation auch allgemein über die politischen Perspektiven zu reden.
    In den Tagen zuvor erfolgten in rascher und gedrängter Folge politische Gespräche in der Knesset, im Amt des Premierministers, im Ministerium für Einwandererintegration, im Außenministerium, dem Tourismusministerium und bei der Gewerkschaft Histadrut. Während des einwöchigen Aufenthalts hatte die Delegation auch Gelegenheit zum Besuch der Friedensprojekte in Neve Shalom und Givat Haviva und zu Gesprächen mit Vertretern von Peace Now und den Leitern der deutschen politischen Stiftungen in Israel. Beim Besuch von Yad Vashem legten die Präsidenten zusammen mit dem Delegationsleiter im Beisein des deutschen Botschafters Rudolf Dreßler im Gedenken an die Opfer des Holocaust einen Kranz nieder. Im Namen des Landtags von Nordrhein-Westfalen schrieb Edgar Moron in das Gedenkbuch: "Scham und Trauer erfüllen unsere Herzen, Vergebung und Frieden sind unsere Hoffnung."
    Neben Informationen zur Lage in Israel war die Delegation daran interessiert, dass auch nach dem absehbaren Ausscheiden einer in der deutsch-israelischen Zusammenarbeit sehr aktiven Generation von Akteuren auf beiden Seiten die Beziehungen zwischen Israel und NRW auf eine breite Grundlage gestellt, auch in Zukunft aktiv gestaltet und begleitet werden und dass nach einem Rückgang des Austauschs in vielen Bereichen während der seit vier Jahren andauernden Intifada die Kontakte wieder intensiviert und belebt werden.
    Die Vorsitzende der israelisch-deutschen Parlamentariergruppe, Naomi Blumenthal MK (Likud), stand zusammen mit Majallie Whbee MK Likud) und Eliezer Cohen MK Nationale Union) für einen Informationsaustausch in der Knesset zur Verfügung. Neben der Bedeutung des im kommenden Jahr anstehenden 40-jährigen Jubiläums der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel und den Kontakten zwischen Knesset und dem Landtag NRW konzentrierten sich die Abgeordneten der Knesset (MK) unter anderem auf die Rückzugspläne und auf eine dort intensiv wahrgenommene Bedrohung durch den Iran.
    Der außenpolitische Berater von Premierminister Sharon, Shalom Tourgeman, berichtete über die Schwierigkeiten der jetzigen Minderheitsregierung. Strategie des Premiers sei, zunächst den Haushalt 2005 durch das Parlament zu bringen und anschließend möglicherweise mit einem anderen Koalitionspartner eine stabile Mehrheit für einen Siedlungsabbau im Gazastreifen und in der nördlichen Westbank zu haben. Ein Scheitern der Haushaltsverhandlungen zöge nach der Verfassung Neuwahlen nach sich.

    Terrorbekämpfung

    Der stellvertretende Leiter des Planungsstabs im Außenministerium, Yacov Amitai, und der Leiter der Sektion Nahost, Benny Dayan, gaben einen Überblick über das Umfeld, in dem sich der Nahostkonflikt bewegt: nicht-demokratische Regime, junge Bevölkerungen mit hoher Arbeitslosigkeit, Reformdruck von außen und wenig Teilnahme an internationalen kulturellen Strömungen. Darauf treffe ein neuer ideologischer Trend in den USA, der versuche, die Werte in der Region zu ändern. Arabische Staaten passten in diesem Spannungsfeld ihr Verhalten taktisch an, träfen jedoch - mit Ausnahme Libyens - nicht die Entscheidung zu strategischen Veränderungen.
    Die Leiterin des Westeuropareferats, Osnat Bar Yosef, und der Deutschlandreferent Yuval Fuchs appellierten, Israel bei der Bekämpfung des Terrors zu unterstützen und sprachen die Sorge vor einem wachsenden Antisemitismus in Europa an. Als eine Antwort auf die Frage nach einer Verbesserung des Israel- bzw. des Deutschland-Bildes wurde die Stärkung des Jugendaustausches und allgemein eine Intensivierung persönlicher Kontakte genannt.

    Gewerkschaftskontakte

    Das Vorstandsmitglied der Histadrut, Nawaf Massalha, und der ehemalige Leiter der Jugendarbeit der Histadrut, Micky Drill, hoben die Probleme der Gewerkschaften und Arbeitnehmer mit der Politik des israelischen Finanzministers Netanyahu (Verstaatlichung der Pensionsfonds in einem Rentensystem mit Kapitaldeckung; finanzielle Probleme der Kommunen, wachsende Armut) hervor. Der gesunkene Einfluss der Histadrut wurde auch auf verpasste interne Reformen zurückgeführt. Die Beziehungen des Deutschen Gewerkschaftsbunds mit der Histadrut seien einmalig. Ein Abkommen wie das von 1975 gebe es mit keiner anderen Gewerkschaft weltweit. Zwischen NRW und dem Gewerkschaftsbezirk Tel Aviv gebe es sogar noch länger ein Abkommen. Auch bei diesem Gespräch waren Grundlagen und Möglichkeiten des Jugendaustauschs Thema.
    Die letzten Stunden des dichten Besuchsprogramms gehörten Bethlehem. Ramallah oder Nablus zu besuchen war, spätestens mit dem gerade in der Woche vor der Delegationsreise bekannt gegebenen Tod von Yassir Arafat, nicht mehr denkbar. Hinter dem israelischen Checkpoint konnten sich die Parlamentarier ein eigenes Bild von den Sicherheitsabsperrungen machen.

    Hoffnungszeichen

    In Bethlehem sind die Touristenströme durch die zweite Intifada weggebrochen. Arbeitslosenzahlen von über 70 Prozent und die Demografie (die Hälfte der Menschen dort ist unter 17 Jahre alt) schaffen ein Klima, das sich im Falle der Wahrnehmung von Demütigungen zu einem gefährlichen Gemisch verdichten kann. Die nicht bewaffnete palästinensische Polizei hat es schwer, mit der hierfür notwendigen Autorität Innere Sicherheit herzustellen. Der Gouverneur des Distrikts Bethlehem Zuheir Menasrah stellte diese Anliegen in einem Gespräch sehr engagiert dar. Die Delegation hob hervor, dass Bewegung auf beiden Seiten erforderlich sei und eine eindeutige Absage an Terrorakte erwartet werde.
    Den Abschluss der Reise bildete ein optimistisch stimmender Besuch im Internationalen Begegnungszentrum (ICB) bei Reverend Dr. Mitri Raheb, der ambitioniert darstellen konnte, wie der interkulturelle Dialog weiterhin erfolgreich befördert wird und arbeitslose junge Menschen eine Beschäftigung erhalten. Inzwischen ist das ICB der größte private Arbeitgeber in der Region Bethlehem.

    Bildunterschriften:
    Eindrücke aus dem gelobten und umkämpften Land (v.l.): Erinnerung an die Deportation der Juden in der Gedenkstätte Yad Vashem ... Edgar Moron beim Eintrag ins Gedenkbuch ... Israelische Jugendliche (jüdischer und arabischer Herkunft) berichten in Givat Haviva den nordrhein-westfälischen Parlamentariern über ihre Friedensaktivitäten ... Blick auf Bethlehem hinter der Sicherheitsmauer ... Checkpoint in Bethlehem ... Sprecher für den Frieden in Nahost: Avi Primor in Herzliya ... Austausch mit Zuheir Menasrah, dem palästinensischen Gouverneur des Distrikts Bethlehem ... Delegationsmitglied Werner Jostmeier vor dem Eingang des Außenministeriums - von ihm stammen die Aufnahmen.
    Erinnerung an einen großen Politiker - die Delegation an der Gedenkstätte für den ermordeten Yitzhak Rabin in Tel Aviv.

    Systematik: 1510 Internationale Beziehungen

    ID: LIN00947

  • Entwicklungspolitik für den Frieden.
    Editorial / Kommentar / Blickpunkt;
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 2 in Ausgabe 14 - 08.12.2004

    Die Weltbank misst Armut am Pro-Kopf- Einkommen. Arm ist demnach, wer einen oder zwei Dollar pro Tag hat. Absolut arm, mit nur einem Dollar am Tag, sind 1,2 Milliarden Menschen. Arm, mit etwa zwei Dollar am Tag, ist die Hälfte der Menschheit. Doch das Pro-Kopf-Einkommen reicht nicht aus, um Armut zu definieren. Zur Armut gehört nicht nur eine ökonomische Dimension, sondern auch eine kulturelle und soziale Dimension.Wer keinen Zugang zum Bildungssystem und Gesundheitswesen hat, kann seine geistigen und körperlichen Fähigkeiten nicht entwickeln. Genau hier setzt Entwicklungshilfe an.
    Die vergangenen 40 Jahre sind eine Mischung aus Erfolg und Misserfolg. Um die Arbeit der Länder besser zu vernetzen, wird jetzt eine koordinierte europäische Entwicklungspolitik gefordert. Politiker aus NRW setzen auf Vernetzung aller Hilfsorganisationen vor Ort. Ein noch verstärkter öffentlicher Dialog soll dafür sorgen, dass Sätze wie "Eine Welt - das geht mich nichts an" der Vergangenheit angehören. Zusammenhänge müssen erklärt werden.
    Zucker
    Zum Beispiel hat das Parlament in Düsseldorf gerade über die vorgeschlagene Reform der EU-Zuckermarktordnung diskutiert. Jetzt sollen der Landwirtschaftsausschuss und der Eine-Welt- Ausschuss abschließend beraten. Es geht darum, die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Preissenkungen für Zuckerrüben und Zucker zu verhindern und einen Binnenmarktpreis zu erhalten, welcher den Zuckerrübenanbau in NRW sichert sowie den 48 ärmsten Entwicklungsländern einen angemessenen Preis für ihre Exporte in die Europäische Union garantiert.
    Nordrhein-Westfalen ist seit Jahren in der Entwicklungshilfe aktiv. Es gibt viele ehrenamtliche Aktive, zahlreiche Eine-Welt-Läden, eine Eine-Welt-Beauftragte der Landesregierung, Promotoren, Ausstellungen (wie die Ausstellung von Karlheinz Böhms Stiftung "Menschen für Menschen" im Landtag) und Projekte, Spendenaufrufe, Länderforen, Workshops und Finanzhilfen für private Vereine mit eigenen Entwicklungsprojekten.
    Doch die Entwicklungspolitik muss sich neuen Herausforderungen stellen. Klimawandel, Migration, Armut, Staatenzerfall als globales Sicherheitsproblem müssen bewältigt werden. Es geht darum, die Fähigkeit von Entwicklungsländern zu stärken, die Chancen der Globalisierung zu nutzen. Und die Entwicklungspolitik als wirksames Instrument präventiver Friedenspolitik einzusetzen.
    SH

    ID: LIN00886

  • "Hoffnung auf Morgen".
    Der Gründer der Stiftung "Menschen für Menschen" im Gespräch.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 11 in Ausgabe 14 - 08.12.2004

    "Zum Beispiel Äthiopien" lautete der Titel der Ausstellung im Landtag, die der Gründer der Stiftung "Menschen helfen Menschen", Karlheinz Böhm, zusammen mit Landtagspräsident Ulrich Schmidt eröffnet hat. Landtag intern befragte Böhm, der mit seiner Frau Almaz gekommen war, zu seiner praktischen Arbeit, die er als "Unterstützung zur Selbstentwicklung" versteht.

    Was hat Sie dazu gebracht, Ihr Hilfswerk "Menschen für Menschen" ins Leben zu rufen?

    Karlheinz Böhm: "Das war 1968. Ich war damals 40, spielte in Frankfurt Theater. Ich befand mich in der Künstlerkneipe von einer Frau namens Toni. Draußen demonstrierten Menschen. Mir wurde klar, dass das Kinder reicher Eltern sind. Niemandem von denen war bewusst, was der Zweite Weltkrieg an Leid und Elend gebracht hatte. Der Regisseur Rainer Werner Fassbinder hat mein Leben und meine Politisierung wesentlich beeinflusst. Zum einen sagte er: Ich müsse zu dem stehen, was ich gemacht habe, und zwar mit der notwendigen Selbstkritik. Und der Satz von Fassbinder: "Ich schaue überall hin, wo es stinkt. Dahin schieße ich." Das Schießen meinte er sinnbildlich und machte dies mit seinen Projekten. Mich hat das so sehr geprägt, dass ich daraufhin in der "Wetten dass"-Sendung um Spenden für Afrika warb. Ich ging in die Sahelzone, dann später nach Äthiopien."

    Gab es Widerstände bei Ihren Entwicklungshilfeprojekten?

    Karlheinz Böhm: "Nur einmal. Als ich ein Waisenhaus mit 61 Kindern in Mettu übernehmen wollte. Das war vorher in den Händen der staatlichen Hilfsorganisation RRC. Die Verhandlungen waren schwierig. Ein hoher Regierungsbeamter hatte versucht, zu verhindern, dass wir das Waisenhaus übernehmen. Vergeblich. Inzwischen haben wir in Mettu ein neues, größeres Kinder- und Jugendheim gebaut, das 144 Kindern eine Hoffnung gibt. Wir nennen es Abdii Borii - ‘Hoffnung auf morgen’. Das waren die einzigen Hindernisse, die meiner Stiftung in die Wege gelegt wurden."

    Wie beurteilen andere die Arbeit von Ihnen, die sehr an Ihre Person gebunden ist?

    Karlheinz Böhm: "Positiv. Wir haben 231 Millionen Euro Spendengelder für die Stiftung bekommen. Bundespräsident Horst Köhler wird seine erste Reise in drei afrikanische Länder starten. Am 14. Dezember erreicht er Äthiopien und trifft dort auf meine Frau Almaz, die die Stellvertretende Leiterin der Stiftung ist. Und Köhler ist der erste Bundespräsident, der den afrikanischen Staaten Schulden beim Internationalen Währungsfonds gestrichen hat. Das spricht für sich."
    SH

    ID: LIN00897

  • Bittsteller für ein stolzes Volk.
    Karlheinz Böhm wirbt im Landtag.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 11 in Ausgabe 14 - 08.12.2004

    Er gibt mit Engelsgeduld Autogramme, lächelt freundlich in die Kameras, hört interessiert zu und wenn er spricht, redet er sich in die Herzen der Menschen. Karlheinz Böhm (76) ist in seinem Element: Er wirbt im Landtag für seine Stiftung "Menschen helfen Menschen". Zum drittärmsten Land der Welt zeigte das Parlament bis zum 3. Dezember diese Ausstellung.
    Auf dem Dach Afrikas, wie Äthiopien genannt wird, hat die Stiftung 100 Schulen gegründet, ein Dutzend kommt in nächster Zeit hinzu. Sie hat 974 Wasserstellen gebaut und an die 300 Kornmühlen errichtet. "Menschen für Menschen" fördert die agrartechnische Entwicklung, forstet auf, bildet aus, treibt den Ausbau des Gesundheitswesens voran und kämpft für die Rechte der Frauen und Mädchen. Das alles erzählt Karlheinz Böhm. Fast beiläufig sprudeln Zahlen und Fakten. "Ich finde toll, wie Sie geredet haben", sagt ihm eine Zuhörerin später. "Es kommt mir aus vollem Herzen", entgegnet er schlicht.
    Damit untertreibt er wie gewöhnlich. "Er hat einen langen Atem", urteilt Landtagspräsident Ulrich Schmidt bei der Eröffnung der Ausstellung mit Fotografien von Heide Dorfmüller. Die Projekte nennt der Präsident "weise und klug, weil sie langfristig und nachhaltig angelegt sind". Er wünscht Böhm weiterhin Kraft für seinen großartigen Friedensdienst.
    Kann so ein Mann zornig sein und böse werden? Ja, wenn Böhm nach dem Ursprung seines Engagements gefragt wird, dann sagt er: "Es war die Wut." Wut über ein halbes Jahrtausend europäischer Kolonialgeschichte. Diese Schuld müsse man jetzt zurückzahlen.
    An die jungen Leute des Sankt Anna Gymnasiums aus Wuppertal gewandt, die zufällig an diesem Tag einen Besuch im Landtag auf dem Programm haben, sagt Böhm klipp und klar, er arbeite mit seiner Stiftung nicht für sich, "sondern aus Verantwortung Euch gegenüber". Denn wenn es nicht gelinge, die himmelschreiende Diskrepanz zwischen Arm und Reich abzubauen, "dann müsst Ihr die Rechung bezahlen".
    Und er kommt gleich zur Sache: "Wie viel seid Ihr an Eurer Schule?" Die Antwort: So um 1.300. Nächste Frage:"Wie viel könnt ihr von Eurem Taschengeld entbehren, ohne dass Ihr es merkt. Einen Euro"? Antwort: Ja. Kleiner mathematischer Exkurs: 1.300 mal einen Euro, mal zwölf Monate - "Ihr wisst schon, wie viel dabei herauskommt. Damit kann man unvorstellbar viel verändern." Er verspricht:"Wenn Ihr etwas erreicht, dann komme ich sehr gern zu Euch in die Schule." Karlheinz Böhm - Bittsteller für ein armes und stolzes Volk in Ostafrika, der Wiege der Menschheit.
    JK

    Bildunterschrift:
    Beim Empfang durch den Landtagspräsidenten: Karlheinz Böhm (l.) und seine äthiopische Frau Almaz (r.). Der Besuch Böhms und die Ausstellung über seine Projekte sind auf Initiative von Oliver Keymis (GRÜNE) zustande gekommen, der Böhm seit 20 Jahren kennt und mit ihm zusammen arbeitet.

    Systematik: 1530 Entwicklungszusammenarbeit

    ID: LIN00898

  • Grünberg, Bernhard von (SPD); Keller, Ilka (CDU); Brockes, Dietmar (FDP); Koczy, Ute (Grüne)
    "Hilfsprojekte besser vernetzen".
    Interview mit den Sprecherinnen und Sprechern für Eine-Welt-Politik.
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 12-13 in Ausgabe 14 - 08.12.2004

    Das ehrenamtliche Engagement im Bereich Entwicklungshilfe beziehungsweise Entwicklungszusammenarbeit ist groß in NRW. Allein im Eine-Welt-Netzwerk NRW engagieren sich über 10.000 Menschen in rund 1.500 Institutionen. Wie sieht es jedoch in Zeiten knapper Kassen mit der staatlichen Förderung von Hilfsprojekten aus und was kann ein Land wie NRW überhaupt zur Eine- Welt-Politik beitragen? Über diese und andere Fragen sprach Landtag intern mit Bernhard von Grünberg (SPD), Ilka Keller (CDU), Dietmar Brockes (FDP) und Ute Koczy (GRÜNE).

    Was leistet NRW für die Entwicklungshilfe und was kann der Ausschuss überhaupt dazu beitragen?

    von Grünberg: Wir haben in NRW eine Vielzahl von Bürgerengagements gefördert. Erstens dadurch, dass wir Promotoren eingestellt haben, die in den Kommunen entwicklungspolitische Gedanken vermitteln und die Menschen zu aktivieren versuchen. Dazu hat das Land viel Geld bereitgestellt. Inzwischen haben wir eine große Zahl von Gruppen, die in den unterschiedlichsten Regionen aktiv sind. Wir sind gerade dabei, ein Internetportal zu organisieren, wo diese Gruppen sich darstellen und miteinander vernetzen können. Es soll im Frühjahr 2005 online gehen. Darüber hinaus haben wir sehr erfolgreiche Gesprächsforen eingeführt, wo wir jeweils die Gruppen, die sich in den gleichen Entwicklungsländern engagieren, zum Erfahrungsaustausch an einem Tisch zusammenbringen.
    Ich selbst bin Mitglied im Forum der NRW-Partnerregion Mpumalanga in Südafrika. Speziell meine Aufgabe als Bonner Abgeordneter sehe ich darin, die Zusammenarbeit zwischen den Gruppen in ganz NRW und den in Bonn ansässigen Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen auszuweiten, da diese wiederum Bindeglied zu den Organisationen im Ausland sind. Die Forderung nach stärkerer Vernetzung und Bündelung von Aktivitäten gilt übrigens auch für die einzelnen Fachministerien. Auch hier ist die Zusammenarbeit noch zu optimieren.
    Keller: Aus unserer Sicht muss die Eine-Welt-Politik des Landes konzeptionell und strukturell noch schärfer profiliert, stärker mit internationalen Organisationen wie OECD und WTO vernetzt und der Anteil privatwirtschaftlicher Förderung erhöht werden. Das vermissen wir bislang. Ein aus unserer Sicht positiver Schwerpunkt ist die Kooperation zwischen NRW und China. Seit vielen Jahren werden Studenten aus China hier in NRW ausgebildet und betreut. Die Landesregierung verfolgt ansonsten jedoch zu stark das Promotorenmodell, das mehr nach innen arbeitet und zu wenig Raum für den Blick nach außen zulässt. Jetzt wird man von Seiten der Landesregierung kontern und auf Programme in Mpumalanga hinweisen, wo stillgelegte Goldminen zu Museen umgebaut werden. Aus meiner Sicht gibt es jedoch fördernswertere Projekte. Wir müssen neue Schwerpunkte setzen.
    Brockes: NRW unterhält verschiedene Kontakte zu den Ländern des Südens.Mit der südafrikanischen Provinz Mpumalanga haben wir zum Beispiel eine Partnerschaft. NRW unterstützt aber auch insbesondere die Aktivitäten der Eine-Welt-Gruppen vor Ort. Darin sehe ich einen Schwerpunkt für die Zukunft. Wir müssen die vielfältigen Projekte und Aktivitäten, die es in unserem Land gibt, künftig stärker vernetzen, so dass die Kommunikation untereinander besser wird. Dafür brauchen wir beispielsweise eine Internetdatenbank, wo alle Gruppen und Initiativen die Möglichkeit haben, ihr Projekt kurz darzustellen. Auf diesem Wege könnten neue Partnerschaften unter Gruppen entstehen, die vielleicht im selben Land tätig sind oder sich um dasselbe Problem kümmern. Diesen Austausch finde ich wichtig und sinnvoll, damit nicht jeder Einzelne versucht, "das Rad neu zu erfinden", sondern die Gruppen sich untereinander ergänzen.
    Koczy: Wir wissen, dass unsere Art zu leben Einfluss darauf nimmt, wie Produkte international gehandelt und hergestellt werden. Wir leben tagtäglich von Produkten aus den Ländern des Südens. Das Geld, das wir dafür bezahlen, ist zu wenig, als dass die Menschen davon leben könnten. Das heißt, wir nutzen internationale Beziehungen aus, um günstig einkaufen zu können. Diese unfairen Welthandelsbedingungen gilt es aufzubrechen. Deshalb verfolgen wir in NRW einen Ansatz der Inlandsarbeit. Wir müssen gucken, wie leben wir hierzulande, was müssen wir verändern, damit sich die Bedingungen auch in den Ländern des Südens verändern. Aus diesem Grund haben wir in NRW das PromotorInnen-Netzwerk gegründet und unterstützen Entwicklungszusammenarbeit auf kommunaler Ebene. Das passiert in allererster Linie dadurch, dass wir die Menschen in NRW über die erwähnten Missstände und Ungerechtigkeiten aufzuklären versuchen und gleichzeitig Alternativen anbieten.

    Welche Prioritäten setzten Sie bei der Entwicklungshilfe?

    von Grünberg: Für mich persönlich ist die Frage der Armutsbekämpfung ganz entscheidend, aber da sind wir am wenigsten gefordert. Aus Sicht des Landes NRW sollten Themen wie Energiegewinnung oder Umwelttechnik Priorität haben, da NRW hier weltweit eine Vorreiterrolle einnimmt. Ich selbst unterstütze beispielsweise ein Projekt für Solarkocher. Darüber hinaus halte ich Bildungs-und Stipendienprogramme für sehr wichtig, um eine Verbindung und einen Erfahrungsaustausch zwischen hiesiger und dortiger Industrie zu ermöglichen. Aufgabe der Politik ist es dabei, als Vermittler und Moderator aufzutreten.
    Keller: Für uns hat es Priorität, die Wirtschaft bei der Entwicklungshilfepolitik künftig stärker mit einzubinden und deren finanzielle Mittel für die Eine-Welt-Politik des Landes zu nutzen. Die CDU hat beispielsweise Modelle von Fundraising - das Einwerben von Finanzmitteln für Hilfsprojekte - vorgeschlagen. Bislang konnte die Landesregierung auf diesem Gebiet jedoch keine nennenswerten Ergebnisse erzielen. Lediglich 0,5 Prozent der Inlandsarbeit gehen auf Fundraising zurück, während der größte Batzen aus öffentlichen Geldern bereitgestellt wird. Daher müssen wir Synergieeffekte mit der Wirtschaft nutzen. Vor dem Hintergrund der wachsenden Armut in der Welt müssen wir zudem die vorhandene Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung, sich ehrenamtlich zu engagieren, besser fördern, bündeln und miteinander vernetzen.
    Brockes: Man muss zunächst die Haushaltssituation des Landes vor Augen haben. Mit einem geschätzten Schuldenstand von 107,7 Milliarden Euro bis zum Jahresende ist es äußerst schwierig, finanzielle Unterstützung in der Entwicklungshilfe zu leisten. Die Entwicklungspolitik ist auch in erster Linie Bundesaufgabe. Ich wünsche mir jedoch, dass sie künftig noch stärker eine Aufgabe der Europäischen Union (EU) wird, damit nicht jedes Land seine eigenen Projekte verfolgt und parallel zu anderen Ländern arbeitet, sondern dass über die EU sichergestellt wird, dass die Entwicklungshilfearbeit gemeinschaftlich und flächendeckend geleistet wird. Die beste Entwicklungshilfe ist aus meiner Sicht aber die Öffnung der Märkte. Wir müssen aufhören, unsere Märkte abzuschotten und stattdessen den Entwicklungsländern eine wirkliche Chance geben. Beispiel Zuckermarktordnung: Hier muss man den südlichen Ländern einen fairen Zugang gewähren, auch wenn dies Einschnitte für die heimische Landwirtschaft zur Konsequenz hätte.
    Koczy: Es gibt eine Vielzahl von richtigen Ansätzen. Für mich steht der faire Handel ganz oben auf der Prioritätenliste. Ich nenne ein Beispiel: 2006 steht uns die Fußball-WM ins Haus. Hier stellt sich die Frage, wo und wie beispielsweise die Trikots und die Fußbälle hergestellt werden. Die südlichen Länder sind die Hauptlieferanten für solche Produkte, die oftmals in Kinderarbeit hergestellt werden. Wir in NRW müssen daher Zeichen setzen, indem wir darauf achten und hinweisen, dass von uns gekaufte Produkte zu fairen Preisen gehandelt und sozial hergestellt werden.

    In Zeiten knapper Kassen hat sich der Stellenwert von Entwicklungshilfe verändert. Wie funktioniert dabei die Zusammenarbeit mit den Hilfswerken?

    von Grünberg: Die Zusammenarbeit mit den Hilfswerken ist gut, aber verbesserungswürdig. Das Stichwort lautet auch hier wieder Vernetzung. Wir können den Hilfswerken kein Geld geben, wir können aber Erfahrungen weitergeben und Verbindungen schaffen.
    Keller: Die Hilfswerke haben von jeher viel im Land bewirkt, aber sie werden eher vom Bund unterstützt. In Zeiten knapper Kassen müssen wir alles daransetzen, ehrenamtliche Arbeit zu unterstützen und auch Kontakte zur Wirtschaft zu fördern. Das funktioniert nicht nur mit Geld. Außerdem gibt es Unternehmen in NRW, die nach außen ein Zeichen setzen, indem sie beispielsweise sicherstellen, dass in ihren Betrieben keine Materialien Verwendung finden, die auf ausbeuterische Weise oder in Kinderarbeit hergestellt worden sind. Solche "Codes of Conduct" müssen wir unterstützen und deren Umsetzung fördern.
    Brockes: Ich finde es enorm, was in unserem Land ehrenamtlich geleistet wird. Beispiele ließen sich viele nennen. Unsere Aufgabe ist es, das Engagement und den Einsatz der Aktiven noch stärker ins Bewusstsein der Menschen zu bringen und den Hilfswerken mit Ideen und Rat zur Seite zu stehen.
    Koczy: Glücklicherweise sind die im Landeshaushalt bereitgestellten Mittel für den Eine-Welt-Bereich in den vergangenen Jahren nahezu konstant geblieben. Man darf aber nicht vergessen, dass in anderen Ministerien der Bereich Internationale Zusammenarbeit, den man auch der Eine-Welt-Politik zurechnen kann, deutlich heruntergefahren worden ist. Wir müssen also künftig alles daran setzen, damit der Stellenwert der Eine-Welt-Politik nicht weiter sinkt. Durch die Frage des internationalen Terrorismus und die Anschläge ist deutlich geworden, dass Armutsbekämpfung auch ein Mittel ist, Terror zu bekämpfen. Eine-Welt-Politik ist gleichzeitig auch Präventionsarbeit.

    Die Interviews führten Stephanie Hajdamowicz und Axel Bäumer.

    Systematik: 1530 Entwicklungszusammenarbeit; 1510 Internationale Beziehungen; 5130 Soziale Einrichtungen

    ID: LIN00900

  • LCD- und Digital-TV statt Glühlampen.
    Editorial / Kommentar / Blickpunkt;
    Titelthema / Schwerpunkt
    S. 2 in Ausgabe 13 - 24.11.2004

    Heutzutage kaum vorstellbar: Der erste Fernseher arbeitete noch ohne die neuen Bildröhren. Stattdessen verbargen sich 2.600 Glühlampen hinter einer Mattscheibe. Erst 1884 begann die Geschichte des Fernsehens. 1923 gelang dann die Entwicklung der ersten vollständig elektronisch arbeitenden Fernsehbildröhre. Am 22. März 1935 wurde in Berlin das erste regelmäßige Fernsehprogramm Deutschlands gesendet. 1936 gab es gerade mal 75 Heimempfänger, wie die Fernseher genannt wurden.
    Erinnern sich heute nur noch wenige an das Schwarz-Weiß-Fernsehen mit nur drei Programmen; die Welt erscheint farbig und multimedial. Es gibt LCD-Fernseher, Digital- TV, DVB-T (Das Überallfernsehen) und das World Wide Web. Die Hälfte aller Deutschen nutzt das weltweite Kommunikationsnetz. Internet- Cafés gibt es fast an jeder Straßenecke. Und Nordrhein-Westfalen stellt sich gerade auf, Medienstandort Nummer eins in Europa zu werden.
    Standort Nr. eins
    Dafür wird geworben - im In- und Ausland. Die Medienstädte Köln und Düsseldorf, das IT-Flaggschiff Dortmund sorgen deutschlandweit für Furore. Der Standort NRW zählt zu einem der größten und dynamischsten Ballungsräume Europas. Hier entstehen für die Medienbranche Arbeitsplätze und Ausbildungsmöglichkeiten. Das Drittel aller ITFachleute werden hier ausgebildet.
    Gerade erst gingen im Landtag die Tage der Medienkompetenz zu Ende. Gut besucht wurden zahlreichen Projekte aus dem Land präsentiert. Wichtiger denn je, denn die Innovationen der Medientechnologien zwingen die Menschen dazu, sich mit einer rasant schnellen Entwicklung auseinander zu setzen. Jetzt geht es um die Digitalisierung. In fünf Jahren werden wohl TV-Programme via DSL übertragen. Klingt nach Zukunftsmusik. Im Alltag dagegen wird gestritten: um höhere Rundfunkgebühren, den möglichen Viva-Umzug von Köln nach Berlin, den ntv-Umzug, Medienkonzentrationen im Print- und TV-Bereich werden kritisiert.
    NRW hat den Vorteil, von Anfang an dabei zu sein. Nur müssen jetzt neue Geschäftsfelder erschlossen werden, um dem weiter wachsenden Wettbewerb standzuhalten. Die Aussichten dafür sind gut.
    SH

    ID: LIN00837

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Die Fraktionen im Landtag NRW