02.04.2019
- „Vom Wert der Demokratie in unsicheren Zeiten" – unter diesem Motto hatte Landtagspräsident André Kuper zum fünften Parlamentsgespräch eingeladen. Hauptgast des Gesprächs war der frühere Bundespräsident Joachim Gauck.
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Parlamentsgespräch „Vom Wert der Demokratie in unsicheren Zeiten“
Off-Stimme:
„,Vom Wert der Demokratie in unsicheren Zeiten‘ – unter diesem Motto hatte Landtagspräsident André Kuper zum fünften Parlamentsgespräch eingeladen.
Hauptgast des Gesprächs war der frühere Bundespräsident Joachim Gauck.
Der Landtagspräsident begrüßte die Gäste in der voll besetzten Bibliothek des Landtags.“
André Kuper, Präsident des Landtags Nordrhein-Westfalen:
„Es gibt keine bessere Regierungsform als die Demokratie. Und es gab keine bessere Zeit hier als die Zeit der Bundesrepublik. Richtig ist aber auch: Die Demokratie ist eine anstrengende Staatsform und steht keineswegs unter ,Denkmalschutz‘. Und sie ist zugleich auch ein Wagnis. Wir trauen einander zu, uns selbst zu regieren. Herrschaft aus dem Volk, durch das Volk, für das Volk. Lieber Herr Bundespräsident, wir alle sind froh, dass sie heute hier bei uns in Düsseldorf sind und im 70. Jahr der Verabschiedung des Grundgesetzes mit uns über unsere Demokratie ins Gespräch kommen. Herzlich willkommen, Joachim Gauck.“
Off-Stimme:
„Der frühere Bundespräsident führte mit einem Impulsreferat in das Thema ein. Er mahnte:“
Bundespräsident Joachim Gauck:
„Wir treffen uns zu einer Zeit, von der wir alle spüren, dass den Menschen so etwas fehlt wie das große Ganze, das Ja zu dem Großen und Ganzen. Es gibt diese verschieden starken Ausprägungen nicht nur in politische Milieus und Parteien. Sondern es gibt auch ein allseits gepflegtes Unbehagen am Zustand der Demokratie, das sich äußert in der Zustimmung zu Bewegungen und Parteien, die nicht nur in Europa, aber gerade auch in Europa früher nicht so eine Bedeutung gehabt haben, weil sie neu ein Thema ausspielen – das der nationalen Fokussierung, das wir eigentlich mit unserem europapolitischen Denken für überholt betrachtet haben.“
Off-Stimme:
„Joachim Gauck verwies darauf, dass weltweite Entwicklungen wie die Globalisierung und technologische Innovationen neben Chancen auch Angst und Unsicherheit in Deutschland ausgelöst hätten.“
Bundespräsident Joachim Gauck:
„Und diese Gefühle von Verunsicherung und Angst besorgen nun die Situation, die viele Parlamentarier, viele Wähler, aber auch viele Beobachter des Ganzen irgendwie so nervös macht, das sie unsere Zeit manchmal schon so beschreiben, als wäre die Demokratie schon im Scheitern begriffen. Das ist sie aber keineswegs. Und darüber werden wir uns nachher unterhalten. Sondern gerade hier in Deutschland hat sich gezeigt, dass diese wirklich immer und fortwährend verbesserungswürdige Struktur von Demokratie in einer ungewöhnlichen Stabilität dasteht: Die Institutionen sind stabil, die Pflege des Rechts ist äußerst stabil. Es ist nicht im Kern angegriffen wie in anderen Gesellschaften. Der wirtschaftliche Erfolg sorgt für einen Wohlstand wie wir ihn nie gehabt haben. Und all das hat mich zu dieser Sentenz geführt, dass wir im besten Deutschland leben, das wir je gehabt haben. Nur wenn du dich auf die Suche nach der Freude danach machst, und der Dankbarkeit und des Glücks über dies, dann tapst du irgendwo im Nebel. Und du hast speziell in den großstädtischen Zentren das Gefühl: Nur nicht zu viel Freude, nur nicht Dankbarkeit und Lob. Du giltst dann mindestens nicht mehr als Intellektueller.“
Off-Stimme:
„Dem Impulsreferat schloss sich ein Gespräch des Bundespräsidenten mit dem Politikwissenschaftler Dr. Martin Florack an, das von der Journalistin Anne Gesthuysen moderiert wurde. Florack wies dabei auf den stabilen Zustand der Demokratie hin.“
Dr. Martin Florack, Politikwissenschaftler:
„In der Tat haben wir ganz viele Befunde, die darauf hindeuten, dass wir gerade keine extreme Krise haben, auch keine Krise der Demokratie. Und trotzdem reden alle davon. Die Skepsis gegenüber der repräsentativen Demokratie und auch den politischen Eliten, die sich notwendigerweise ausbilden, ist so alt wie die repräsentative Demokratie. Also die Parteienunzufriedenheit ist in den 60er Jahren nicht geringer gewesen als heute. Sie nimmt eine andere Form an. Aber aus meiner Sicht wären insofern auch die gefragt, die Verantwortungsträger sind in diesem System, zu überlegen wie sie ihr Licht nicht selber unter den Scheffel stellen, sondern versuchen, bei den Dingen, die selber beeinflussen können, auch etwas Positives zu erreichen. Statt als Parteipolitiker in die Parteienkritik einzustimmen, müsste man eigentlich sagen: Wie kriegen wir unseren Laden so fit, dass wir wieder attraktiv sind für andere. Ich erwarte eigentlich, dass jemand mal parallel zu diesen Apokalypsebeschreibungen und Krisenbeschreibungen der Demokratie eine hoffnungsvolle positive Botschaft erzählt. Damit haben Leute auch Wahlen gewonnen. Damit sind zum Teil Parteien extrem erfolgreich gewesen.“
Off-Stimme:
„Der frühere Bundespräsident Gauck stellte fest, dass politische Debatten in Deutschland zuletzt vehementer und robuster geführt wurden. Eine Herausforderung für Politikerinnen und Politiker.“
Bundespräsident Joachim Gauck:
„Aber man kann auch zur Sache gehen, ohne den politischen Gegner zum Feind oder gar zum Unmenschen zu machen. Und deshalb brauchen wir mehr Mut, unsere Position erkennbar darzustellen und den Menschen damit Wahlmöglichkeiten an die Hand zu geben, und gleichzeitig eine entschlossene Abwehr dieser sinistren und destruktiven Leute, die meinen, wenn wir andocken an diesem primitiven und atavistischen Aggressionspotenzial, dann sind wir politisch erfolgreich.“