06.11.2024
- 35 Jahre nach dem Mauerfall debattiert Deutschland über den Zustand der Einheit - Thema auch des Parlamentsgesprächs, zum dem der Präsident des Landtags, André Kuper, unter anderem die frühere Ministerpräsidentin Thüringens, Christine Lieberknecht, begrüßte.
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Parlamentsgespräch „35 Jahre Mauerfall – Geeintes Land, gespaltene Gesellschaft?"
Off-Stimme:
35 Jahre nach dem Mauerfall debattiert Deutschland über den Zustand der Einheit. Nach den jüngsten Landtagswahlen im Osten geht es dabei auch um den gesellschaftlichen und politischen Zusammenhalt.
„Geeintes Land, gespaltene Gesellschaft?“
So lautete die Leitfrage des aktuellen Parlamentsgesprächs, zu dem Präsident André Kuper in den Landtag eingeladen hatte.
Präsident Kuper begrüßte auf dem Podium:
die frühere Thüringer Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht
WDR-Journalistin Christina von Below
und
Dr. Kai Unzicker von der Bertelsmann Stiftung
Der Präsident erinnerte an die Herausforderungen, die die Einheit für die ostdeutschen Bürgerinnen und Bürger bedeutete.
André Kuper, Präsident des Landtags Nordrhein-Westfalen:
Unsere Renten hier waren nicht neu zu berechnen.Unser Geld blieb im Umlauf.
Unsere Arbeitsplätze standen nicht in gleicher Weise auf dem Prüfstand. Unser Lebensalltag veränderte sich zumeist nicht in dieser Radikalität. Unsere ganze Lebenssicherheit im Westen war nicht auf die gleiche Probe gestellt wie im Osten.
Meine Damen und Herren! Errungen wurde die Deutsche Einheit insbesondere
durch Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler in DDR, getragen und eingelöst wurde sie auch von den Menschen der damals neuen Bundesländer
Off-Stimme:
In der von Vivien Leue moderierten Debatte ging es insbesondere um die aktuelle Stimmung in Ostdeutschland.
Die Thüringerin Christine Lieberknecht betonte.
Christine Lieberknecht, Ministerpräsidentin Thüringen a. D.:
Natürlich bewegt die Thüringerinnen und Thüringer das Wahlergebnis. Und auch vor den Wahlen waren unglaublich viele Gespräche und eine Politisierung, die zu einer Wahlbeteiligung geführt hat, die, wie auch im Nachbarland Sachsen, die die Wahlbeteiligung von 1990 noch übertroffen hat. Es waren über 74 Prozent, die an diesen Landtagswahlen teilgenommen haben. Das heißt, die Menschen sind nicht politisch apathisch. Wir haben eine nach dreieinhalb Jahrzehnten wieder hochpolitisierte Gesellschaft. Allerdings auch eine zum Teil gespaltene Gesellschaft.
Off-Stimme:
Dr. Unzicker verwies auf die vielen Brüche in ostdeutschen Biografien.
Dr. Kai Unzicker, Senior Project Manager der Bertelsmann Stiftung:
Die Wendezeit, in der viel Vertrauen in politische Institutionen zerbrochen ist, weil man festgestellt hat, was alles im Hintergrund ablief. Und dann die Nachwendezeit, die voller Enttäuschungen und Brüchen war. Dass da die Leute Vertrauen verlieren, das ist nicht verwunderlich. Und dass dieses Vertrauen sich nicht so schnell wieder aufbaut, weder das Vertrauen in die Politik oder die politischen Institutionen, das ist schwierig. Das hat funktioniert, weil es einzelne starke Köpfe gab, die sozusagen Politik und Demokratie repräsentiert haben. Aber es hat nie in nennenswerter Weise Parteimitgliedschaften in Ostdeutschland gegeben. Es gibt nicht diese starke Bindung an einzelne Parteien, weswegen es da viel schneller gelingt, dass eine Partei entstehen kann und Zustimmung erhält.
Off-Stimme:
Und die ebenfalls aus Thüringen stammende Christine von Below kritisierte eine zu negative Betrachtung der Einheit im Osten.
Christina von Below, Journalistin und Redakteurin im WDR-Studio Düsseldorf:
Ich würde mir so wünschen, gerade von den Thüringerinnen und Thüringern, dass sie mehr auch das Positive sehen. Denn es war eine Zeit, in der man wirklich dachte, man kann alles erreichen. Natürlich gibt es bei allen Neuanfängen Enttäuschungen und Rückschritte. Aber ich möchte das nicht so im Raum stehen lassen. Das hat alles so etwas Negatives. Und ich möchte diesen positiven Teil herausstreichen. Wie gesagt, ich war ein Kind, das ist noch einmal etwas anderes. Aber ich spreche jetzt auch für meine Eltern. Die sehen das ganz anders. Und wenn sie hier sitzen würden, würden sie auch widersprechen und sagen: Wir haben es versucht, wir sind auf die Montagsdemonstrationen gegangen. Wir haben das mit großer Erwartung gemacht.