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1947 - Die erste Landtagswahl

Am 20. April 1947 fand die erste nordrhein-westfälische Landtagswahl statt. Der Vorgang, der uns heute als völlig normal erscheint, war damals neu und unvertraut. Denn so war die Situation im Frühjahr 1947:

Der 2. Weltkrieg war noch keine zwei Jahre zu Ende, Deutschlands Städte lagen in Schutt und Asche. Die Menschen hatten einen Hungerwinter hinter sich und ein Dürrejahr vor sich. Deutschland bestand aus vier Besatzungszonen, die oberste Gewalt hatten die Militärregierungen der vier alliierten Siegermächte. Gewirtschaftet wurde offiziell noch immer mit der alten Reichsmark – inoffiziell, auf dem Schwarzmarkt, galt eine Art Zigarettenwährung. Tausende waren nach wie vor in Kriegsgefangenschaft, Tausende auf einer großen Flucht- und Wanderbewegung von Osten nach Westen.

Lebensmittel waren ebenso rationiert wie Kohlen, Kleidung und nahezu alle anderen Güter. Im Wahlmonat April 1947 erhielt ein Normalverbraucher in Dortmund auf seine Lebensmittelkarten je Tag nur Nahrung mit einem Nährwert von 865 Kalorien. Es mangelte vor allem an den lebenswichtigen Bestandteilen Fett und Eiweiß.

Seit dem 23. August 1946 bestand innerhalb der britischen Zone das Land Nordrhein-Westfalen, entstanden durch eine Verordnung der britischen Militärregierung, die die ehemals preußischen Provinzen Westfalen und Rheinland aufgelöst hatte. Am 21. Januar 1947 wurde noch das Land Lippe-Detmold an Nordrhein-Westfalen angegliedert.

Anfang 1947 hatte dieses Land zwar noch keine Verfassung, wohl aber eine von der Besatzungsmacht eingesetzte Regierung und einen nicht gewählten, sondern gleichfalls von den Briten ernannten Landtag mit 100 nordrheinischen und 100 westfälischen Abgeordneten, zu denen gemäß einer Anordnung der Militärregierung auch noch die 11 Kabinettsmitglieder zu rechnen waren. Dieses erste Parlament des Landes Nordrhein-Westfalen konstituierte sich am 2. Oktober 1946 im Düsseldorfer Opernhaus. Die SPD verfügte über 71 Sitze, die CDU hatte 66, die KPD 34, das Zentrum 18, die FDP 9 Sitze; zwei weitere Sitze gingen an Unabhängige. Die Sitzverteilung war aufgrund von Schätzungen über die Stärke der politischen Kräfte zustande gekommen und und wurde nach den ersten Kommunalwahlen 1946 korrigiert. Dem Ergebnis der Kommunalwahl folgend erhielt die CDU nun 92, die SPD 66 der insgesamt 200 Sitze. Landesregierung und Landesparlament in der neuen Landeshauptstadt Düsseldorf hatten nur sehr beschränkte Kompetenzen: Gesetze und Verordnungen wurden in Deutschland von den Besatzungsmächten erlassen. Das Recht, Gesetze zu beschließen, erhielt der Landtag Nordrhein-Westfalen am 1. Dezember 1946, doch bis zur Verabschiedung des Besatzungsstatuts am 12. Mai 1949 bedurften die Gesetze noch der Zustimmung des britischen Gouverneurs.

Es gab noch keine D-Mark und noch keine Bundesrepublik Deutschland. Also war Nordrhein-Westfalen zum Zeitpunkt der ersten Landtagswahlen auch kein Bundesland, sondern ein Gebiet, von dem niemand wusste, was einmal daraus werden würde: Ein selbständiger Staat? Ein autonomer Teil eines neuen Bundesstaates? Eine Verwaltungseinheit eines neuen Zentralstaates?

In dem neu geschaffenen Land Nordrhein-Westfalen lebten 1947 etwa elf Millionen Menschen. Rund 900.000 von ihnen waren Vertriebene und Flüchtlinge, aber auch die Alteingesessenen fühlten sich keineswegs als „Nordrhein-Westfalen”, sondern als Rheinländer, als Westfalen oder als Lipper, und betrachteten das „Bindestrichland” als ein Provisorium und Düsseldorf als seine provisorische Hauptstadt.

Am 5. März 1947 wurde in Nordrhein-Westfalen ein Landeswahlgesetz verab­schiedet. Es sah eine Verbindung von Mehrheits- und Verhältniswahlrecht und eine dreijährige Legislaturperiode vor, die erste Landtagswahl wurde auf den 20. April angesetzt.

Zur Wahl zugelassen wurden nur von der Besatzungsmacht lizenzierte Parteien. Solche Lizenzen hatten die wiedergegründeten Parteien SPD, KPD und Zen­trum und die neugegründeten Parteien CDU und FDP. Vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen wurden Personen, die durch ihre Vergangenheit im Dritten Reich politisch belastet waren.

Wählen und gewählt werden durfte nur, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besaß. Als Deutscher galt, wer am 12. Mai 1946 die deutsche Staatsbürgerschaft besaß – und ebenso, wer sie nach 1933 aus politischen Gründen verloren hatte.

Die Altersbegrenzung lag damals beim 21. Lebensjahr für das aktive, beim 25. Lebensjahr für das passive Wahlrecht. Voraussetzung für die Wahlberechtigung war neben der Staatsbürgerschaft und dem Alter außerdem der Aufenthalt in der Wahlgemeinde seit Bestehen des Landtages im Oktober 1946. Die Zahl der Wahlberechtigten im Lande betrug 7.860.608.

Der Wahlkampf unterschied sich beträchtlich von heutigen Wahlkämpfen. Nicht nur, weil es das heute wichtigste Medium, das Fernsehen, noch nicht gab – auch die anderen Medien standen 1947 in einer völlig anderen Konstellation: Zeitungen durften 1947 nur erscheinen, wenn sie eine Lizenz der Militärregierung hatten; und die wenigen Blätter, die erschienen, hatten nur eine kleine Auflage, denn Papier und Strom waren ebenso knapp wie alle anderen Güter. Die wenigen Rundfunksender in Deutschland waren ohnehin in der Hand der Alliierten. Wahlkampagne und Wahlberichterstattung nach heutiger Art waren nicht möglich und nicht vorstellbar, abgesehen davon standen ganz andere Sorgen im Vordergrund.

Die erste Landtagswahl – Ergebnisse und Konsequenzen

67,3 Prozent der 7.860.608 Wahlberechtigten machten am 20. April 1947 von ihrem Wahlrecht Gebrauch. In konkreten Zahlen: 5.291.111 Bürgerinnen und Bürger gingen zur Urne. 4,9 Prozent der abgegebenen Stimmen waren ungültig - bleiben 5.028.892 gültige.

Im Vergleich zu heute wissen wir wenig über die Wählerinnen und Wähler von 1947: Die Bevölkerungsstatistik lag in den Anfängen. Demoskopie und Wahlforschung waren zwei noch völlig unbeschriebene Blätter. So viel aber ist sicher: Nie wieder hat es in Nordrhein-Westfalen bei einer Landtagswahl so viele Erstwähler gegeben. Das lag schlicht daran, dass nur die im Jahr 1912 oder früher Geborenen alt genug waren, um Anfang 1933 an den letzten demokratischen Wahlen in Deutschland teilgenommen zu haben. Und wahrscheinlich haben 1947 mehr Frauen als Männer ge­wählt – dies ist aus dem hohen Frauenanteil der wahlberechtigten Bevölkerung zu schließen, der seine Hauptursache darin hatte, dass viele Männer noch nicht oder nicht mehr aus Krieg und Gefangenschaft heimgekehrt waren.

Aber das ist nie untersucht worden, fest steht lediglich der Wahlausgang.37,5 Prozent der gültigen Stimmen entfielen auf die CDU, 32 Prozent auf die SPD,14 Prozent auf die KPD, 9,8 Prozent auf das Zentrum, 5,9 Prozent auf die FDP, 0,8 Prozent auf sonstige Parteien und unabhängige Kandidaten. Direktmandate errangen außer den beiden großen Parteien auch die KPD (3) und das Zentrum (2), doch nur die CDU brachte mehr Direktkandidaten durch, als ihr nach dem Gesamtstimmenanteil zustand, und erhielt deshalb 16 Überhangmandate. Dadurch erhöhte sich ihr Sitzanteil im Landtag auf 42,6 Prozent – bei einem Stimmenanteil von nur 37,5 Prozent.

So zogen denn 92 CDU-Abgeordnete, 64 Sozialdemokraten (53 davon direkt gewählt), 28 Kommunisten, 20 Zentrumsleute und 12 Freie Demokraten in den Landtag ein. Kein unabhängiger Kandidat erhielt genug Stimmen für ein Mandat – daran hat sich übrigens bis 2005 nichts geändert.

 

  

Ministerpräsident Arnold und Minister, von links:
FinanzMin. Weitz, InnenMin. Menzel, MP Arnold, JustizMin. Amelunxen,
WirtschMin. Prof. Nölting, ArbeitsMin. Halbfell, VerkehrsMin. Renner,
WiederaufbauMin. Hugo Pausl

Etwas mehr als über die Wähler wissen wir über die Gewählten: In der zweiten Hälfte der Legislaturperiode, genau gesagt am 1. Juli 1949, betrug ihr Durchschnittsalter 51,5 Jahre, wobei die FDP-Abgeordneten mit durchschnittlich 54 Jahren die ältesten, die Kommunisten mit durchschnittlich 45 Jahren die jüngsten Landtagsmitglieder stellten. Nur 15 der Abgeordneten waren Frauen. Ihr Anteil lag damit bei 7 Prozent. Fast die Hälfte, nämlich 101 der 216 Abgeordneten waren Arbeiter und Angestellte; mit 26 Prozent an zweiter Stelle der im Landtag vertretenen Berufe standen die Selbständigen. Das waren 56 Abgeordnete. Nur 14 Beamte a. D. saßen im neu gewählten Landesparlament.

In der schwierigen Situation wurde versucht, eine Allparteienregierung zu installieren. Es gelang nicht ganz: Die FDP war nicht beteiligt, sie stellte im ersten Landtag deshalb die Opposition. Die Kluft zwischen den unterschiedlichen Wirtschaftskonzeptionen hatte sich nicht überbrücken lassen. Trotzdem wurde der CDU-Abgeordnete Karl Arnold einstimmig zum Ministerpräsidenten gewählt. Aus seiner Partei kamen auch Justizminister Gustav Heinemann, Landwirtschaftsminister Heinrich Lübke, Finanzminister Heinrich Weitz und Kultusminister Heinrich Kronen.Die SPD stellte mit Dr. Walter Menzel den Innenminister, der zugleich stellvertretender Regierungschef wurde, den Wirtschaftsminister mit Erik Nölting und den Arbeitsminister mit August Halbfell. Die KPD besetzte mit Hugo Paul das Ministerium für  Wiederaufbau sowie mit Heinz Renner das Verkehrsministerium. Das Zentrum schickte den bisherigen Ministerpräsidenten Dr. Rudolf Amelunxen als Sozialminister ins Kabinett.

Erstmals aber standen jetzt der Militärregierung demokratisch legitimierte Landesorgane gegenüber, erstmals hatten die Bürgerinnen und Bürger des Landes Nordrhein-Westfalen eine von ihnen in freier Wahl gewählte Volksvertretung.

Landtag und Landesregierung mussten vor allem die große Not im allgemeinen Nachkriegschaos bewältigen. Die Überwindung von Elend und Mangel, der wirtschaftliche Aufbau, die Verhinderung von Demontagen, der demokratische und gesellschaftliche Neubeginn, die Errichtung von Verwaltungsstrukturen, die Erarbeitung einer Landesverfassung sowie die Mitarbeit an der Schaffung bundesstaatlicher Strukturen waren die zentralen Aufgaben.

Die Fraktionen im Landtag NRW